Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

bildungen nur eine geringe Bedeutung hatten, müssen wir hier
wiederholen: auch jetzt treten sie, wie überhaupt die Ideal-
bildungen, wenigstens nicht in den Vordergrund. Von Lysipp
werden allerdings deren mehrere genannt; aber schon das ist
in gewisser Beziehung bezeichnend, dass Plinius, welcher das
Bedeutendste anzuführen sich zur Aufgabe gesetzt hat, von
Götterbildern des Lysipp bis auf die Quadriga des rhodischen
Sonnengottes und den wegen seiner Kolossalität angeführten
Zeus zu Tarent gänzlich schweigt. Nirgends aber finden wir
eine Spur, dass zu der bedeutenden Umgestaltung eines Thei-
les der Götter in ihrer ganzen Bildung, wie sie gleichzeitig
von den Attikern versucht und durchgeführt wird, die sikyo-
nische Schule irgendwie in bezeichnender Weise mitgewirkt
habe. Eben so wenig scheinen in ihr die neuen Bildungen aus
der Welt der niederen Götter und Daemonen Beachtung und
Nachahmung gefunden zu haben; und der einzige Versuch,
welchen Lysipp nach einer neuen Richtung hin in seinem al-
legorischen Kairos machte, musste als ein misglückter bezeich-
net werden. -- Kaum zahlreicher als früher sind die Statuen
von Frauen; neben einigen einzelnen Figuren, einer taumeln-
den Flötenspielerin, einer stieropfernden Nike, der Tyche von
Antiochien, einer Frau auf einem Zweigespanne, werden Mu-
sen von Lysipp und die Statuen mehrerer Dichterinnen von
verschiedenen Künstlern angeführt; und man hat sehr unrecht
gethan, die letzteren als Hetaeren zu bezeichnen, welche eine
weit sinnlichere Auffassung bedingen würden, als sich in al-
len anderen Werken dieser Schule verräth. Panteuchis, welche
nach der Bezeichnung sullambanousa ek phthoreos allein eine
Ausnahme machen könnte, ist leider sonst gänzlich unbekannt:
gerade ihr Bild aber war ein Werk des ernsten und strengen
Euthykrates. -- So werden wir entschieden auf den Kreis
derjenigen Darstellungen hingewiesen, welche schon von Po-
lyklet und seiner Schule mit grosser Ausschliesslichkeit behan-
delt worden waren: Darstellungen, in welchen die Schönheit
der körperlichen Erscheinung, die vollendete Durchbildung der
Form als die obersten und höchsten Vorzüge erstrebt wurden.
Hierher gehören also vor allen die athletischen Darstellungen;
und wenn auch olympische Siegerstatuen in dieser Periode
schon in geringerer Zahl aufgestellt worden zu sein scheinen
als früher, so sind doch die meisten sikyonischen Künstler

bildungen nur eine geringe Bedeutung hatten, müssen wir hier
wiederholen: auch jetzt treten sie, wie überhaupt die Ideal-
bildungen, wenigstens nicht in den Vordergrund. Von Lysipp
werden allerdings deren mehrere genannt; aber schon das ist
in gewisser Beziehung bezeichnend, dass Plinius, welcher das
Bedeutendste anzuführen sich zur Aufgabe gesetzt hat, von
Götterbildern des Lysipp bis auf die Quadriga des rhodischen
Sonnengottes und den wegen seiner Kolossalität angeführten
Zeus zu Tarent gänzlich schweigt. Nirgends aber finden wir
eine Spur, dass zu der bedeutenden Umgestaltung eines Thei-
les der Götter in ihrer ganzen Bildung, wie sie gleichzeitig
von den Attikern versucht und durchgeführt wird, die sikyo-
nische Schule irgendwie in bezeichnender Weise mitgewirkt
habe. Eben so wenig scheinen in ihr die neuen Bildungen aus
der Welt der niederen Götter und Daemonen Beachtung und
Nachahmung gefunden zu haben; und der einzige Versuch,
