Vielleicht, daß die Natur bey dir weit starker, wo du sie vielmehr Durch Schlemmen nicht noch unterdrücket und über- trieben hast: Doch hör Ein wenig noch von meiner Lehr!
Bist du davon nicht überführt, dir sey von Gott ein Ziel gesetzet, Und hast du nicht schon zugestanden, daß dieß die Ord- nung nicht verletzet? Nun frag ich dich: Wenn eine Mauer sollt' heut' herab genommen seyn, Noch heute Platz und Grund geebnet, der Abend aber bräch herein, Und stünd' annoch ein großer Theil; was der denn etwan, welcher wollte, Daß dieß Gebäude noch vor Abend und heute noch her- unter sollte, Zu seinem Endzweck zu gelangen, Vermuthlich sich entschließen würde, sodann die Arbeit anzufangen?
B. "Man muß so Fleiß als Kraft vermehren; mehr Hände sind noch anzustellen, "Um mit stets wiederholten Schlägen der Mauer Härtig- keit zu fällen."
A. Gar recht. Allein erblickst du nicht, daß dieses auch mit dir geschehe, Die Todesstund ist dir gesetzt. Dein Körper ist noch stark und zähe, Noch keine Krankheit, die vorbey, hat deinen Körper gnug verletzt,
Sie
P p 2
zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
Vielleicht, daß die Natur bey dir weit ſtarker, wo du ſie vielmehr Durch Schlemmen nicht noch unterdruͤcket und uͤber- trieben haſt: Doch hoͤr Ein wenig noch von meiner Lehr!
Biſt du davon nicht uͤberfuͤhrt, dir ſey von Gott ein Ziel geſetzet, Und haſt du nicht ſchon zugeſtanden, daß dieß die Ord- nung nicht verletzet? Nun frag ich dich: Wenn eine Mauer ſollt’ heut’ herab genommen ſeyn, Noch heute Platz und Grund geebnet, der Abend aber braͤch herein, Und ſtuͤnd’ annoch ein großer Theil; was der denn etwan, welcher wollte, Daß dieß Gebaͤude noch vor Abend und heute noch her- unter ſollte, Zu ſeinem Endzweck zu gelangen, Vermuthlich ſich entſchließen wuͤrde, ſodann die Arbeit anzufangen?
B. „Man muß ſo Fleiß als Kraft vermehren; mehr Haͤnde ſind noch anzuſtellen, „Um mit ſtets wiederholten Schlaͤgen der Mauer Haͤrtig- keit zu faͤllen.“
A. Gar recht. Allein erblickſt du nicht, daß dieſes auch mit dir geſchehe, Die Todesſtund iſt dir geſetzt. Dein Koͤrper iſt noch ſtark und zaͤhe, Noch keine Krankheit, die vorbey, hat deinen Koͤrper gnug verletzt,
Sie
P p 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><lg><l><pbfacs="#f0615"n="595"/><fwplace="top"type="header">zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.</fw></l><lb/><l>Vielleicht, daß die Natur bey dir weit ſtarker, wo du<lb/><hirendition="#et">ſie vielmehr</hi></l><lb/><l>Durch Schlemmen nicht noch unterdruͤcket und uͤber-<lb/><hirendition="#et">trieben haſt: Doch hoͤr</hi></l><lb/><l>Ein wenig noch von meiner Lehr!</l></lg><lb/><lg><l>Biſt du davon nicht uͤberfuͤhrt, dir ſey von Gott ein<lb/><hirendition="#et">Ziel geſetzet,</hi></l><lb/><l>Und haſt du nicht ſchon zugeſtanden, daß dieß die Ord-<lb/><hirendition="#et">nung nicht verletzet?</hi></l><lb/><l>Nun frag ich dich: Wenn eine Mauer ſollt’ heut’ herab<lb/><hirendition="#et">genommen ſeyn,</hi></l><lb/><l>Noch heute Platz und Grund geebnet, der Abend aber<lb/><hirendition="#et">braͤch herein,</hi></l><lb/><l>Und ſtuͤnd’ annoch ein großer Theil; was der denn etwan,<lb/><hirendition="#et">welcher wollte,</hi></l><lb/><l>Daß dieß Gebaͤude noch vor Abend und heute noch her-<lb/><hirendition="#et">unter ſollte,</hi></l><lb/><l>Zu ſeinem Endzweck zu gelangen,</l><lb/><l>Vermuthlich ſich entſchließen wuͤrde, ſodann die Arbeit<lb/><hirendition="#et">anzufangen?</hi></l></lg><lb/><lg><l>B. „Man muß ſo Fleiß als Kraft vermehren; mehr<lb/><hirendition="#et">Haͤnde ſind noch anzuſtellen,</hi></l><lb/><l>„Um mit ſtets wiederholten Schlaͤgen der Mauer Haͤrtig-<lb/><hirendition="#et">keit zu faͤllen.“</hi></l></lg><lb/><lg><l>A. Gar recht. Allein erblickſt du nicht, daß dieſes<lb/><hirendition="#et">auch mit dir geſchehe,</hi></l><lb/><l>Die Todesſtund iſt dir geſetzt.</l><lb/><l>Dein Koͤrper iſt noch ſtark und zaͤhe,</l><lb/><l>Noch keine Krankheit, die vorbey, hat deinen Koͤrper<lb/><hirendition="#et">gnug verletzt,</hi><lb/><fwplace="bottom"type="sig">P p 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Sie</fw><lb/></l></lg></div></div></div></body></text></TEI>
[595/0615]
zum vergnuͤgten und gelaſſenen Sterben.
Vielleicht, daß die Natur bey dir weit ſtarker, wo du
ſie vielmehr
Durch Schlemmen nicht noch unterdruͤcket und uͤber-
trieben haſt: Doch hoͤr
Ein wenig noch von meiner Lehr!
Biſt du davon nicht uͤberfuͤhrt, dir ſey von Gott ein
Ziel geſetzet,
Und haſt du nicht ſchon zugeſtanden, daß dieß die Ord-
nung nicht verletzet?
Nun frag ich dich: Wenn eine Mauer ſollt’ heut’ herab
genommen ſeyn,
Noch heute Platz und Grund geebnet, der Abend aber
braͤch herein,
Und ſtuͤnd’ annoch ein großer Theil; was der denn etwan,
welcher wollte,
Daß dieß Gebaͤude noch vor Abend und heute noch her-
unter ſollte,
Zu ſeinem Endzweck zu gelangen,
Vermuthlich ſich entſchließen wuͤrde, ſodann die Arbeit
anzufangen?
B. „Man muß ſo Fleiß als Kraft vermehren; mehr
Haͤnde ſind noch anzuſtellen,
„Um mit ſtets wiederholten Schlaͤgen der Mauer Haͤrtig-
keit zu faͤllen.“
A. Gar recht. Allein erblickſt du nicht, daß dieſes
auch mit dir geſchehe,
Die Todesſtund iſt dir geſetzt.
Dein Koͤrper iſt noch ſtark und zaͤhe,
Noch keine Krankheit, die vorbey, hat deinen Koͤrper
gnug verletzt,
Sie
P p 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/615>, abgerufen am 02.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.