dieser Ruhe eintretenden Bewegung oder Anstrengung um so mehr befähigt. Der Eindruck, welcher hierdurch entsteht, ist der eines ruhigen Behagens, wie es vornehmlich denjenigen Naturen eigen ist, welche heiteren Lebensgenuss und lässige Musse einer angestrengten Thätigkeit vorziehen. Im Gegen- satz zu der ernsten Würde und Strenge der älteren Kunst- werke aber verleiht die Anwendung dieses Motives den Ge- stalten den Charakter gefälliger Leichtigkeit und Anmuth. Dass Praxiteles dasselbe nicht einseitig und ausschliesslich wiederholte, bedarf kaum einer Erwähnung, und wir selbst haben schon einmal, bei der nackten Aphrodite, darauf hinge- wiesen, wie dort in der Stellung alles vermieden ist, was auf sichere Ruhe hindeuten könnte. Hier wird vielmehr durch den Gegenstand eine grosse Beweglichkeit erfordert, und diese konnte, da die Figur trotzdem ihren Standort nicht verändern sollte, nur da ihren Ausdruck finden, von wo aus überhaupt jede Bewegung ihre Regel empfängt, nemlich vom Schwer- punkte des Körpers aus. Dies ist der Grund, weshalb bei der Aphrodite (und, wenn auch in minderem Grade, bei einem Eros, welchen man auf ein Muster des Praxiteles zurückzuführen pflegt 1)) sich das Streben zeigt, nicht durch Feststellen auf einen Fuss, sondern durch die Beweglichkeit der Hüften den Körper im Gleichgewicht zu erhalten. Der Eindruck, welchen dieses Biegen und Schwanken beim Beschauer hervorruft, ist aber auch hier wiederum der einer gefälligen Anmuth und Weichheit. Hier müssen wir nothwendig auch auf die Schil- derungen Lucians wieder zurückkommen. In ihnen ist wie- derholt von Eurhythmie, von genau abgewogenen Rhythmen die Rede. Die Bedeutung dieser Ausdrücke, namentlich auch ihr Verhältniss zu dem strengeren Princip des Metrum, der Sym- metrie, ist schon früher erörtert worden. Gerade in diesem Gegensatze aber werden wir sie hier aufzufassen haben, nem- lich als bestimmt, die Uebergänge zwischen den verschiedenen Formen zu vermitteln, sie in ein gefälliges, ansprechendes Ver- hältniss zu setzen; und wir haben gesehen, dass darauf schon die ganze Anlage der Figuren des Praxiteles berechnet ist. Ganz besonders musste aber diese Bestimmung sich an den- jenigen Theilen bethätigen, welche ihrem Wesen nach mehr
1) Müll. u. Oest. I, 35, Fig. 145.
dieser Ruhe eintretenden Bewegung oder Anstrengung um so mehr befähigt. Der Eindruck, welcher hierdurch entsteht, ist der eines ruhigen Behagens, wie es vornehmlich denjenigen Naturen eigen ist, welche heiteren Lebensgenuss und lässige Musse einer angestrengten Thätigkeit vorziehen. Im Gegen- satz zu der ernsten Würde und Strenge der älteren Kunst- werke aber verleiht die Anwendung dieses Motives den Ge- stalten den Charakter gefälliger Leichtigkeit und Anmuth. Dass Praxiteles dasselbe nicht einseitig und ausschliesslich wiederholte, bedarf kaum einer Erwähnung, und wir selbst haben schon einmal, bei der nackten Aphrodite, darauf hinge- wiesen, wie dort in der Stellung alles vermieden ist, was auf sichere Ruhe hindeuten könnte. Hier wird vielmehr durch den Gegenstand eine grosse Beweglichkeit erfordert, und diese konnte, da die Figur trotzdem ihren Standort nicht verändern sollte, nur da ihren Ausdruck finden, von wo aus überhaupt jede Bewegung ihre Regel empfängt, nemlich vom Schwer- punkte des Körpers aus. Dies ist der Grund, weshalb bei der Aphrodite (und, wenn auch in minderem Grade, bei einem Eros, welchen man auf ein Muster des Praxiteles zurückzuführen pflegt 1)) sich das Streben zeigt, nicht durch Feststellen