Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Anleitung

Quälen und zerfoltern werden. Es wird dir vielleicht
geraubt

Aller Reichthum, all dein Gut. Ja vielleicht schwebt
der Verlust

Deiner Ehre, deiner Würde, über dein veraltert Haupt,
So, daß du den andern Menschen zum Gespötte werden
mußt.

Man wird bey verlängtem Leben dich vielleicht ins Elend
schicken.

Die Entehrung deiner Kinder harr't vielleicht dereinst
auf dich.

Es zerfoltert dich vielleicht Stein und Lähmung jämmerlich.
Und vielleicht wird dich die Last einer bittern Armuth
drücken.

B. "Nein, dieß alles will ich nicht;
"Aber wie so ungewiß ist, daß dieß dereinst geschicht."

A. Jch gesteh' es. Aber hör: Klagtest du nicht bittre
Klagen:

Es fiel dir ein solches Leben fast nicht möglich zu ertragen,
Da dein Sterben ungewiß? Nun es sey. Doch ist ein
Leben,

Worinn wir in solchen Plagen stets in Ungewißheit
schweben,

Die noch ärger als der Tod, so vergnüglich? merke doch,
Wie dein Wunsch so ungerecht: Du verlangst ein Leben
nicht,

Wo das Sterben ungewiß, und verlangest jedennoch
Ein, und zwar ein langes, Leben, wo dein Glück so leicht
zerbricht,

Seine Dauer ungewiß, und womit, zu deinem Scha-
den,

Du leicht könntest elend seyn und mit langer Last bela-
den.

Daß

Anleitung

Quaͤlen und zerfoltern werden. Es wird dir vielleicht
geraubt

Aller Reichthum, all dein Gut. Ja vielleicht ſchwebt
der Verluſt

Deiner Ehre, deiner Wuͤrde, uͤber dein veraltert Haupt,
So, daß du den andern Menſchen zum Geſpoͤtte werden
mußt.

Man wird bey verlaͤngtem Leben dich vielleicht ins Elend
ſchicken.

Die Entehrung deiner Kinder harr’t vielleicht dereinſt
auf dich.

Es zerfoltert dich vielleicht Stein und Laͤhmung jaͤmmerlich.
Und vielleicht wird dich die Laſt einer bittern Armuth
druͤcken.

B. „Nein, dieß alles will ich nicht;
„Aber wie ſo ungewiß iſt, daß dieß dereinſt geſchicht.“

A. Jch geſteh’ es. Aber hoͤr: Klagteſt du nicht bittre
Klagen:

Es fiel dir ein ſolches Leben faſt nicht moͤglich zu ertragen,
Da dein Sterben ungewiß? Nun es ſey. Doch iſt ein
Leben,

Worinn wir in ſolchen Plagen ſtets in Ungewißheit
ſchweben,

Die noch aͤrger als der Tod, ſo vergnuͤglich? merke doch,
Wie dein Wunſch ſo ungerecht: Du verlangſt ein Leben
nicht,

Wo das Sterben ungewiß, und verlangeſt jedennoch
Ein, und zwar ein langes, Leben, wo dein Gluͤck ſo leicht
zerbricht,

Seine Dauer ungewiß, und womit, zu deinem Scha-
den,

Du leicht koͤnnteſt elend ſeyn und mit langer Laſt bela-
den.

