andern Theile des Thrones. Der Grund ist einfach und klar: überall sehen wir runde, mehr oder weniger erhaben gearbei- tete Figuren und Verzierungen, hier dagegen Gemälde. Die blaue Farbe (kuanon), welche auf der Vorderseite allein ange- wendet, auch auf den andern Seiten den Grund der Figuren bilden mochte, giebt eine gewisse Tiefe, und lässt die aus Gold, Elfenbein und Ebenholz gearbeiteten Theile stark hervorspringen. Die Figuren der Gemälde, nach dem Style der damaligen Zeit ohne Schatten, nur in Contouren, die mit einfachen Tinten ausgefüllt waren, mussten ebenfalls den erhabenen Theilen in dem Gewicht der Wirkung nachstehen. So werden die Schran- ken in ihrer Gesammtheit mehr den Eindruck eines gemalten Vorhangs, einer leichten Verkleidung, als einer schweren Ar- chitektur hervorgebracht haben. Ja vergleichen wir nur ein- mal beispielsweise den Restaurationsversuch Quatremere's, so werden wir in demselben sogar den Mangel dieser Schranken empfinden, indem er mit seinen isolirten Füssen, Säulen, Quer- riegeln, durch die man nach allen Seiten durchblickt, mehr an ein Baugerüst erinnert, als an einen würdigen Sitz für den König der Götter.
Wir holen jetzt ein bisher übergangenes Stück in der Be- schreibung des Pausanias nach: "Auf jedem der vorderen Füsse liegen thebanische Knaben von Sphinxen geraubt, und unter den Sphinxen tödten Apollo und Artemis mit ihren Geschossen die Kinder der Niobe." Voraus bemerken wir, dass über den Siegesgöttinnen und Säulen sich die Schwingen befinden muss- ten, welche die Füsse unter einander verbanden und das Sitz- brett trugen. Sodann ist namentlich durch die Vergleichung eleischer Münzen als sicher anzunehmen, dass der Thron Arm- lehnen hatte. Diese aber setzen eine Stütze voraus, welche in gewisser Weise die Fortsetzung der vorderen Füsse nach oben bildete. Dadurch ist für die Vertheilung der von Pausa- nias erwähnten Sculpturen eine doppelte Möglichkeit gegeben: entweder bildeten die Sphinxe die Stütze der Lehnen, und alsdann bleibt für die Niobiden nur Raum auf den Seiten- schwingen; oder die Niobiden sind an den Stützen der Arm- lehnen angebracht und die Sphinxe ruhen auf denselben in der Weise von Akroterien. Eine völlig gesicherte Entschei- dung lässt sich hier nicht geben. Der Ausdruck upo tas sphiggas würde am besten auf den zweiten Fall passen. Allein es ist
andern Theile des Thrones. Der Grund ist einfach und klar: überall sehen wir runde, mehr oder weniger erhaben gearbei- tete Figuren und Verzierungen, hier dagegen Gemälde. Die blaue Farbe (κύανον), welche auf der Vorderseite allein ange- wendet, auch auf den andern Seiten den Grund der Figuren bilden mochte, giebt eine gewisse Tiefe, und lässt die aus Gold, Elfenbein und Ebenholz gearbeiteten Theile stark hervorspringen. Die Figuren der Gemälde, nach dem Style der damaligen Zeit ohne Schatten, nur in Contouren, die mit einfachen Tinten ausgefüllt waren, mussten ebenfalls den erhabenen Theilen in dem Gewicht der Wirkung nachstehen. So werden die Schran- ken in ihrer Gesammtheit mehr den Eindruck eines gemalten Vorhangs, einer leichten Verkleidung, als einer schweren Ar- chitektur hervorgebracht haben. Ja vergleichen wir nur ein- mal beispielsweise den Restaurationsversuch Quatremère’s, so werden wir in demselben sogar den Mangel dieser Schranken empfinden, indem er mit seinen isolirten Füssen, Säulen, Quer- riegeln, durch die man nach allen Seiten durchblickt, mehr an ein Baugerüst erinnert, als an einen würdigen Sitz für den König der Götter.