auf einen Fuss, sondern durch die Beweglichkeit der Hüften den Körper im Gleichgewicht zu erhalten. Der Eindruck, welchen dieses Biegen und Schwanken beim Beschauer hervorruft, ist aber auch hier wiederum der einer gefälligen Anmuth und Weichheit. Hier müssen wir nothwendig auch auf die Schil- derungen Lucians wieder zurückkommen. In ihnen ist wie- derholt von Eurhythmie, von genau abgewogenen Rhythmen die Rede. Die Bedeutung dieser Ausdrücke, namentlich auch ihr Verhältniss zu dem strengeren Princip des Metrum, der Sym- metrie, ist schon früher erörtert worden. Gerade in diesem Gegensatze aber werden wir sie hier aufzufassen haben, nem- lich als bestimmt, die Uebergänge zwischen den verschiedenen Formen zu vermitteln, sie in ein gefälliges, ansprechendes Ver- hältniss zu setzen; und wir haben gesehen, dass darauf schon die ganze Anlage der Figuren des Praxiteles berechnet ist. Ganz besonders musste aber diese Bestimmung sich an den- jenigen Theilen bethätigen, welche ihrem Wesen nach mehr
1) Müll. u. Oest. I, 35, Fig. 145.
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dieser Ruhe eintretenden Bewegung oder Anstrengung um so
mehr befähigt. Der Eindruck, welcher hierdurch entsteht, ist
der eines ruhigen Behagens, wie es vornehmlich denjenigen
Naturen eigen ist, welche heiteren Lebensgenuss und lässige
Musse einer angestrengten Thätigkeit vorziehen. Im Gegen-
satz zu der ernsten Würde und Strenge der älteren Kunst-
werke aber verleiht die Anwendung dieses Motives den Ge-
stalten den Charakter gefälliger Leichtigkeit und Anmuth.
Dass Praxiteles dasselbe nicht einseitig und ausschliesslich
wiederholte, bedarf kaum einer Erwähnung, und wir selbst
haben schon einmal, bei der nackten Aphrodite, darauf hinge-
wiesen, wie dort in der Stellung alles vermieden ist, was auf
sichere Ruhe hindeuten könnte. Hier wird vielmehr durch den
Gegenstand eine grosse Beweglichkeit erfordert, und diese
konnte, da die Figur trotzdem ihren Standort nicht verändern
sollte, nur da ihren Ausdruck finden, von wo aus überhaupt
jede Bewegung ihre Regel empfängt, nemlich vom Schwer-
punkte des Körpers aus. Dies ist der Grund, weshalb bei der
Aphrodite (und, wenn auch in minderem Grade, bei einem Eros,
welchen man auf ein Muster des Praxiteles zurückzuführen
pflegt 1)) sich das Streben zeigt, nicht durch Feststellen auf
einen Fuss, sondern durch die Beweglichkeit der Hüften den
Körper im Gleichgewicht zu erhalten. Der Eindruck, welchen
dieses Biegen und Schwanken beim Beschauer hervorruft, ist
aber auch hier wiederum der einer gefälligen Anmuth und
Weichheit. Hier müssen wir nothwendig auch auf die Schil-
derungen Lucians wieder zurückkommen. In ihnen ist wie-
derholt von Eurhythmie, von genau abgewogenen Rhythmen die
Rede. Die Bedeutung dieser Ausdrücke, namentlich auch ihr
Verhältniss zu dem strengeren Princip des Metrum, der Sym-
metrie, ist schon früher erörtert worden. Gerade in diesem
Gegensatze aber werden wir sie hier aufzufassen haben, nem-
lich als bestimmt, die Uebergänge zwischen den verschiedenen
Formen zu vermitteln, sie in ein gefälliges, ansprechendes Ver-
hältniss zu setzen; und wir haben gesehen, dass darauf schon
die ganze Anlage der Figuren des Praxiteles berechnet ist.
Ganz besonders musste aber diese Bestimmung sich an den-
jenigen Theilen bethätigen, welche ihrem Wesen nach mehr
1) Müll. u. Oest. I, 35, Fig. 145.
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/365>, abgerufen am 22.11.2024.
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