Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

fror die Newa in 24 Stunden so stark, daß man dar-
über gehen konnte, welches von den großen Eisschol-
len herrührte, die aus der Ladogasee herunter kamen.
Sie gefroren an einander an, und weil der starke
Strom ein Stück auf das andere trieb, so ward das
Eis sehr dick und uneben, so daß man die Wege von ei-
nem Theile der Stadt zu dem andern hauen mußte. Das
Eis brach nicht eher als den 1 sten May auf, und es wurde
dem Volke durch einen Kanonenschuß ein Zeichen gege-
ben, daß es sich nicht mehr darauf wagen sollte. Es gieng
hierauf plötzlich mit einem großen Getöse auf, und nach
2 oder 3 Stunden war alles fort; ein Theil davon geht
in die See, aber der größte Theil sinkt zu Boden. Die-
ser Warnung ungeachtet, ertrinken jeden Frühling, weil
der Aufbruch so plötzlich geschieht, viele Personen.

Da man mir öfters gesaget hatte, daß die BärenVersuch mit
einem Bä-
ren.

den ganzen Winter unter dem Schnee begraben lägen,
und weiter nichts zu leben haben, als daß sie an den
Pfoten saugen, und mir dieses unglaublich zu seyn
schien, so schaffte ich mir einen jungen Bären an, und
erzog ihn, bis er sehr groß wurde. Jch befestigte einen
Pfahl, worauf ein Rad lag, in die Erde, machte dem
Bär eine Kette um den Hals und einen Ring um den
Pfahl, und setzte ihm einen großen Kasten hin, daß
er darinn liegen konnte. Er kletterte an dem Pfahl
hinauf, setzte sich auf das Rad, und machte seltsame
Possen, die sehr lustig anzusehen waren. Jch für-
terte ihn mit Brot und Hafer, und gab ihm niemals
Fleisch. Er riß sich zuweilen los, und lief in ein
Gewölbe, das in meiner Nachbarschaft war, wo sie
Honig verkauften, und fraß sich satt, weil sich jeder-
mann vor ihm fürchtete, und ihn niemand fortjagte.

Sobald
L 4

fror die Newa in 24 Stunden ſo ſtark, daß man dar-
uͤber gehen konnte, welches von den großen Eisſchol-
len herruͤhrte, die aus der Ladogaſee herunter kamen.
Sie gefroren an einander an, und weil der ſtarke
Strom ein Stuͤck auf das andere trieb, ſo ward das
Eis ſehr dick und uneben, ſo daß man die Wege von ei-
nem Theile der Stadt zu dem andern hauen mußte. Das
Eis brach nicht eher als den 1 ſten May auf, und es wurde
dem Volke durch einen Kanonenſchuß ein Zeichen gege-
ben, daß es ſich nicht mehr darauf wagen ſollte. Es gieng
hierauf ploͤtzlich mit einem großen Getoͤſe auf, und nach
2 oder 3 Stunden war alles fort; ein Theil davon geht
in die See, aber der groͤßte Theil ſinkt zu Boden. Die-
ſer Warnung ungeachtet, ertrinken jeden Fruͤhling, weil
der Aufbruch ſo ploͤtzlich geſchieht, viele Perſonen.

Da man mir oͤfters geſaget hatte, daß die BaͤrenVerſuch mit
einem Baͤ-
ren.

den ganzen Winter unter dem Schnee begraben laͤgen,
und weiter nichts zu leben haben, als daß ſie an den
Pfoten ſaugen, und mir dieſes unglaublich zu ſeyn
ſchien, ſo ſchaffte ich mir einen jungen Baͤren an, und
erzog ihn, bis er ſehr groß wurde. Jch befeſtigte einen
Pfahl, worauf ein Rad lag, in die Erde, machte dem
Baͤr eine Kette um den Hals und einen Ring um den
Pfahl, und ſetzte ihm einen großen Kaſten hin, daß
er darinn liegen konnte. Er kletterte an dem Pfahl
hinauf, ſetzte ſich auf das Rad, und machte ſeltſame
Poſſen, die ſehr luſtig anzuſehen waren. Jch fuͤr-
terte ihn mit Brot und Hafer, und gab ihm niemals
Fleiſch. Er riß ſich zuweilen los, und lief in ein
Gewoͤlbe, das in meiner Nachbarſchaft war, wo ſie
Honig verkauften, und fraß ſich ſatt, weil ſich jeder-
mann vor ihm fuͤrchtete, und ihn niemand fortjagte.