Wir holen jetzt ein bisher übergangenes Stück in der Be- schreibung des Pausanias nach: „Auf jedem der vorderen Füsse liegen thebanische Knaben von Sphinxen geraubt, und unter den Sphinxen tödten Apollo und Artemis mit ihren Geschossen die Kinder der Niobe.” Voraus bemerken wir, dass über den Siegesgöttinnen und Säulen sich die Schwingen befinden muss- ten, welche die Füsse unter einander verbanden und das Sitz- brett trugen. Sodann ist namentlich durch die Vergleichung eleischer Münzen als sicher anzunehmen, dass der Thron Arm- lehnen hatte. Diese aber setzen eine Stütze voraus, welche in gewisser Weise die Fortsetzung der vorderen Füsse nach oben bildete. Dadurch ist für die Vertheilung der von Pausa- nias erwähnten Sculpturen eine doppelte Möglichkeit gegeben: entweder bildeten die Sphinxe die Stütze der Lehnen, und alsdann bleibt für die Niobiden nur Raum auf den Seiten- schwingen; oder die Niobiden sind an den Stützen der Arm- lehnen angebracht und die Sphinxe ruhen auf denselben in der Weise von Akroterien. Eine völlig gesicherte Entschei- dung lässt sich hier nicht geben. Der Ausdruck ὑπὸ τὰς σφίγγας würde am besten auf den zweiten Fall passen. Allein es ist
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andern Theile des Thrones. Der Grund ist einfach und klar:
überall sehen wir runde, mehr oder weniger erhaben gearbei-
tete Figuren und Verzierungen, hier dagegen Gemälde. Die
blaue Farbe (κύανον), welche auf der Vorderseite allein ange-
wendet, auch auf den andern Seiten den Grund der Figuren
bilden mochte, giebt eine gewisse Tiefe, und lässt die aus Gold,
Elfenbein und Ebenholz gearbeiteten Theile stark hervorspringen.
Die Figuren der Gemälde, nach dem Style der damaligen Zeit
ohne Schatten, nur in Contouren, die mit einfachen Tinten
ausgefüllt waren, mussten ebenfalls den erhabenen Theilen in
dem Gewicht der Wirkung nachstehen. So werden die Schran-
ken in ihrer Gesammtheit mehr den Eindruck eines gemalten
Vorhangs, einer leichten Verkleidung, als einer schweren Ar-
chitektur hervorgebracht haben. Ja vergleichen wir nur ein-
mal beispielsweise den Restaurationsversuch Quatremère’s, so
werden wir in demselben sogar den Mangel dieser Schranken
empfinden, indem er mit seinen isolirten Füssen, Säulen, Quer-
riegeln, durch die man nach allen Seiten durchblickt, mehr an
ein Baugerüst erinnert, als an einen würdigen Sitz für den
König der Götter.
Wir holen jetzt ein bisher übergangenes Stück in der Be-
schreibung des Pausanias nach: „Auf jedem der vorderen Füsse
liegen thebanische Knaben von Sphinxen geraubt, und unter
den Sphinxen tödten Apollo und Artemis mit ihren Geschossen
die Kinder der Niobe.” Voraus bemerken wir, dass über den
Siegesgöttinnen und Säulen sich die Schwingen befinden muss-
ten, welche die Füsse unter einander verbanden und das Sitz-
brett trugen. Sodann ist namentlich durch die Vergleichung
eleischer Münzen als sicher anzunehmen, dass der Thron Arm-
lehnen hatte. Diese aber setzen eine Stütze voraus, welche
in gewisser Weise die Fortsetzung der vorderen Füsse nach
oben bildete. Dadurch ist für die Vertheilung der von Pausa-
nias erwähnten Sculpturen eine doppelte Möglichkeit gegeben:
entweder bildeten die Sphinxe die Stütze der Lehnen, und
alsdann bleibt für die Niobiden nur Raum auf den Seiten-
schwingen; oder die Niobiden sind an den Stützen der Arm-
lehnen angebracht und die Sphinxe ruhen auf denselben in
der Weise von Akroterien. Eine völlig gesicherte Entschei-
dung lässt sich hier nicht geben. Der Ausdruck ὑπὸ τὰς σφίγγας
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/186>, abgerufen am 22.11.2024.
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