welchen Lysipp nach einer neuen Richtung hin in seinem al-
legorischen Kairos machte, musste als ein misglückter bezeich-
net werden. — Kaum zahlreicher als früher sind die Statuen
von Frauen; neben einigen einzelnen Figuren, einer taumeln-
den Flötenspielerin, einer stieropfernden Nike, der Tyche von
Antiochien, einer Frau auf einem Zweigespanne, werden Mu-
sen von Lysipp und die Statuen mehrerer Dichterinnen von
verschiedenen Künstlern angeführt; und man hat sehr unrecht
gethan, die letzteren als Hetaeren zu bezeichnen, welche eine
weit sinnlichere Auffassung bedingen würden, als sich in al-
len anderen Werken dieser Schule verräth. Panteuchis, welche
nach der Bezeichnung συλλαμβάνουσα ἐκ φϑορέως allein eine
Ausnahme machen könnte, ist leider sonst gänzlich unbekannt:
gerade ihr Bild aber war ein Werk des ernsten und strengen
Euthykrates. — So werden wir entschieden auf den Kreis
derjenigen Darstellungen hingewiesen, welche schon von Po-
lyklet und seiner Schule mit grosser Ausschliesslichkeit behan-
delt worden waren: Darstellungen, in welchen die Schönheit
der körperlichen Erscheinung, die vollendete Durchbildung der
Form als die obersten und höchsten Vorzüge erstrebt wurden.
Hierher gehören also vor allen die athletischen Darstellungen;
und wenn auch olympische Siegerstatuen in dieser Periode
schon in geringerer Zahl aufgestellt worden zu sein scheinen
als früher, so sind doch die meisten sikyonischen Künstler

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0444" n="431"/>
bildungen nur eine geringe Bedeutung hatten, müssen wir hier<lb/>
wiederholen: auch jetzt treten sie, wie überhaupt die Ideal-<lb/>
bildungen, wenigstens nicht in den Vordergrund. Von Lysipp<lb/>
werden allerdings deren mehrere genannt; aber schon das ist<lb/>
in gewisser Beziehung bezeichnend, dass Plinius, welcher das<lb/>
Bedeutendste anzuführen sich zur Aufgabe gesetzt hat, von<lb/>
Götterbildern des Lysipp bis auf die Quadriga des rhodischen<lb/>
Sonnengottes und den wegen seiner Kolossalität angeführten<lb/>
Zeus zu Tarent gänzlich schweigt. Nirgends aber finden wir<lb/>
eine Spur, dass zu der bedeutenden Umgestaltung eines Thei-<lb/>
les der Götter in ihrer ganzen Bildung, wie sie gleichzeitig<lb/>
von den Attikern versucht und durchgeführt wird, die sikyo-<lb/>
nische Schule irgendwie in bezeichnender Weise mitgewirkt<lb/>
habe. Eben so wenig scheinen in ihr die neuen Bildungen aus<lb/>
der Welt der niederen Götter und Daemonen Beachtung und<lb/>
Nachahmung gefunden zu haben; und der einzige Versuch,<lb/>
welchen Lysipp nach einer neuen Richtung hin in seinem al-<lb/>
legorischen Kairos machte, musste als ein misglückter bezeich-<lb/>
net werden. &#x2014; Kaum zahlreicher als früher sind die Statuen<lb/>
von Frauen; neben einigen einzelnen Figuren, einer taumeln-<lb/>
den Flötenspielerin, einer stieropfernden Nike, der Tyche von<lb/>
Antiochien, einer Frau auf einem Zweigespanne, werden Mu-<lb/>
sen von Lysipp und die Statuen mehrerer Dichterinnen von<lb/>
verschiedenen Künstlern angeführt; und man hat sehr unrecht<lb/>
gethan, die letzteren als Hetaeren zu bezeichnen, welche eine<lb/>
weit sinnlichere Auffassung bedingen würden, als sich in al-<lb/>
len anderen Werken dieser Schule verräth. Panteuchis, welche<lb/>
nach der Bezeichnung &#x03C3;&#x03C5;&#x03BB;&#x03BB;&#x03B1;&#x03BC;&#x03B2;&#x03AC;&#x03BD;&#x03BF;&#x03C5;&#x03C3;&#x03B1; &#x1F10;&#x03BA; &#x03C6;&#x03D1;&#x03BF;&#x03C1;&#x03AD;&#x03C9;&#x03C2; allein eine<lb/>
