Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.Betrachtungen Wer konnt' in so geringen Stoff so wunderwürd'ge Wir- kung legen? Wo wird wohl mehr der Gottheit Allmacht, und ein er- schaffender Verstand Als im Geheimnisse der Samen, der unbegreiflich ist, er- kannt? Jndem es aller Menschen Witz und Kraft zu denken über- wieget, Wie, in so schlechtem Stoff und Raum, von so vortreff- lichem Geschick Ein Körper, wunderbar von Form, ein himmlisch Kunst- und Meisterstück, Ein Herr der Kreatur, ja gleichsam ein göttlich Thier verborgen lieget. Daß jedes Thier aus einem Samen erzielet werd', ist uns bekannt, Auch daß von zweyerley Geschlechtern, wenn eine Zeu- gung soll entstehn, Auf eine sonderbare Weise müss' eine Mischung erst ge- schehn, Bestätiget uns die Erfahrung, doch fass't der menschliche Verstand Den wahren Grund der Handlung nicht. Nachdem ich dieses oft erwogen, Und mehr als einmal meine Sinnen bey diesem Werk zu Rath gezogen, So sah' ich jüngst ein Pferd belegen, da ich denn den er- hitzten Stand Des Hengstes, und darauf die Kälte nicht weniger be- trächtlich fand; Er sprang, er schnaubt', er schüttelte so Mähn als Hals, er wrinscht', er bäumte, Durch
Betrachtungen Wer konnt’ in ſo geringen Stoff ſo wunderwuͤrd’ge Wir- kung legen? Wo wird wohl mehr der Gottheit Allmacht, und ein er- ſchaffender Verſtand Als im Geheimniſſe der Samen, der unbegreiflich iſt, er- kannt? Jndem es aller Menſchen Witz und Kraft zu denken uͤber- wieget, Wie, in ſo ſchlechtem Stoff und Raum, von ſo vortreff- lichem Geſchick Ein Koͤrper, wunderbar von Form, ein himmliſch Kunſt- und Meiſterſtuͤck, Ein Herr der Kreatur, ja gleichſam ein goͤttlich Thier verborgen lieget. Daß jedes Thier aus einem Samen erzielet werd’, iſt uns bekannt, Auch daß von zweyerley Geſchlechtern, wenn eine Zeu- gung ſoll entſtehn, Auf eine ſonderbare Weiſe muͤſſ’ eine Miſchung erſt ge- ſchehn, Beſtaͤtiget uns die Erfahrung, doch faſſ’t der menſchliche Verſtand Den wahren Grund der Handlung nicht. Nachdem ich dieſes oft erwogen, Und mehr als einmal meine Sinnen bey dieſem Werk zu Rath gezogen, So ſah’ ich juͤngſt ein Pferd belegen, da ich denn den er- hitzten Stand Des Hengſtes, und darauf die Kaͤlte nicht weniger be- traͤchtlich fand; Er ſprang, er ſchnaubt’, er ſchuͤttelte ſo Maͤhn als Hals, er wrinſcht’, er baͤumte, Durch
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Betrachtungen
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Als im Geheimniſſe der Samen, der unbegreiflich iſt, er-
kannt?
Jndem es aller Menſchen Witz und Kraft zu denken uͤber-
wieget,
Wie, in ſo ſchlechtem Stoff und Raum, von ſo vortreff-
lichem Geſchick
Ein Koͤrper, wunderbar von Form, ein himmliſch Kunſt-
und Meiſterſtuͤck,
Ein Herr der Kreatur, ja gleichſam ein goͤttlich Thier
verborgen lieget.
Daß jedes Thier aus einem Samen erzielet werd’, iſt
uns bekannt,
Auch daß von zweyerley Geſchlechtern, wenn eine Zeu-
gung ſoll entſtehn,
Auf eine ſonderbare Weiſe muͤſſ’ eine Miſchung erſt ge-
ſchehn,
Beſtaͤtiget uns die Erfahrung, doch faſſ’t der menſchliche
Verſtand
Den wahren Grund der Handlung nicht. Nachdem ich
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So ſah’ ich juͤngſt ein Pferd belegen, da ich denn den er-
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traͤchtlich fand;
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