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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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welchem die Athener der Aphrodite des Alkamenes vor der
des Agorakritos den Vorzug gaben, Letzterer sein Werk un-
ter der Bedingung, dass es nicht in Athen bleibe, verkauft
und Nemesis genannt habe, und dieses sei das Bild, welches
im attischen Flecken Rhamnus aufgestellt und von Varro allen
andern Bildwerken vorgezogen worden sei. Auch diese Er-
zählung hat Zoega gänzlich verwerfen wollen; und allerdings
muss es Verdacht erregen, dass in ihr, wie in der Sage von
dem Marmorblocke der Meder, das Walten der Nemesis in
ihrem eigenen Bilde wirksam erscheint, indem das ungerechte
Urtheil der Athener durch den Nichtbesitz der Statue bestraft
wird. Doch lässt sich den Sagen über die Eifersüchtelei der
beiden Mitschüler an sich eine innere Wahrscheinlichkeit nicht
absprechen. Und auch die Zweifel, welche man gegen die
Umwandlung eines Bildes der Aphrodite in das der Nemesis
erhoben hat, liefern noch keinen hinlänglichen Beweis gegen
die Wahrheit der ganzen Erzählung. Die Göttin hatte nach
Pausanias eine Krone (stephanos) mit Hirschen und kleinen
Bildern der Nike verziert; in der einen Hand trug sie einen
Apfelzweig, in der andern eine Schale, auf deren innerer Seite
Aethiopen dargestellt waren 1). Zur Erläuterung dieser Attri-
bute bemerkt Welcker (zu Zoega S. 418), dass noch Kana-
chos eine Aphrodite mit dem Polos auf dem Haupte, einem
Apfel in der einen, einem Mohnkopf in der andern Hand, ge-
bildet hatte. Solche Attribute konnten aber leicht durch andere
ersetzt werden, ohne dass dadurch einem Bilde Eintrag geschah.

Ihrem Wesen nach ist endlich die Nemesis von Rhamnus
der Aphrodite Urania nahe verwandt, so dass das Bild der
einen wohl auch für das der andern gelten, wenigstens mit
geringen Veränderungen in ein solches umgestaltet werden
konnte. -- Ueber das Bild selbst ist noch zu bemerken, dass
es zehn Ellen hoch war 2). Pausanias endlich zählt noch die
Figuren auf, welche die Basis des Bildes schmückten. Mit
Bezug auf die Sage, dass Nemesis die Mutter, Leda nur die
Amme der Helena war, hatte der Künstler die letztere dar-
gestellt, wie sie von Leda der Nemesis zugeführt wird; ferner
den Tyndareus, seine Söhne und einen Reiter, Hippeus, neben
seinem Rosse; sodann Agamemnon, Menelaos und Pyrrhos,

1) s. darüber Zoega S. 65.
2) s. Hesychius, Zosimus l. l.
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 16

welchem die Athener der Aphrodite des Alkamenes vor der
des Agorakritos den Vorzug gaben, Letzterer sein Werk un-
ter der Bedingung, dass es nicht in Athen bleibe, verkauft
und Nemesis genannt habe, und dieses sei das Bild, welches
im attischen Flecken Rhamnus aufgestellt und von Varro allen
andern Bildwerken vorgezogen worden sei. Auch diese Er-
zählung hat Zoëga gänzlich verwerfen wollen; und allerdings
muss es Verdacht erregen, dass in ihr, wie in der Sage von
dem Marmorblocke der Meder, das Walten der Nemesis in
ihrem eigenen Bilde wirksam erscheint, indem das ungerechte
Urtheil der Athener durch den Nichtbesitz der Statue bestraft
wird. Doch lässt sich den Sagen über die Eifersüchtelei der
beiden Mitschüler an sich eine innere Wahrscheinlichkeit nicht
absprechen. Und auch die Zweifel, welche man gegen die
Umwandlung eines Bildes der Aphrodite in das der Nemesis
erhoben hat, liefern noch keinen hinlänglichen Beweis gegen
die Wahrheit der ganzen Erzählung. Die Göttin hatte nach
Pausanias eine Krone (στέφανος) mit Hirschen und kleinen
Bildern der Nike verziert; in der einen Hand trug sie einen
Apfelzweig, in der andern eine Schale, auf deren innerer Seite
Aethiopen dargestellt waren 1). Zur Erläuterung dieser Attri-
bute bemerkt Welcker (zu Zoëga S. 418), dass noch Kana-
chos eine Aphrodite mit dem Polos auf dem Haupte, einem
Apfel in der einen, einem Mohnkopf in der andern Hand, ge-
bildet hatte. Solche Attribute konnten aber leicht durch andere
ersetzt werden, ohne dass dadurch einem Bilde Eintrag geschah.

