Handschrift des Plinius (34, 72) bestätigt worden. Das einzi- ge von ihm bekannte Werk ist eine Löwin, über welche Pli- nius Folgendes berichtet: Leaena war der Name oder Beiname einer Hetaere des Aristogeiton, welche Hippias durch die Fol- ter zum Geständniss über die Mordpläne gegen seinen Bruder zu bringen versuchte; allein sie schwieg standhaft bis zum Tode. Da nun die Athener ihr deshalb ein Denkmal errichten, aber doch nicht geradezu eine Hetaere feiern wollten, so stell- ten sie an ihrer Statt das Bild des gleichnamigen Thieres auf und liessen, um die Schweigsamkeit anzudeuten, durch welche sie eine solche Ehre verdient hatte, von dem Künstler das Thier ohne Zunge bilden. Aus Pausanias (I, 23, 2) und Plu- tarch (de garrul. 8) ersehen wir, dass diese Löwin am Ein- gange der Akropolis zu Athen aufgestellt war. Von einer Verbindung des Antenor und Amphikrates mit den alt-atti- schen Daedaliden schweigen unsere Quellen. Wir müssen in- dessen wegen des folgenden Künstlers noch einmal zu ihnen zurückkehren.
Endoeos.
Um unbefangen über diesen Künstler zu urtheilen, stellen wir voran, was wir von seinen Werken wissen. Diese sind:
1) ein sitzendes Bild der Athene, von Kallias geweiht und neben dem Erechtheum auf der Akropolis von Athen auf- gestellt: Paus. I, 26, 5. Ob sich die Erwähnung einer sitzen- den Athene bei Athenagoras (leg. pr. Chr. 14. p. 60 ed. De- chair) auf dieses oder ein anderes Bild des Endoeos bezieht, lässt sich nicht mit Bestimmtheit entscheiden, ist aber auch nicht von grosser Bedeutung. Von einem Holzbilde, wie man geglaubt hat, sind die Worte des Athenagoras nicht nothwen- dig zu verstehen; denn die Erwähnung des Oelbaums bezieht sich, wie Welcker bemerkt, auf den Namen, nicht auf das Bild der Göttin. Das athenische stand nach Pausanias im Frei- en, muss also aus dauerhafterem Material, aller Wahrschein- lichkeit nach aus Marmor gearbeitet gewesen sein. Nicht un- möglich ist es, dass wir dieses Werk selbst noch besitzen. In Athen nemlich befindet sich eine bis auf Kopf und Arme ziemlich erhaltene Pallasstatue von altem Styl, so wie von einer andern verwandten Figur, die indessen ebenfalls für eine Pallas gehalten wird, nur die untere Hälfte. Die letztere ward bei der Nordseite des Erechtheum, die andere an-
Handschrift des Plinius (34, 72) bestätigt worden. Das einzi- ge von ihm bekannte Werk ist eine Löwin, über welche Pli- nius Folgendes berichtet: Leaena war der Name oder Beiname einer Hetaere des Aristogeiton, welche Hippias durch die Fol- ter zum Geständniss über die Mordpläne gegen seinen Bruder zu bringen versuchte; allein sie schwieg standhaft bis zum Tode. Da nun die Athener ihr deshalb ein Denkmal errichten, aber doch nicht geradezu eine Hetaere feiern wollten, so stell- ten sie an ihrer Statt das Bild des gleichnamigen Thieres auf und liessen, um die Schweigsamkeit anzudeuten, durch welche sie eine solche Ehre verdient hatte, von dem Künstler das Thier ohne Zunge bilden. Aus Pausanias (I, 23, 2) und Plu- tarch (de garrul. 8) ersehen wir, dass diese Löwin am Ein- gange der Akropolis zu Athen aufgestellt war. Von einer Verbindung des Antenor und Amphikrates mit den alt-atti- schen Daedaliden schweigen unsere Quellen. Wir müssen in- dessen wegen des folgenden Künstlers noch einmal zu ihnen zurückkehren.
Endoeos.
