Brockes, Barthold Heinrich: Physikalische und moralische Gedanken über die drey Reiche der Natur. Bd. 9. Hamburg u. a., 1748.über das Reich der Thiere. Es plötzlich, wie ein Zunder, fängt, ein schnell Bewegen drinn erwecket, Sich, nach gewisser Maaß und Ordnung, in richt'gen Zügen von sich strecket, Und in demselbigen sogleich ein Thier von seiner Art for- mirt, Von welcher Arbeit wir zwar wenig, will man es recht gestehn, verstehn, Es scheint die Handlung, nicht begreiflich, bloß durch ein Wunder, zu geschehn, Wie ich denn selbst der Meynung bin; doch wenn wir unsern Körper sehn, Daß er ernährt wird und erhalten, daß er, wenn er ver- letzt, sich heilt, Und Blut und Fleisch in rechter Maaße am rechten Orte recht vertheilt, Jst dieses gleichfalls unbegreiflich. Bey diesem Grüblen fällt mir ein, Ein solches künstliches Erhalten schein ja so künstlich wohl zu seyn, Wir achten aber nicht darauf, ja meynen noch, leicht zu entdecken, Daß Haut und Fleisch und Blut und Knochen in Pfla- stern und in Salben stecken; Man urtheil', ob es künstlicher für eine junge Seele sey, Sich auszudehnen und zu wachsen, als, wenn wir etwan uns verletzen, So Blut als Fleisch, so Haut als Säfte, die abgetrennet, zu ersetzen. Doch weil wir von dem Samen handeln, so bleiben wir voritzt dabey. O Wunder! solch ein schwaches Wesen ist fähig, solche Kraft zu hegen! Wer
uͤber das Reich der Thiere. Es ploͤtzlich, wie ein Zunder, faͤngt, ein ſchnell Bewegen drinn erwecket, Sich, nach gewiſſer Maaß und Ordnung, in richt’gen Zuͤgen von ſich ſtrecket, Und in demſelbigen ſogleich ein Thier von ſeiner Art for- mirt, Von welcher Arbeit wir zwar wenig, will man es recht geſtehn, verſtehn, Es ſcheint die Handlung, nicht begreiflich, bloß durch ein Wunder, zu geſchehn, Wie ich denn ſelbſt der Meynung bin; doch wenn wir unſern Koͤrper ſehn, Daß er ernaͤhrt wird und erhalten, daß er, wenn er ver- letzt, ſich heilt, Und Blut und Fleiſch in rechter Maaße am rechten Orte recht vertheilt, Jſt dieſes gleichfalls unbegreiflich. Bey dieſem Gruͤblen faͤllt mir ein, Ein ſolches kuͤnſtliches Erhalten ſchein ja ſo kuͤnſtlich wohl zu ſeyn, Wir achten aber nicht darauf, ja meynen noch, leicht zu entdecken, Daß Haut und Fleiſch und Blut und Knochen in Pfla- ſtern und in Salben ſtecken; Man urtheil’, ob es kuͤnſtlicher fuͤr eine junge Seele ſey, Sich auszudehnen und zu wachſen, als, wenn wir etwan uns verletzen, So Blut als Fleiſch, ſo Haut als Saͤfte, die abgetrennet, zu erſetzen. Doch weil wir von dem Samen handeln, ſo bleiben wir voritzt dabey. O Wunder! ſolch ein ſchwaches Weſen iſt faͤhig, ſolche Kraft zu hegen! Wer
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Sich, nach gewiſſer Maaß und Ordnung, in richt’gen
Zuͤgen von ſich ſtrecket,
Und in demſelbigen ſogleich ein Thier von ſeiner Art for-
mirt,
Von welcher Arbeit wir zwar wenig, will man es recht
geſtehn, verſtehn,
Es ſcheint die Handlung, nicht begreiflich, bloß durch
ein Wunder, zu geſchehn,
Wie ich denn ſelbſt der Meynung bin; doch wenn wir
unſern Koͤrper ſehn,
Daß er ernaͤhrt wird und erhalten, daß er, wenn er ver-
letzt, ſich heilt,
Und Blut und Fleiſch in rechter Maaße am rechten Orte
recht vertheilt,
Jſt dieſes gleichfalls unbegreiflich. Bey dieſem Gruͤblen
faͤllt mir ein,
Ein ſolches kuͤnſtliches Erhalten ſchein ja ſo kuͤnſtlich wohl
zu ſeyn,
Wir achten aber nicht darauf, ja meynen noch, leicht zu
entdecken,
Daß Haut und Fleiſch und Blut und Knochen in Pfla-
ſtern und in Salben ſtecken;
Man urtheil’, ob es kuͤnſtlicher fuͤr eine junge Seele ſey,
Sich auszudehnen und zu wachſen, als, wenn wir etwan
uns verletzen,
So Blut als Fleiſch, ſo Haut als Saͤfte, die abgetrennet,
zu erſetzen.
Doch weil wir von dem Samen handeln, ſo bleiben wir
voritzt dabey.
O Wunder! ſolch ein ſchwaches Weſen iſt faͤhig, ſolche
Kraft zu hegen!
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