Mich deucht, es schöpfe die Vernunft die Wahrheit aus den reinsten Quellen, Wenn wir uns als der Sonnen Sonne, die Gottheit su- chen vorzustellen.
A. Du redest von Vernunft so viel, und willt al- lein nach ihr dich richten, Ja alles bloß nach ihren Kräften, auch selbst im Gottes- dienste, schlichten: Allein, hast du auch untersucht, was sie denn eigentlich recht sey? Ob ihre Kraft, als wie ihr Wesen, nicht etwan mehr als einerley? Ob nicht die Kraft der Phantasey sowohl als die Ge- dächtnißkraft, Zu ihrem Wesen mit gehöre? Wär dieß nun ihre Eigen- schaft, So würde sie ja mit Jdeen zu richtigen und wahren Schlüssen, Die nicht von Bildern unterschieden, nothwendig sich befassen müssen. Es fraget sich noch überdem, da unser Leib auch Gottes Gabe, Der Geist auch ohne Leib nicht wirkt, ob auch ein' Art von Bildern nicht Selbst zum Verstande mit gehöre, und in ihn einen Ein- fluß habe?
B. Wenn auch dieß alles richtig wäre, wie ich nicht leugnen will noch kann, So gehet unter diesem Vorwand der falsche Schluß doch nimmer an, Daß solche Bilder und Jdeen so niederträchtig und so klein,
Zumal
Vermiſchte Gedichte
Mich deucht, es ſchoͤpfe die Vernunft die Wahrheit aus den reinſten Quellen, Wenn wir uns als der Sonnen Sonne, die Gottheit ſu- chen vorzuſtellen.
A. Du redeſt von Vernunft ſo viel, und willt al- lein nach ihr dich richten, Ja alles bloß nach ihren Kraͤften, auch ſelbſt im Gottes- dienſte, ſchlichten: Allein, haſt du auch unterſucht, was ſie denn eigentlich recht ſey? Ob ihre Kraft, als wie ihr Weſen, nicht etwan mehr als einerley? Ob nicht die Kraft der Phantaſey ſowohl als die Ge- daͤchtnißkraft, Zu ihrem Weſen mit gehoͤre? Waͤr dieß nun ihre Eigen- ſchaft, So wuͤrde ſie ja mit Jdeen zu richtigen und wahren Schluͤſſen, Die nicht von Bildern unterſchieden, nothwendig ſich befaſſen muͤſſen. Es fraget ſich noch uͤberdem, da unſer Leib auch Gottes Gabe, Der Geiſt auch ohne Leib nicht wirkt, ob auch ein’ Art von Bildern nicht Selbſt zum Verſtande mit gehoͤre, und in ihn einen Ein- fluß habe?
B. Wenn auch dieß alles richtig waͤre, wie ich nicht leugnen will noch kann, So gehet unter dieſem Vorwand der falſche Schluß doch nimmer an, Daß ſolche Bilder und Jdeen ſo niedertraͤchtig und ſo klein,
Zumal
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Vermiſchte Gedichte
Mich deucht, es ſchoͤpfe die Vernunft die Wahrheit aus
den reinſten Quellen,
Wenn wir uns als der Sonnen Sonne, die Gottheit ſu-
chen vorzuſtellen.
A. Du redeſt von Vernunft ſo viel, und willt al-
lein nach ihr dich richten,
Ja alles bloß nach ihren Kraͤften, auch ſelbſt im Gottes-
dienſte, ſchlichten:
Allein, haſt du auch unterſucht, was ſie denn eigentlich
recht ſey?
Ob ihre Kraft, als wie ihr Weſen, nicht etwan mehr
als einerley?
Ob nicht die Kraft der Phantaſey ſowohl als die Ge-
daͤchtnißkraft,
Zu ihrem Weſen mit gehoͤre? Waͤr dieß nun ihre Eigen-
ſchaft,
So wuͤrde ſie ja mit Jdeen zu richtigen und wahren
Schluͤſſen,
Die nicht von Bildern unterſchieden, nothwendig ſich
befaſſen muͤſſen.
Es fraget ſich noch uͤberdem, da unſer Leib auch Gottes
Gabe,
Der Geiſt auch ohne Leib nicht wirkt, ob auch ein’ Art
von Bildern nicht
Selbſt zum Verſtande mit gehoͤre, und in ihn einen Ein-
fluß habe?
B. Wenn auch dieß alles richtig waͤre, wie ich nicht
leugnen will noch kann,
So gehet unter dieſem Vorwand der falſche Schluß doch
nimmer an,
Daß ſolche Bilder und Jdeen ſo niedertraͤchtig und ſo klein,
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/404>, abgerufen am 16.07.2024.
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