Um unbefangen über diesen Künstler zu urtheilen, stellen wir voran, was wir von seinen Werken wissen. Diese sind:
1) ein sitzendes Bild der Athene, von Kallias geweiht und neben dem Erechtheum auf der Akropolis von Athen auf- gestellt: Paus. I, 26, 5. Ob sich die Erwähnung einer sitzen- den Athene bei Athenagoras (leg. pr. Chr. 14. p. 60 ed. De- chair) auf dieses oder ein anderes Bild des Endoeos bezieht, lässt sich nicht mit Bestimmtheit entscheiden, ist aber auch nicht von grosser Bedeutung. Von einem Holzbilde, wie man geglaubt hat, sind die Worte des Athenagoras nicht nothwen- dig zu verstehen; denn die Erwähnung des Oelbaums bezieht sich, wie Welcker bemerkt, auf den Namen, nicht auf das Bild der Göttin. Das athenische stand nach Pausanias im Frei- en, muss also aus dauerhafterem Material, aller Wahrschein- lichkeit nach aus Marmor gearbeitet gewesen sein. Nicht un- möglich ist es, dass wir dieses Werk selbst noch besitzen. In Athen nemlich befindet sich eine bis auf Kopf und Arme ziemlich erhaltene Pallasstatue von altem Styl, so wie von einer andern verwandten Figur, die indessen ebenfalls für eine Pallas gehalten wird, nur die untere Hälfte. Die letztere ward bei der Nordseite des Erechtheum, die andere an-
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Handschrift des Plinius (34, 72) bestätigt worden. Das einzi-
ge von ihm bekannte Werk ist eine Löwin, über welche Pli-
nius Folgendes berichtet: Leaena war der Name oder Beiname
einer Hetaere des Aristogeiton, welche Hippias durch die Fol-
ter zum Geständniss über die Mordpläne gegen seinen Bruder
zu bringen versuchte; allein sie schwieg standhaft bis zum
Tode. Da nun die Athener ihr deshalb ein Denkmal errichten,
aber doch nicht geradezu eine Hetaere feiern wollten, so stell-
ten sie an ihrer Statt das Bild des gleichnamigen Thieres auf
und liessen, um die Schweigsamkeit anzudeuten, durch welche
sie eine solche Ehre verdient hatte, von dem Künstler das
Thier ohne Zunge bilden. Aus Pausanias (I, 23, 2) und Plu-
tarch (de garrul. 8) ersehen wir, dass diese Löwin am Ein-
gange der Akropolis zu Athen aufgestellt war. Von einer
Verbindung des Antenor und Amphikrates mit den alt-atti-
schen Daedaliden schweigen unsere Quellen. Wir müssen in-
dessen wegen des folgenden Künstlers noch einmal zu ihnen
zurückkehren.
Endoeos.
Um unbefangen über diesen Künstler zu urtheilen, stellen
wir voran, was wir von seinen Werken wissen. Diese sind:
1) ein sitzendes Bild der Athene, von Kallias geweiht
und neben dem Erechtheum auf der Akropolis von Athen auf-
gestellt: Paus. I, 26, 5. Ob sich die Erwähnung einer sitzen-
den Athene bei Athenagoras (leg. pr. Chr. 14. p. 60 ed. De-
chair) auf dieses oder ein anderes Bild des Endoeos bezieht,
lässt sich nicht mit Bestimmtheit entscheiden, ist aber auch
nicht von grosser Bedeutung. Von einem Holzbilde, wie man
geglaubt hat, sind die Worte des Athenagoras nicht nothwen-
dig zu verstehen; denn die Erwähnung des Oelbaums bezieht
sich, wie Welcker bemerkt, auf den Namen, nicht auf das
Bild der Göttin. Das athenische stand nach Pausanias im Frei-
en, muss also aus dauerhafterem Material, aller Wahrschein-
lichkeit nach aus Marmor gearbeitet gewesen sein. Nicht un-
möglich ist es, dass wir dieses Werk selbst noch besitzen.
In Athen nemlich befindet sich eine bis auf Kopf und Arme
ziemlich erhaltene Pallasstatue von altem Styl, so wie von
einer andern verwandten Figur, die indessen ebenfalls für eine
Pallas gehalten wird, nur die untere Hälfte. Die letztere
ward bei der Nordseite des Erechtheum, die andere an-
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Brunn, Heinrich von: Geschichte der griechischen Künstler. Bd. 1. Braunschweig: Schwetschke, 1853, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brunn_griechen01_1853/111>, abgerufen am 24.11.2024.
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