Daß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg>
              <l>
                <pb facs="#f0604" n="584"/>
                <fw place="top" type="header">Anleitung</fw>
              </l><lb/>
              <l>Qua&#x0364;len und zerfoltern werden. Es wird dir vielleicht<lb/><hi rendition="#et">geraubt</hi></l><lb/>
              <l>Aller Reichthum, all dein Gut. Ja vielleicht &#x017F;chwebt<lb/><hi rendition="#et">der Verlu&#x017F;t</hi></l><lb/>
              <l>Deiner Ehre, deiner Wu&#x0364;rde, u&#x0364;ber dein veraltert Haupt,</l><lb/>
              <l>So, daß du den andern Men&#x017F;chen zum Ge&#x017F;po&#x0364;tte werden<lb/><hi rendition="#et">mußt.</hi></l><lb/>
              <l>Man wird bey verla&#x0364;ngtem Leben dich vielleicht ins Elend<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chicken.</hi></l><lb/>
              <l>Die Entehrung deiner Kinder harr&#x2019;t vielleicht derein&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">auf dich.</hi></l><lb/>
              <l>Es zerfoltert dich vielleicht Stein und La&#x0364;hmung ja&#x0364;mmerlich.</l><lb/>
              <l>Und vielleicht wird dich die La&#x017F;t einer bittern Armuth<lb/><hi rendition="#et">dru&#x0364;cken.</hi></l><lb/>
              <l>B. &#x201E;Nein, dieß alles will ich nicht;<lb/>
&#x201E;Aber wie &#x017F;o ungewiß i&#x017F;t, daß dieß derein&#x017F;t ge&#x017F;chicht.&#x201C;</l><lb/>
              <l>A. Jch ge&#x017F;teh&#x2019; es. Aber ho&#x0364;r: Klagte&#x017F;t du nicht bittre<lb/><hi rendition="#et">Klagen:</hi></l><lb/>
              <l>Es fiel dir ein &#x017F;olches Leben fa&#x017F;t nicht mo&#x0364;glich zu ertragen,</l><lb/>
              <l>Da dein Sterben ungewiß? Nun es &#x017F;ey. Doch i&#x017F;t ein<lb/><hi rendition="#et">Leben,</hi></l><lb/>
              <l>Worinn wir in &#x017F;olchen Plagen &#x017F;tets in Ungewißheit<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chweben,</hi></l><lb/>
              <l>Die noch a&#x0364;rger als der Tod, &#x017F;o vergnu&#x0364;glich? merke doch,</l><lb/>
              <l>Wie dein Wun&#x017F;ch &#x017F;o ungerecht: Du verlang&#x017F;t ein Leben<lb/><hi rendition="#et">nicht,</hi></l><lb/>
              <l>Wo das Sterben ungewiß, und verlange&#x017F;t jedennoch</l><lb/>
              <l>Ein, und zwar ein langes, Leben, wo dein Glu&#x0364;ck &#x017F;o leicht<lb/><hi rendition="#et">zerbricht,</hi></l><lb/>
              <l>Seine Dauer ungewiß, und womit, zu deinem Scha-<lb/><hi rendition="#et">den,</hi></l><lb/>
              <l>Du leicht ko&#x0364;nnte&#x017F;t elend &#x017F;eyn und mit langer La&#x017F;t bela-<lb/><hi rendition="#et">den.</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Daß</fw><lb/></l>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[584/0604] Anleitung Quaͤlen und zerfoltern werden. Es wird dir vielleicht geraubt Aller Reichthum, all dein Gut. Ja vielleicht ſchwebt der Verluſt Deiner Ehre, deiner Wuͤrde, uͤber dein veraltert Haupt, So, daß du den andern Menſchen zum Geſpoͤtte werden mußt. Man wird bey verlaͤngtem Leben dich vielleicht ins Elend ſchicken. Die Entehrung deiner Kinder harr’t vielleicht dereinſt auf dich. Es zerfoltert dich vielleicht Stein und Laͤhmung jaͤmmerlich. Und vielleicht wird dich die Laſt einer bittern Armuth druͤcken. B. „Nein, dieß alles will ich nicht; „Aber wie ſo ungewiß iſt, daß dieß dereinſt geſchicht.“ A. Jch geſteh’ es. Aber hoͤr: Klagteſt du nicht bittre Klagen: Es fiel dir ein ſolches Leben faſt nicht moͤglich zu ertragen, Da dein Sterben ungewiß? Nun es ſey. Doch iſt ein Leben, Worinn wir in ſolchen Plagen ſtets in Ungewißheit ſchweben, Die noch aͤrger als der Tod, ſo vergnuͤglich? merke doch, Wie dein Wunſch ſo ungerecht: Du verlangſt ein Leben nicht, Wo das Sterben ungewiß, und verlangeſt jedennoch Ein, und zwar ein langes, Leben, wo dein Gluͤck ſo leicht zerbricht, Seine Dauer ungewiß, und womit, zu deinem Scha- den, Du leicht koͤnnteſt elend ſeyn und mit langer Laſt bela- den. Daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/604
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/604>, abgerufen am 02.05.2024.