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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

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zum vergnügten und gelassenen Sterben.

Jch weis, was du noch sagen kannst, dieß nämlich:
"Bey noch längerm Leben

"Hätt' er sich doch noch bessern können." O ja vielleicht!
dieß geb ich zu.

Doch sage mir, vermeynest du,
Er hätte solches auch gethan? Chrysostomus sagt hie-
von schön:
"Hätt' er sein Leben ändern wollen; so hätt' es Gott
vorhergesehn,

"Und würd' ihn also vor der Zeit gewiß nicht weggerissen
haben."

Und noch an einem andern Ort: "Jndem ein frecher
Sünder fällt,

"Sind viele Sünden unterdrückt. Denn hätte Gott,
der Herr der Welt,

"Gesehn, er würde Buße thun: würd' er ihn, eh die
Stunde kommen,

"Nicht haben von der Welt genommen."

So sey denn ruhig, wer du seyst, und unbekümmert
um die Stunde,

Die Gott in seinen Händen hat. Vielmehr bemüh' dich,
die Secunde

Des Lebens, die in deiner Hand, so viel du kannst,
wohl anzuwenden.

Du wünschest einen guten Tod, daß sich dein Leben wohl
mag enden,

Thu itzo recht, du machst ihn gut, es steht in deinen
eignen Händen.
Jnzwi-
Q q 5

zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.

Jch weis, was du noch ſagen kannſt, dieß naͤmlich:
„Bey noch laͤngerm Leben

„Haͤtt’ er ſich doch noch beſſern koͤnnen.“ O ja vielleicht!
dieß geb ich zu.

Doch ſage mir, vermeyneſt du,
Er haͤtte ſolches auch gethan? Chryſoſtomus ſagt hie-
von ſchoͤn:
„Haͤtt’ er ſein Leben aͤndern wollen; ſo haͤtt’ es Gott
vorhergeſehn,

„Und wuͤrd’ ihn alſo vor der Zeit gewiß nicht weggeriſſen
haben.“

Und noch an einem andern Ort: „Jndem ein frecher
Suͤnder faͤllt,

„Sind viele Suͤnden unterdruͤckt. Denn haͤtte Gott,
der Herr der Welt,

„Geſehn, er wuͤrde Buße thun: wuͤrd’ er ihn, eh die
Stunde kommen,

„Nicht haben von der Welt genommen.“

So ſey denn ruhig, wer du ſeyſt, und unbekuͤmmert
um die Stunde,

Die Gott in ſeinen Haͤnden hat. Vielmehr bemuͤh’ dich,
die Secunde

Des Lebens, die in deiner Hand, ſo viel du kannſt,
wohl anzuwenden.

Du wuͤnſcheſt einen guten Tod, daß ſich dein Leben wohl
mag enden,

Thu itzo recht, du machſt ihn gut, es ſteht in deinen
eignen Haͤnden.
Jnzwi-
Q q 5
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[617/0637] zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben. Jch weis, was du noch ſagen kannſt, dieß naͤmlich: „Bey noch laͤngerm Leben „Haͤtt’ er ſich doch noch beſſern koͤnnen.“ O ja vielleicht! dieß geb ich zu. Doch ſage mir, vermeyneſt du, Er haͤtte ſolches auch gethan? Chryſoſtomus ſagt hie- von ſchoͤn: „Haͤtt’ er ſein Leben aͤndern wollen; ſo haͤtt’ es Gott vorhergeſehn, „Und wuͤrd’ ihn alſo vor der Zeit gewiß nicht weggeriſſen haben.“ Und noch an einem andern Ort: „Jndem ein frecher Suͤnder faͤllt, „Sind viele Suͤnden unterdruͤckt. Denn haͤtte Gott, der Herr der Welt, „Geſehn, er wuͤrde Buße thun: wuͤrd’ er ihn, eh die Stunde kommen, „Nicht haben von der Welt genommen.“ So ſey denn ruhig, wer du ſeyſt, und unbekuͤmmert um die Stunde, Die Gott in ſeinen Haͤnden hat. Vielmehr bemuͤh’ dich, die Secunde Des Lebens, die in deiner Hand, ſo viel du kannſt, wohl anzuwenden. Du wuͤnſcheſt einen guten Tod, daß ſich dein Leben wohl mag enden, Thu itzo recht, du machſt ihn gut, es ſteht in deinen eignen Haͤnden. Jnzwi- Q q 5

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 617. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/637>, abgerufen am 02.05.2024.