Sobald
L 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0177" n="167"/>
fror die Newa in 24 Stunden &#x017F;o &#x017F;tark, daß man dar-<lb/>
u&#x0364;ber gehen konnte, welches von den großen Eis&#x017F;chol-<lb/>
len herru&#x0364;hrte, die aus der Ladoga&#x017F;ee herunter kamen.<lb/>
Sie gefroren an einander an, und weil der &#x017F;tarke<lb/>
Strom ein Stu&#x0364;ck auf das andere trieb, &#x017F;o ward das<lb/>
Eis &#x017F;ehr dick und uneben, &#x017F;o daß man die Wege von ei-<lb/>
nem Theile der Stadt zu dem andern hauen mußte. Das<lb/>
Eis brach nicht eher als den 1 &#x017F;ten May auf, und es wurde<lb/>
dem Volke durch einen Kanonen&#x017F;chuß ein Zeichen gege-<lb/>
ben, daß es &#x017F;ich nicht mehr darauf wagen &#x017F;ollte. Es gieng<lb/>
hierauf plo&#x0364;tzlich mit einem großen Geto&#x0364;&#x017F;e auf, und nach<lb/>
2 oder 3 Stunden war alles fort; ein Theil davon geht<lb/>
in die See, aber der gro&#x0364;ßte Theil &#x017F;inkt zu Boden. Die-<lb/>
&#x017F;er Warnung ungeachtet, ertrinken jeden Fru&#x0364;hling, weil<lb/>
der Aufbruch &#x017F;o plo&#x0364;tzlich ge&#x017F;chieht, viele Per&#x017F;onen.</p><lb/>
        <p>Da man mir o&#x0364;fters ge&#x017F;aget hatte, daß die Ba&#x0364;ren<note place="right">Ver&#x017F;uch mit<lb/>
einem Ba&#x0364;-<lb/>
ren.</note><lb/>
den ganzen Winter unter dem Schnee begraben la&#x0364;gen,<lb/>
und weiter nichts zu leben haben, als daß &#x017F;ie an den<lb/>
Pfoten &#x017F;augen, und mir die&#x017F;es unglaublich zu &#x017F;eyn<lb/>
&#x017F;chien, &#x017F;o &#x017F;chaffte ich mir einen jungen Ba&#x0364;ren an, und<lb/>
erzog ihn, bis er &#x017F;ehr groß wurde. Jch befe&#x017F;tigte einen<lb/>
Pfahl, worauf ein Rad lag, in die Erde, machte dem<lb/>
Ba&#x0364;r eine Kette um den Hals und einen Ring um den<lb/>
Pfahl, und &#x017F;etzte ihm einen großen Ka&#x017F;ten hin, daß<lb/>
er darinn liegen konnte. Er kletterte an dem Pfahl<lb/>
hinauf, &#x017F;etzte &#x017F;ich auf das Rad, und machte &#x017F;elt&#x017F;ame<lb/>
Po&#x017F;&#x017F;en, die &#x017F;ehr lu&#x017F;tig anzu&#x017F;ehen waren. Jch fu&#x0364;r-<lb/>
terte ihn mit Brot und Hafer, und gab ihm niemals<lb/>
Flei&#x017F;ch. Er riß &#x017F;ich zuweilen los, und lief in ein<lb/>
Gewo&#x0364;lbe, das in meiner Nachbar&#x017F;chaft war, wo &#x017F;ie<lb/>
Honig verkauften, und fraß &#x017F;ich &#x017F;att, weil &#x017F;ich jeder-<lb/>
mann vor ihm fu&#x0364;rchtete, und ihn niemand fortjagte.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Sobald</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0177] fror die Newa in 24 Stunden ſo ſtark, daß man dar- uͤber gehen konnte, welches von den großen Eisſchol- len herruͤhrte, die aus der Ladogaſee herunter kamen. Sie gefroren an einander an, und weil der ſtarke Strom ein Stuͤck auf das andere trieb, ſo ward das Eis ſehr dick und uneben, ſo daß man die Wege von ei- nem Theile der Stadt zu dem andern hauen mußte. Das Eis brach nicht eher als den 1 ſten May auf, und es wurde dem Volke durch einen Kanonenſchuß ein Zeichen gege- ben, daß es ſich nicht mehr darauf wagen ſollte. Es gieng hierauf ploͤtzlich mit einem großen Getoͤſe auf, und nach 2 oder 3 Stunden war alles fort; ein Theil davon geht in die See, aber der groͤßte Theil ſinkt zu Boden. Die- ſer Warnung ungeachtet, ertrinken jeden Fruͤhling, weil der Aufbruch ſo ploͤtzlich geſchieht, viele Perſonen. Da man mir oͤfters geſaget hatte, daß die Baͤren den ganzen Winter unter dem Schnee begraben laͤgen, und weiter nichts zu leben haben, als daß ſie an den Pfoten ſaugen, und mir dieſes unglaublich zu ſeyn ſchien, ſo ſchaffte ich mir einen jungen Baͤren an, und erzog ihn, bis er ſehr groß wurde. Jch befeſtigte einen Pfahl, worauf ein Rad lag, in die Erde, machte dem Baͤr eine Kette um den Hals und einen Ring um den Pfahl, und ſetzte ihm einen großen Kaſten hin, daß er darinn liegen konnte. Er kletterte an dem Pfahl hinauf, ſetzte ſich auf das Rad, und machte ſeltſame Poſſen, die ſehr luſtig anzuſehen waren. Jch fuͤr- terte ihn mit Brot und Hafer, und gab ihm niemals Fleiſch. Er riß ſich zuweilen los, und lief in ein Gewoͤlbe, das in meiner Nachbarſchaft war, wo ſie Honig verkauften, und fraß ſich ſatt, weil ſich jeder- mann vor ihm fuͤrchtete, und ihn niemand fortjagte. Sobald Verſuch mit einem Baͤ- ren. L 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/177
Zitationshilfe: Bruce, Peter Henry: Des Herrn Peter Heinrich Bruce [...] Nachrichten von seinen Reisen in Deutschland, Rußland, die Tartarey, Türkey, Westindien u. s. f. Leipzig, 1784, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bruce_reisen_1784/177>, abgerufen am 03.05.2024.