zu einer solchen Vermittelung, als zu Trägern der Bewegung bestimmt sind. Und in der That wird an der Aphrodite gerade die Behandlung des Fleisches, die schöne, nicht übermässige Rundung, die Anfügung an den Knochen, besonders gerühmt. Wenn aber anderwärts 1) die Arme als musterhaft an den Sta- tuen des Praxiteles bezeichnet werden, so dürfen wir doch, um dieses Lob nicht falsch zu verstehen, gewiss mit vollem Rechte darauf hinweisen, dass so wenig, wie bei der Aphrodite, auch bei den jugendlich zarten männlichen Gestalten dieses Künstlers, ein freies kräftiges Muskelspiel passend erscheinen, dass Spannung und Elasticität der Muskeln ihren Charakteren geradezu widersprechen würde. Vielmehr mussten in diesen Gestalten noch andere, bei der Bewegung noch weniger in An- spruch genommene Theile eine bevorzugtere Beachtung fin- den: nemlich die Haut in ihrem verschiedenen Charakter von Feinheit, Weichheit oder Derbheit, sowie die Fetttheile, welche zwischen Haut und Fleisch in grösseren oder geringeren Massen abgelagert sind und vielfältig die Uebergänge zwischen den einzelnen Massen für das Auge fast unmerklieh machen. So sehen wir denn, wie durch sein Streben nach gefälliger An- muth und Weichheit Praxiteles zu einer von der früheren Auf- fassung wesentlich verschiedenen Behandlung der Form über- haupt geführt werden musste. Denn während die älteren Künstler durch den Bau des Knochengerüstes und die ganze Anlage der Muskeln, durch welche alle Bewegung bedingt ist, die Form auch in ihrem äusseren Erscheinen bedingt sein liessen, richtete Praxiteles sein hauptsächlichstes Augenmerk auf eine naturgetreue Darstellung der Oberfläche des Körpers. Hierin liegt die veritas, welche Quintilian 2) dem Praxiteles, wie dem Lysipp, beilegt. Sie ist zwar von dem Naturalismus eines Demetrius, welcher mehr Werth auf Aehnlichkeit, als auf Schönheit legt, bestimmt zu unterscheiden. Aber eben so tritt sie der maiestas eines Phidias gegenüber, welcher in sei- ner idealen Richtung über die wirkliche Natur hinausgeht. Die veritas des Praxiteles hat es vielmehr mit einer Darstel- lung der Natur zu thun, wie sie erscheint, wie sie in dieser Erscheinung nicht sowohl auf den Geist, als auf die Sinne des Beschauers wirkt.
1) Auct, ad Herenn. IV, 6.
2) XII, 109.
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 23
zu einer solchen Vermittelung, als zu Trägern der Bewegung bestimmt sind. Und in der That wird an der Aphrodite gerade die Behandlung des Fleisches, die schöne, nicht übermässige Rundung, die Anfügung an den Knochen, besonders gerühmt. Wenn aber anderwärts 1) die Arme als musterhaft an den Sta- tuen des Praxiteles bezeichnet werden, so dürfen wir doch, um dieses Lob nicht falsch zu verstehen, gewiss mit vollem Rechte darauf hinweisen, dass so wenig, wie bei der Aphrodite, auch bei den jugendlich zarten männlichen Gestalten dieses Künstlers, ein freies kräftiges Muskelspiel passend erscheinen, dass Spannung und Elasticität der Muskeln ihren Charakteren geradezu widersprechen würde. Vielmehr mussten in diesen Gestalten noch andere, bei der Bewegung noch weniger in An- spruch genommene Theile eine bevorzugtere Beachtung fin- den: nemlich die Haut in ihrem verschiedenen Charakter von Feinheit, Weichheit oder Derbheit, sowie die Fetttheile, welche zwischen Haut und Fleisch in grösseren oder geringeren Massen abgelagert sind und vielfältig die Uebergänge zwischen den einzelnen Massen für das Auge fast unmerklieh machen. So sehen wir denn, wie durch sein Streben nach gefälliger An- muth und Weichheit Praxiteles zu einer von der früheren Auf- fassung wesentlich verschiedenen Behandlung der Form über- haupt geführt werden musste. Denn während die älteren Künstler durch den Bau des Knochengerüstes und die ganze Anlage der Muskeln, durch welche alle Bewegung bedingt ist, die Form auch in ihrem äusseren Erscheinen bedingt sein liessen, richtete Praxiteles sein hauptsächlichstes Augenmerk auf eine naturgetreue Darstellung der Oberfläche des Körpers. Hierin liegt die veritas, welche Quintilian 2) dem Praxiteles, wie dem Lysipp, beilegt. Sie ist zwar von dem Naturalismus eines Demetrius, welcher mehr Werth auf Aehnlichkeit, als auf Schönheit legt, bestimmt zu unterscheiden. Aber eben so tritt sie der maiestas eines Phidias gegenüber, welcher in sei- ner idealen Richtung über die wirkliche Natur hinausgeht. Die veritas des Praxiteles hat es vielmehr mit einer Darstel- lung der Natur zu thun, wie sie erscheint, wie sie in dieser Erscheinung nicht sowohl auf den Geist, als auf die Sinne des Beschauers wirkt.