Ausnahme machen könnte, ist leider sonst gänzlich unbekannt:<lb/>
gerade ihr Bild aber war ein Werk des ernsten und strengen<lb/>
Euthykrates. &#x2014; So werden wir entschieden auf den Kreis<lb/>
derjenigen Darstellungen hingewiesen, welche schon von Po-<lb/>
lyklet und seiner Schule mit grosser Ausschliesslichkeit behan-<lb/>
delt worden waren: Darstellungen, in welchen die Schönheit<lb/>
der körperlichen Erscheinung, die vollendete Durchbildung der<lb/>
Form als die obersten und höchsten Vorzüge erstrebt wurden.<lb/>
Hierher gehören also vor allen die athletischen Darstellungen;<lb/>
und wenn auch olympische Siegerstatuen in dieser Periode<lb/>
schon in geringerer Zahl aufgestellt worden zu sein scheinen<lb/>
als früher, so sind doch die meisten sikyonischen Künstler<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[431/0444] bildungen nur eine geringe Bedeutung hatten, müssen wir hier wiederholen: auch jetzt treten sie, wie überhaupt die Ideal- bildungen, wenigstens nicht in den Vordergrund. Von Lysipp werden allerdings deren mehrere genannt; aber schon das ist in gewisser Beziehung bezeichnend, dass Plinius, welcher das Bedeutendste anzuführen sich zur Aufgabe gesetzt hat, von Götterbildern des Lysipp bis auf die Quadriga des rhodischen Sonnengottes und den wegen seiner Kolossalität angeführten Zeus zu Tarent gänzlich schweigt. Nirgends aber finden wir eine Spur, dass zu der bedeutenden Umgestaltung eines Thei- les der Götter in ihrer ganzen Bildung, wie sie gleichzeitig von den Attikern versucht und durchgeführt wird, die sikyo- nische Schule irgendwie in bezeichnender Weise mitgewirkt habe. Eben so wenig scheinen in ihr die neuen Bildungen aus der Welt der niederen Götter und Daemonen Beachtung und Nachahmung gefunden zu haben; und der einzige Versuch, welchen Lysipp nach einer neuen Richtung hin in seinem al- legorischen Kairos machte, musste als ein misglückter bezeich- net werden. — Kaum zahlreicher als früher sind die Statuen von Frauen; neben einigen einzelnen Figuren, einer taumeln- den Flötenspielerin, einer stieropfernden Nike, der Tyche von Antiochien, einer Frau auf einem Zweigespanne, werden Mu- sen von Lysipp und die Statuen mehrerer Dichterinnen von verschiedenen Künstlern angeführt; und man hat sehr unrecht gethan, die letzteren als Hetaeren zu bezeichnen, welche eine weit sinnlichere Auffassung bedingen würden, als sich in al- len anderen Werken dieser Schule verräth. Panteuchis, welche nach der Bezeichnung συλλαμβάνουσα ἐκ φϑορέως allein eine Ausnahme machen könnte, ist leider sonst gänzlich unbekannt: gerade ihr Bild aber war ein Werk des ernsten und strengen Euthykrates. — So werden wir entschieden auf den Kreis derjenigen Darstellungen hingewiesen, welche schon von Po- lyklet und seiner Schule mit grosser Ausschliesslichkeit behan- delt worden waren: Darstellungen, in welchen die Schönheit der körperlichen Erscheinung, die vollendete Durchbildung der Form als die obersten und höchsten Vorzüge erstrebt wurden. Hierher gehören also vor allen die athletischen Darstellungen; und wenn auch olympische Siegerstatuen in dieser Periode schon in geringerer Zahl aufgestellt worden zu sein scheinen als früher, so sind doch die meisten sikyonischen Künstler

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/444
Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/444>, abgerufen am 22.11.2024.