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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853.

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endlich sah man die Geburt der Pandora in Gegenwart von
zwanzig Göttern dargestellt 1).

Obgleich wir uns nach dieser Beschreibung das Bild der
Göttin ziemlich vollständig zusammensetzen können, so bleiben
doch über einzelne wesentliche Punkte Zweifel, die sich nicht
mit Bestimmtheit lösen lassen: so namentlich darüber, in wel-
cher Hand sich die Nike befand. Genaue Nachbildungen in
Erz oder Marmor, welche über die Vertheilung der Attribute
Auskunft geben könnten, fehlen uns leider, oder lassen sich
wenigstens nicht sicher nachweisen, da in Marmorwerken die
Arme mit den Attributen fast immer restaurirt sind. Ob wir
aber als solche die Bilder auf Münzen mehrerer asiatischen
Städte 2) anerkennen dürfen, scheint mir wenigstens nicht
durchaus unzweifelhaft. Halten wir uns an Pausanias, so ge-
hören der Speer und die Schlange, mindestens in ihrer Haupt-
masse, auf die eine Seite. Nach den Münzen und einem Re-
lief 3), wo die Nike von der Rechten getragen wird, müsste
dies die Linke sein, auf welcher auch der Schild seiner Be-
stimmung nach am besten Platz findet. Dadurch aber häufen
sich auf dieser Seite die Attribute in einer Weise, welche
dem künstlerischen Gleichgewicht weit weniger günstig ist,
als wenn wir Speer und Schlange auf die rechte, Nike und
Schild auf die linke Seite versetzen. Doch soll hiermit die
Frage nicht entschieden, sondern nur ein Zweifel ausgedrückt
werden, ob in den bisher versuchten Restaurationen 4) bereits
überall das Richtige getroffen sei.

In Betreff der Zusammensetzung des Bildes aus verschie-
denen Stoffen erfahren wir durch Plato 5), dass die Augen,
wie das ganze Gesicht, ferner Hände und Füsse aus Elfenbein
gebildet, die Augensterne aus Stein eingesetzt waren. Aus
Elfenbein war nach Pausanias auch die Gorgo, nicht zu ver-
wechseln mit dem Gorgoneion, d. i. der Aegis, auf der sich
erstere befand 6). Ausserdem mochte an den nackten Theilen
der Nike Elfenbein angewendet sein. Sonst herrschte überall

1) Ueber die verschiedenen Versuche, die darauf bezüglichen Worte des
Plinius (34, 19) zu emendiren, vgl. die Ausgabe von Sillig.
2) Müller u.
Oest. II, 19, n. 203. Gerhard Minervenidole IV, 3.
3) Gerhard V, 5.
4) Quatremere Jup. Ol. p. 226. Gerhard S. 6 u. 21; Taf. II, 1. Schöll Mitth.
S. 67 flgd.
5) Hipp. mai. p. 291 B. C. Die Stelle de republ. IV, p. 420 D.
von schwarzgefärbten Augen der Statuen gehört nicht hierher.
6) Vgl. Pa-
nofka Mus. Blacas, p. 33.
12 *

endlich sah man die Geburt der Pandora in Gegenwart von
zwanzig Göttern dargestellt 1).

Obgleich wir uns nach dieser Beschreibung das Bild der
Göttin ziemlich vollständig zusammensetzen können, so bleiben
doch über einzelne wesentliche Punkte Zweifel, die sich nicht
mit Bestimmtheit lösen lassen: so namentlich darüber, in wel-
cher Hand sich die Nike befand. Genaue Nachbildungen in
Erz oder Marmor, welche über die Vertheilung der Attribute
Auskunft geben könnten, fehlen uns leider, oder lassen sich
wenigstens nicht sicher nachweisen, da in Marmorwerken die
Arme mit den Attributen fast immer restaurirt sind. Ob wir
aber als solche die Bilder auf Münzen mehrerer asiatischen
Städte 2) anerkennen dürfen, scheint mir wenigstens nicht
durchaus unzweifelhaft. Halten wir uns an Pausanias, so ge-
hören der Speer und die Schlange, mindestens in ihrer Haupt-
masse, auf die eine Seite. Nach den Münzen und einem Re-
lief 3), wo die Nike von der Rechten getragen wird, müsste
dies die Linke sein, auf welcher auch der Schild seiner Be-
stimmung nach am besten Platz findet. Dadurch aber häufen
sich auf dieser Seite die Attribute in einer Weise, welche
dem künstlerischen Gleichgewicht weit weniger günstig ist,
als wenn wir Speer und Schlange auf die rechte, Nike und
Schild auf die linke Seite versetzen. Doch soll hiermit die
Frage nicht entschieden, sondern nur ein Zweifel ausgedrückt
werden, ob in den bisher versuchten Restaurationen 4) bereits
überall das Richtige getroffen sei.

