Jedoch bey dieser großen Wahrheit wird mancher, und zwar billig, fragen, Wie kömmts, daß sich die meisten Menschen bey ihr so wunderlich betragen? Daß fast die meisten blind und taub am Geist sowohl, als Körper, seyn? So muß ichs leider! zugestehen, Daß die Erfahrung der Bernunft fast allenthalben wi- derspricht, Und daß so viele Nationen in diesem Stücke sich verge- hen; Jndem sie, im Genuß der Welt, nicht Gott in ihrer Lust erhöhen, Sich nicht vergnügen, Gott nicht preisen, was Herrlichs in der Welt geschicht, Nicht ihres Anblicks würdig achten. Sie scheinen in dem Wahn zu stehen, Daß, durch Verachtung seiner Wunder und seiner Kreatur auf Erden, Sie Gott den Himmel abverdienen, die Seligkeit erlan- gen werden. Dieß unglückselige Betragen der Sterblichen fast überall Bringt die Vernunft auf die Gedanken von einem einst geschehnen Fall, Wovon sie sonst für sich nichts weis. Doch fühlt sie noch ein Widerstreben, Und meynt, die große Schwierigkeit auf eine leichte Art zu heben. Vielleicht ist die Natur des Menschen nicht so erhaben, als er meynt; Er ist von Thieren unterschieden, vernünft'ger, besser: doch es scheint;
Da
zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Jedoch bey dieſer großen Wahrheit wird mancher, und zwar billig, fragen, Wie koͤmmts, daß ſich die meiſten Menſchen bey ihr ſo wunderlich betragen? Daß faſt die meiſten blind und taub am Geiſt ſowohl, als Koͤrper, ſeyn? So muß ichs leider! zugeſtehen, Daß die Erfahrung der Bernunft faſt allenthalben wi- derſpricht, Und daß ſo viele Nationen in dieſem Stuͤcke ſich verge- hen; Jndem ſie, im Genuß der Welt, nicht Gott in ihrer Luſt erhoͤhen, Sich nicht vergnuͤgen, Gott nicht preiſen, was Herrlichs in der Welt geſchicht, Nicht ihres Anblicks wuͤrdig achten. Sie ſcheinen in dem Wahn zu ſtehen, Daß, durch Verachtung ſeiner Wunder und ſeiner Kreatur auf Erden, Sie Gott den Himmel abverdienen, die Seligkeit erlan- gen werden. Dieß ungluͤckſelige Betragen der Sterblichen faſt uͤberall Bringt die Vernunft auf die Gedanken von einem einſt geſchehnen Fall, Wovon ſie ſonſt fuͤr ſich nichts weis. Doch fuͤhlt ſie noch ein Widerſtreben, Und meynt, die große Schwierigkeit auf eine leichte Art zu heben. Vielleicht iſt die Natur des Menſchen nicht ſo erhaben, als er meynt; Er iſt von Thieren unterſchieden, vernuͤnft’ger, beſſer: doch es ſcheint;
Da
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zum irdiſchen Vergnuͤgen in Gott.
Jedoch bey dieſer großen Wahrheit wird mancher, und
zwar billig, fragen,
Wie koͤmmts, daß ſich die meiſten Menſchen bey ihr ſo
wunderlich betragen?
Daß faſt die meiſten blind und taub am Geiſt ſowohl, als
Koͤrper, ſeyn?
So muß ichs leider! zugeſtehen,
Daß die Erfahrung der Bernunft faſt allenthalben wi-
derſpricht,
Und daß ſo viele Nationen in dieſem Stuͤcke ſich verge-
hen;
Jndem ſie, im Genuß der Welt, nicht Gott in ihrer
Luſt erhoͤhen,
Sich nicht vergnuͤgen, Gott nicht preiſen, was Herrlichs
in der Welt geſchicht,
Nicht ihres Anblicks wuͤrdig achten. Sie ſcheinen in
dem Wahn zu ſtehen,
Daß, durch Verachtung ſeiner Wunder und ſeiner
Kreatur auf Erden,
Sie Gott den Himmel abverdienen, die Seligkeit erlan-
gen werden.
Dieß ungluͤckſelige Betragen der Sterblichen faſt uͤberall
Bringt die Vernunft auf die Gedanken von einem einſt
geſchehnen Fall,
Wovon ſie ſonſt fuͤr ſich nichts weis. Doch fuͤhlt ſie
noch ein Widerſtreben,
Und meynt, die große Schwierigkeit auf eine leichte Art
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Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen09_1748/367>, abgerufen am 26.06.2024.
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