Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Vermischte Gedichte
Je wahrer, unumstößlicher und gründlicher nun die
Betrachtung,

Je würdiger sie einer Gottheit, und je natürlicher sie ist;
Je unbegreiflicher und schlimmer ist die nachläßige Ver-
achtung

Der allgemeinen Offenbarung, die, wenn man sie mit
Ernst ermißt,

Die allererste, herrlichste und sicherste mit Recht zu nen-
nen,

Und dennoch sieht man, daß sich Menschen, von solcher
Blindheit, finden können,

Die sie auch nicht der mindesten Betracht- und Achtung
würdig schätzen,

Und dadurch die natürliche Vernunft auf eine Art ver-
letzen,

Daß sie, verführt von ihres Gleichen, nach Menschen
Form, formirte Götzen,

Jn kleinen eingeschränkten Bildern,
Errichten, schnitzeln, hauen, schildern,
Und diese leere Hirngespinnste für wahre Götter anzu-
nehmen,

Sie anzubeten, zu verehren, und zu erhöhen sich nicht
schämen.

Aus welchem schmählichen Betragen der Sterblichen denn
nicht allein

So viele meist den Menschen gleiche Figuren erst ent-
standen seyn,

Von Götterbildern und Göttinnen; man trifft noch Ueber-
bleibsel an,

Auch selber in Religionen, die alle Götzen abgethan,
Und in der wahren Gottheit Wesen die Einheit offenbar
erkannt.
Sind
Vermiſchte Gedichte
Je wahrer, unumſtoͤßlicher und gruͤndlicher nun die
Betrachtung,

Je wuͤrdiger ſie einer Gottheit, und je natuͤrlicher ſie iſt;
Je unbegreiflicher und ſchlimmer iſt die nachlaͤßige Ver-
achtung

Der allgemeinen Offenbarung, die, wenn man ſie mit
Ernſt ermißt,

Die allererſte, herrlichſte und ſicherſte mit Recht zu nen-
nen,

Und dennoch ſieht man, daß ſich Menſchen, von ſolcher
Blindheit, finden koͤnnen,

Die ſie auch nicht der mindeſten Betracht- und Achtung
wuͤrdig ſchaͤtzen,

Und dadurch die natuͤrliche Vernunft auf eine Art ver-
letzen,

Daß ſie, verfuͤhrt von ihres Gleichen, nach Menſchen
Form, formirte Goͤtzen,

Jn kleinen eingeſchraͤnkten Bildern,
Errichten, ſchnitzeln, hauen, ſchildern,
Und dieſe leere Hirngeſpinnſte fuͤr wahre Goͤtter anzu-
nehmen,

Sie anzubeten, zu verehren, und zu erhoͤhen ſich nicht
ſchaͤmen.