1) Auct, ad Herenn. IV, 6.
2) XII, 109.
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 23
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[353/0366]
zu einer solchen Vermittelung, als zu Trägern der Bewegung
bestimmt sind. Und in der That wird an der Aphrodite gerade
die Behandlung des Fleisches, die schöne, nicht übermässige
Rundung, die Anfügung an den Knochen, besonders gerühmt.
Wenn aber anderwärts 1) die Arme als musterhaft an den Sta-
tuen des Praxiteles bezeichnet werden, so dürfen wir doch,
um dieses Lob nicht falsch zu verstehen, gewiss mit vollem
Rechte darauf hinweisen, dass so wenig, wie bei der Aphrodite,
auch bei den jugendlich zarten männlichen Gestalten dieses
Künstlers, ein freies kräftiges Muskelspiel passend erscheinen,
dass Spannung und Elasticität der Muskeln ihren Charakteren
geradezu widersprechen würde. Vielmehr mussten in diesen
Gestalten noch andere, bei der Bewegung noch weniger in An-
spruch genommene Theile eine bevorzugtere Beachtung fin-
den: nemlich die Haut in ihrem verschiedenen Charakter von
Feinheit, Weichheit oder Derbheit, sowie die Fetttheile, welche
zwischen Haut und Fleisch in grösseren oder geringeren Massen
abgelagert sind und vielfältig die Uebergänge zwischen den
einzelnen Massen für das Auge fast unmerklieh machen. So
sehen wir denn, wie durch sein Streben nach gefälliger An-
muth und Weichheit Praxiteles zu einer von der früheren Auf-
fassung wesentlich verschiedenen Behandlung der Form über-
haupt geführt werden musste. Denn während die älteren
Künstler durch den Bau des Knochengerüstes und die ganze
Anlage der Muskeln, durch welche alle Bewegung bedingt ist,
die Form auch in ihrem äusseren Erscheinen bedingt sein
liessen, richtete Praxiteles sein hauptsächlichstes Augenmerk
auf eine naturgetreue Darstellung der Oberfläche des Körpers.
Hierin liegt die veritas, welche Quintilian 2) dem Praxiteles,
wie dem Lysipp, beilegt. Sie ist zwar von dem Naturalismus
eines Demetrius, welcher mehr Werth auf Aehnlichkeit, als
auf Schönheit legt, bestimmt zu unterscheiden. Aber eben so
tritt sie der maiestas eines Phidias gegenüber, welcher in sei-
ner idealen Richtung über die wirkliche Natur hinausgeht.
Die veritas des Praxiteles hat es vielmehr mit einer Darstel-
lung der Natur zu thun, wie sie erscheint, wie sie in dieser
Erscheinung nicht sowohl auf den Geist, als auf die Sinne des
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1) Auct, ad Herenn. IV, 6.
2) XII, 109.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/366>, abgerufen am 25.11.2024.
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