Ihrem Wesen nach ist endlich die Nemesis von Rhamnus
der Aphrodite Urania nahe verwandt, so dass das Bild der
einen wohl auch für das der andern gelten, wenigstens mit
geringen Veränderungen in ein solches umgestaltet werden
konnte. — Ueber das Bild selbst ist noch zu bemerken, dass
es zehn Ellen hoch war 2). Pausanias endlich zählt noch die
Figuren auf, welche die Basis des Bildes schmückten. Mit
Bezug auf die Sage, dass Nemesis die Mutter, Leda nur die
Amme der Helena war, hatte der Künstler die letztere dar-
gestellt, wie sie von Leda der Nemesis zugeführt wird; ferner
den Tyndareus, seine Söhne und einen Reiter, Hippeus, neben
seinem Rosse; sodann Agamemnon, Menelaos und Pyrrhos,

1) s. darüber Zoëga S. 65.
2) s. Hesychius, Zosimus l. l.
Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 16
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[241/0254] welchem die Athener der Aphrodite des Alkamenes vor der des Agorakritos den Vorzug gaben, Letzterer sein Werk un- ter der Bedingung, dass es nicht in Athen bleibe, verkauft und Nemesis genannt habe, und dieses sei das Bild, welches im attischen Flecken Rhamnus aufgestellt und von Varro allen andern Bildwerken vorgezogen worden sei. Auch diese Er- zählung hat Zoëga gänzlich verwerfen wollen; und allerdings muss es Verdacht erregen, dass in ihr, wie in der Sage von dem Marmorblocke der Meder, das Walten der Nemesis in ihrem eigenen Bilde wirksam erscheint, indem das ungerechte Urtheil der Athener durch den Nichtbesitz der Statue bestraft wird. Doch lässt sich den Sagen über die Eifersüchtelei der beiden Mitschüler an sich eine innere Wahrscheinlichkeit nicht absprechen. Und auch die Zweifel, welche man gegen die Umwandlung eines Bildes der Aphrodite in das der Nemesis erhoben hat, liefern noch keinen hinlänglichen Beweis gegen die Wahrheit der ganzen Erzählung. Die Göttin hatte nach Pausanias eine Krone (στέφανος) mit Hirschen und kleinen Bildern der Nike verziert; in der einen Hand trug sie einen Apfelzweig, in der andern eine Schale, auf deren innerer Seite Aethiopen dargestellt waren 1). Zur Erläuterung dieser Attri- bute bemerkt Welcker (zu Zoëga S. 418), dass noch Kana- chos eine Aphrodite mit dem Polos auf dem Haupte, einem Apfel in der einen, einem Mohnkopf in der andern Hand, ge- bildet hatte. Solche Attribute konnten aber leicht durch andere ersetzt werden, ohne dass dadurch einem Bilde Eintrag geschah. Ihrem Wesen nach ist endlich die Nemesis von Rhamnus der Aphrodite Urania nahe verwandt, so dass das Bild der einen wohl auch für das der andern gelten, wenigstens mit geringen Veränderungen in ein solches umgestaltet werden konnte. — Ueber das Bild selbst ist noch zu bemerken, dass es zehn Ellen hoch war 2). Pausanias endlich zählt noch die Figuren auf, welche die Basis des Bildes schmückten. Mit Bezug auf die Sage, dass Nemesis die Mutter, Leda nur die Amme der Helena war, hatte der Künstler die letztere dar- gestellt, wie sie von Leda der Nemesis zugeführt wird; ferner den Tyndareus, seine Söhne und einen Reiter, Hippeus, neben seinem Rosse; sodann Agamemnon, Menelaos und Pyrrhos, 1) s. darüber Zoëga S. 65. 2) s. Hesychius, Zosimus l. l. Brunn, Geschichte der griech. Künstler. 16

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/254>, abgerufen am 11.05.2024.