Aus welchem ſchmaͤhlichen Betragen der Sterblichen denn
nicht allein

So viele meiſt den Menſchen gleiche Figuren erſt ent-
ſtanden ſeyn,

Von Goͤtterbildern und Goͤttinnen; man trifft noch Ueber-
bleibſel an,

Auch ſelber in Religionen, die alle Goͤtzen abgethan,
Und in der wahren Gottheit Weſen die Einheit offenbar
erkannt.
Sind
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0528" n="508"/>
          <fw place="top" type="header">Vermi&#x017F;chte Gedichte</fw><lb/>
          <lg n="23">
            <l>Je wahrer, unum&#x017F;to&#x0364;ßlicher und gru&#x0364;ndlicher nun die<lb/><hi rendition="#et">Betrachtung,</hi></l><lb/>
            <l>Je wu&#x0364;rdiger &#x017F;ie einer Gottheit, und je natu&#x0364;rlicher &#x017F;ie i&#x017F;t;</l><lb/>
            <l>Je unbegreiflicher und &#x017F;chlimmer i&#x017F;t die nachla&#x0364;ßige Ver-<lb/><hi rendition="#et">achtung</hi></l><lb/>
            <l>Der allgemeinen Offenbarung, die, wenn man &#x017F;ie mit<lb/><hi rendition="#et">Ern&#x017F;t ermißt,</hi></l><lb/>
            <l>Die allerer&#x017F;te, herrlich&#x017F;te und &#x017F;icher&#x017F;te mit Recht zu nen-<lb/><hi rendition="#et">nen,</hi></l><lb/>
            <l>Und dennoch &#x017F;ieht man, daß &#x017F;ich Men&#x017F;chen, von &#x017F;olcher<lb/><hi rendition="#et">Blindheit, finden ko&#x0364;nnen,</hi></l><lb/>
            <l>Die &#x017F;ie auch nicht der minde&#x017F;ten Betracht- und Achtung<lb/><hi rendition="#et">wu&#x0364;rdig &#x017F;cha&#x0364;tzen,</hi></l><lb/>
            <l>Und dadurch die natu&#x0364;rliche Vernunft auf eine Art ver-<lb/><hi rendition="#et">letzen,</hi></l><lb/>
            <l>Daß &#x017F;ie, verfu&#x0364;hrt von ihres Gleichen, nach Men&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#et">Form, formirte Go&#x0364;tzen,</hi></l><lb/>
            <l>Jn kleinen einge&#x017F;chra&#x0364;nkten Bildern,</l><lb/>
            <l>Errichten, &#x017F;chnitzeln, hauen, &#x017F;childern,</l><lb/>
            <l>Und die&#x017F;e leere Hirnge&#x017F;pinn&#x017F;te fu&#x0364;r wahre Go&#x0364;tter anzu-<lb/><hi rendition="#et">nehmen,</hi></l><lb/>
            <l>Sie anzubeten, zu verehren, und zu erho&#x0364;hen &#x017F;ich nicht<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;cha&#x0364;men.</hi></l><lb/>
            <l>Aus welchem &#x017F;chma&#x0364;hlichen Betragen der Sterblichen denn<lb/><hi rendition="#et">nicht allein</hi></l><lb/>
            <l>So viele mei&#x017F;t den Men&#x017F;chen gleiche Figuren er&#x017F;t ent-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;tanden &#x017F;eyn,</hi></l><lb/>
            <l>Von Go&#x0364;tterbildern und Go&#x0364;ttinnen; man trifft noch Ueber-<lb/><hi rendition="#et">bleib&#x017F;el an,</hi></l><lb/>
            <l>Auch &#x017F;elber in Religionen, die alle Go&#x0364;tzen abgethan,</l><lb/>
            <l>Und in der wahren Gottheit We&#x017F;en die Einheit offenbar<lb/><hi rendition="#et">erkannt.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Sind</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[508/0528] Vermiſchte Gedichte Je wahrer, unumſtoͤßlicher und gruͤndlicher nun die Betrachtung, Je wuͤrdiger ſie einer Gottheit, und je natuͤrlicher ſie iſt; Je unbegreiflicher und ſchlimmer iſt die nachlaͤßige Ver- achtung Der allgemeinen Offenbarung, die, wenn man ſie mit Ernſt ermißt, Die allererſte, herrlichſte und ſicherſte mit Recht zu nen- nen, Und dennoch ſieht man, daß ſich Menſchen, von ſolcher Blindheit, finden koͤnnen, Die ſie auch nicht der mindeſten Betracht- und Achtung wuͤrdig ſchaͤtzen, Und dadurch die natuͤrliche Vernunft auf eine Art ver- letzen, Daß ſie, verfuͤhrt von ihres Gleichen, nach Menſchen Form, formirte Goͤtzen, Jn kleinen eingeſchraͤnkten Bildern, Errichten, ſchnitzeln, hauen, ſchildern, Und dieſe leere Hirngeſpinnſte fuͤr wahre Goͤtter anzu- nehmen, Sie anzubeten, zu verehren, und zu erhoͤhen ſich nicht ſchaͤmen. Aus welchem ſchmaͤhlichen Betragen der Sterblichen denn nicht allein So viele meiſt den Menſchen gleiche Figuren erſt ent- ſtanden ſeyn, Von Goͤtterbildern und Goͤttinnen; man trifft noch Ueber- bleibſel an, Auch ſelber in Religionen, die alle Goͤtzen abgethan, Und in der wahren Gottheit Weſen die Einheit offenbar erkannt. Sind

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/528
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 508. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/528>, abgerufen am 22.11.2024.