Sollt unsre Lust an Gottes Werken dem Schöpfer auch gefällig seyn? Der Zweifel fiel mir oft vor diesem, und fällt mir noch zuweilen ein, Doch find ich, daß er ungegründet. Wir lehren in der Christenheit, Daß Gott auf unsern Wandel achte. Wär es nun eine Billigkeit, Zu glauben, daß die ewge Liebe uns, bloß zu unsrer Quaal, betrachte, Und nur auf unser Sündigen, um uns darum zu strafen, achte, Nicht aber auch, wenn wir die Pflichten, Wozu er uns erschuf, verrichten, Und wenn wir uns, zu seinem Ruhm, uns sein zu freuen, nicht entbrechen? Dieß scheint der Eigenschaft der Liebe und Huld schnur- stracks zu widersprechen. Es scheint vielmehr, er habe selbst uns diese Wahrheit eingeprägt, Es sey ein solcher Gott kein Gott, der lauter Zorn und Rachgier hegt.
Ver-
Vermiſchte Gedichte
Zweifel.
Sollt unſre Luſt an Gottes Werken dem Schoͤpfer auch gefaͤllig ſeyn? Der Zweifel fiel mir oft vor dieſem, und faͤllt mir noch zuweilen ein, Doch find ich, daß er ungegruͤndet. Wir lehren in der Chriſtenheit, Daß Gott auf unſern Wandel achte. Waͤr es nun eine Billigkeit, Zu glauben, daß die ewge Liebe uns, bloß zu unſrer Quaal, betrachte, Und nur auf unſer Suͤndigen, um uns darum zu ſtrafen, achte, Nicht aber auch, wenn wir die Pflichten, Wozu er uns erſchuf, verrichten, Und wenn wir uns, zu ſeinem Ruhm, uns ſein zu freuen, nicht entbrechen? Dieß ſcheint der Eigenſchaft der Liebe und Huld ſchnur- ſtracks zu widerſprechen. Es ſcheint vielmehr, er habe ſelbſt uns dieſe Wahrheit eingepraͤgt, Es ſey ein ſolcher Gott kein Gott, der lauter Zorn und Rachgier hegt.
Ver-
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Vermiſchte Gedichte
Zweifel.
Sollt unſre Luſt an Gottes Werken dem Schoͤpfer
auch gefaͤllig ſeyn?
Der Zweifel fiel mir oft vor dieſem, und faͤllt mir noch
zuweilen ein,
Doch find ich, daß er ungegruͤndet. Wir lehren in
der Chriſtenheit,
Daß Gott auf unſern Wandel achte. Waͤr es nun eine
Billigkeit,
Zu glauben, daß die ewge Liebe uns, bloß zu unſrer Quaal,
betrachte,
Und nur auf unſer Suͤndigen, um uns darum zu ſtrafen,
achte,
Nicht aber auch, wenn wir die Pflichten,
Wozu er uns erſchuf, verrichten,
Und wenn wir uns, zu ſeinem Ruhm, uns ſein zu freuen,
nicht entbrechen?
Dieß ſcheint der Eigenſchaft der Liebe und Huld ſchnur-
ſtracks zu widerſprechen.
Es ſcheint vielmehr, er habe ſelbſt uns dieſe Wahrheit
eingepraͤgt,
Es ſey ein ſolcher Gott kein Gott, der lauter Zorn und
Rachgier hegt.
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/440>, abgerufen am 21.11.2024.
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