In Betreff der Zusammensetzung des Bildes aus verschie-
denen Stoffen erfahren wir durch Plato 5), dass die Augen,
wie das ganze Gesicht, ferner Hände und Füsse aus Elfenbein
gebildet, die Augensterne aus Stein eingesetzt waren. Aus
Elfenbein war nach Pausanias auch die Gorgo, nicht zu ver-
wechseln mit dem Gorgoneion, d. i. der Aegis, auf der sich
erstere befand 6). Ausserdem mochte an den nackten Theilen
der Nike Elfenbein angewendet sein. Sonst herrschte überall

1) Ueber die verschiedenen Versuche, die darauf bezüglichen Worte des
Plinius (34, 19) zu emendiren, vgl. die Ausgabe von Sillig.
2) Müller u.
Oest. II, 19, n. 203. Gerhard Minervenidole IV, 3.
3) Gerhard V, 5.
4) Quatremère Jup. Ol. p. 226. Gerhard S. 6 u. 21; Taf. II, 1. Schöll Mitth.
S. 67 flgd.
5) Hipp. mai. p. 291 B. C. Die Stelle de republ. IV, p. 420 D.
von schwarzgefärbten Augen der Statuen gehört nicht hierher.
6) Vgl. Pa-
nofka Mus. Blacas, p. 33.
12 *
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[179/0192] endlich sah man die Geburt der Pandora in Gegenwart von zwanzig Göttern dargestellt 1). Obgleich wir uns nach dieser Beschreibung das Bild der Göttin ziemlich vollständig zusammensetzen können, so bleiben doch über einzelne wesentliche Punkte Zweifel, die sich nicht mit Bestimmtheit lösen lassen: so namentlich darüber, in wel- cher Hand sich die Nike befand. Genaue Nachbildungen in Erz oder Marmor, welche über die Vertheilung der Attribute Auskunft geben könnten, fehlen uns leider, oder lassen sich wenigstens nicht sicher nachweisen, da in Marmorwerken die Arme mit den Attributen fast immer restaurirt sind. Ob wir aber als solche die Bilder auf Münzen mehrerer asiatischen Städte 2) anerkennen dürfen, scheint mir wenigstens nicht durchaus unzweifelhaft. Halten wir uns an Pausanias, so ge- hören der Speer und die Schlange, mindestens in ihrer Haupt- masse, auf die eine Seite. Nach den Münzen und einem Re- lief 3), wo die Nike von der Rechten getragen wird, müsste dies die Linke sein, auf welcher auch der Schild seiner Be- stimmung nach am besten Platz findet. Dadurch aber häufen sich auf dieser Seite die Attribute in einer Weise, welche dem künstlerischen Gleichgewicht weit weniger günstig ist, als wenn wir Speer und Schlange auf die rechte, Nike und Schild auf die linke Seite versetzen. Doch soll hiermit die Frage nicht entschieden, sondern nur ein Zweifel ausgedrückt werden, ob in den bisher versuchten Restaurationen 4) bereits überall das Richtige getroffen sei. In Betreff der Zusammensetzung des Bildes aus verschie- denen Stoffen erfahren wir durch Plato 5), dass die Augen, wie das ganze Gesicht, ferner Hände und Füsse aus Elfenbein gebildet, die Augensterne aus Stein eingesetzt waren. Aus Elfenbein war nach Pausanias auch die Gorgo, nicht zu ver- wechseln mit dem Gorgoneion, d. i. der Aegis, auf der sich erstere befand 6). Ausserdem mochte an den nackten Theilen der Nike Elfenbein angewendet sein. Sonst herrschte überall 1) Ueber die verschiedenen Versuche, die darauf bezüglichen Worte des Plinius (34, 19) zu emendiren, vgl. die Ausgabe von Sillig. 2) Müller u. Oest. II, 19, n. 203. Gerhard Minervenidole IV, 3. 3) Gerhard V, 5. 4) Quatremère Jup. Ol. p. 226. Gerhard S. 6 u. 21; Taf. II, 1. Schöll Mitth. S. 67 flgd. 5) Hipp. mai. p. 291 B. C. Die Stelle de republ. IV, p. 420 D. von schwarzgefärbten Augen der Statuen gehört nicht hierher. 6) Vgl. Pa- nofka Mus. Blacas, p. 33. 12 *

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Zitationshilfe: Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/192>, abgerufen am 28.04.2024.