Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Vermischte Gedichte


Es scheint der wilden Thiere Grimm gerechter noch,
als unsre Wut,
Sie spornt die Noth nur gegen andre, wir wüten gegen
unser Blut,
Aus Hunger nicht, aus Geiz und Stolz. Sie sind auch
in der That noch größer,
Den Vorzug, eine größre Macht und Kraft schenkt ihnen
die Natur,
Ein Reicher aber ist bey uns so wenig größer als auch
besser,
Und dennoch ist er mächtiger: Man schmiegt sich vor
ihm überall,
Um seiner eignen Größe nicht: ein wenig glänzendes
Metall,
Das er besitzt, macht ihn nur groß. Verliert er die-
ses, ist er klein
An Ehr und Größ', er wird gleich dumm, verächtlich
und ein Narre seyn.


Beym Erndten seh ich das Betragen der Menschen
mit Betrübniß an,
Dann hat die Unerkenntlichkeit und unser Undank keine
Schranken;
Ja, minder, als zur Erndtezeit der Mensch dem Schö-
pfer danket, kann
Bey seinem Korn kein Hammster danken.
Jndem
Vermiſchte Gedichte


Es ſcheint der wilden Thiere Grimm gerechter noch,
als unſre Wut,
Sie ſpornt die Noth nur gegen andre, wir wuͤten gegen
unſer Blut,
Aus Hunger nicht, aus Geiz und Stolz. Sie ſind auch
in der That noch groͤßer,
Den Vorzug, eine groͤßre Macht und Kraft ſchenkt ihnen
die Natur,
Ein Reicher aber iſt bey uns ſo wenig groͤßer als auch
beſſer,
Und dennoch iſt er maͤchtiger: Man ſchmiegt ſich vor
ihm uͤberall,
Um ſeiner eignen Groͤße nicht: ein wenig glaͤnzendes
Metall,
Das er beſitzt, macht ihn nur groß. Verliert er die-
ſes, iſt er klein
An Ehr und Groͤß’, er wird gleich dumm, veraͤchtlich
und ein Narre ſeyn.


Beym Erndten ſeh ich das Betragen der Menſchen
mit Betruͤbniß an,
Dann hat die Unerkenntlichkeit und unſer Undank keine
Schranken;
Ja, minder, als zur Erndtezeit der Menſch dem Schoͤ-
pfer danket, kann
Bey ſeinem Korn kein Hammſter danken.
Jndem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0558" n="538"/>
              <fw place="top" type="header">Vermi&#x017F;chte Gedichte</fw><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">E</hi>s &#x017F;cheint der wilden Thiere Grimm gerechter noch,</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">als un&#x017F;re Wut,</hi> </l><lb/>
                <l>Sie &#x017F;pornt die Noth nur gegen andre, wir wu&#x0364;ten gegen</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">un&#x017F;er Blut,</hi> </l><lb/>
                <l>Aus Hunger nicht, aus Geiz und Stolz. Sie &#x017F;ind auch</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">in der That noch gro&#x0364;ßer,</hi> </l><lb/>
                <l>Den Vorzug, eine gro&#x0364;ßre Macht und Kraft &#x017F;chenkt ihnen</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">die Natur,</hi> </l><lb/>
                <l>Ein Reicher aber i&#x017F;t bey uns &#x017F;o wenig gro&#x0364;ßer als auch</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">be&#x017F;&#x017F;er,</hi> </l><lb/>
                <l>Und dennoch i&#x017F;t er ma&#x0364;chtiger: Man &#x017F;chmiegt &#x017F;ich vor</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">ihm u&#x0364;berall,</hi> </l><lb/>
                <l>Um &#x017F;einer eignen Gro&#x0364;ße nicht: ein wenig gla&#x0364;nzendes</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">Metall,</hi> </l><lb/>
                <l>Das er be&#x017F;itzt, macht ihn nur groß. Verliert er die-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">&#x017F;es, i&#x017F;t er klein</hi> </l><lb/>
                <l>An Ehr und Gro&#x0364;ß&#x2019;, er wird gleich dumm, vera&#x0364;chtlich</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">und ein Narre &#x017F;eyn.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">B</hi>eym Erndten &#x017F;eh ich das Betragen der Men&#x017F;chen</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">mit Betru&#x0364;bniß an,</hi> </l><lb/>
                <l>Dann hat die Unerkenntlichkeit und un&#x017F;er Undank keine</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">Schranken;</hi> </l><lb/>
                <l>Ja, minder, als zur Erndtezeit der Men&#x017F;ch dem Scho&#x0364;-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">pfer danket, kann</hi> </l><lb/>
                <l>Bey &#x017F;einem Korn kein Hamm&#x017F;ter danken.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Jndem</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[538/0558] Vermiſchte Gedichte Es ſcheint der wilden Thiere Grimm gerechter noch, als unſre Wut, Sie ſpornt die Noth nur gegen andre, wir wuͤten gegen unſer Blut, Aus Hunger nicht, aus Geiz und Stolz. Sie ſind auch in der That noch groͤßer, Den Vorzug, eine groͤßre Macht und Kraft ſchenkt ihnen die Natur, Ein Reicher aber iſt bey uns ſo wenig groͤßer als auch beſſer, Und dennoch iſt er maͤchtiger: Man ſchmiegt ſich vor ihm uͤberall, Um ſeiner eignen Groͤße nicht: ein wenig glaͤnzendes Metall, Das er beſitzt, macht ihn nur groß. Verliert er die- ſes, iſt er klein An Ehr und Groͤß’, er wird gleich dumm, veraͤchtlich und ein Narre ſeyn. Beym Erndten ſeh ich das Betragen der Menſchen mit Betruͤbniß an, Dann hat die Unerkenntlichkeit und unſer Undank keine Schranken; Ja, minder, als zur Erndtezeit der Menſch dem Schoͤ- pfer danket, kann Bey ſeinem Korn kein Hammſter danken. Jndem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/558
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/558>, abgerufen am 22.11.2024.