Die Zweige, die, in jungen Sprossen, Vor kurzem erst, hervor geschossen, Sind oben roth, und unten grün. Aus diesen sieht man sich bemühn, Ein zierlich eingeschnittnes Blatt, Das dunkelgrün und glänzend glatt, An einem Ort hervorzubrechen: Zugleich auch, einen Dorn sich stechen, Der dunkelroth, und noch nicht hart; Der aber, bald darauf, erstarrt.
Allein, was recht verwunderlich! Ein kleines Blättchen theilet sich, Und scheinet, recht in seiner Mitten, Als wär' es künstlich aufgeschnitten. Es scheint, wenn man es recht besieht, Vom Dorn und grossem Blatt zerspalten, Daß jede Hälfte sich bemüht, Von beyden Seiten sie zu halten. Es ist dieß kleine Blättchen werth, Daß sich Betracht- und Achtung mehrt. Kein Menschen-Witz vermag zu fassen, Warum es sich muß theilen lassen.
Jch brach zween Hälften ab, und fügte Sie beyde, vor mir, aufs Papier: Da ich, an ihrer Formen Zier, Mich recht in meinem Geist vergnügte; Zumal erstaunt' ich, als ich fund, An jeder Hälft', ein halbes Rund, Das, wie ich sie zusammenbrachte, Vollkommen einen Zirkel machte.
Ei[n]
Der bluͤhende Dornſtrauch.
Die Zweige, die, in jungen Sproſſen, Vor kurzem erſt, hervor geſchoſſen, Sind oben roth, und unten gruͤn. Aus dieſen ſieht man ſich bemuͤhn, Ein zierlich eingeſchnittnes Blatt, Das dunkelgruͤn und glaͤnzend glatt, An einem Ort hervorzubrechen: Zugleich auch, einen Dorn ſich ſtechen, Der dunkelroth, und noch nicht hart; Der aber, bald darauf, erſtarrt.
Allein, was recht verwunderlich! Ein kleines Blaͤttchen theilet ſich, Und ſcheinet, recht in ſeiner Mitten, Als waͤr’ es kuͤnſtlich aufgeſchnitten. Es ſcheint, wenn man es recht beſieht, Vom Dorn und groſſem Blatt zerſpalten, Daß jede Haͤlfte ſich bemuͤht, Von beyden Seiten ſie zu halten. Es iſt dieß kleine Blaͤttchen werth, Daß ſich Betracht- und Achtung mehrt. Kein Menſchen-Witz vermag zu faſſen, Warum es ſich muß theilen laſſen.
Jch brach zween Haͤlften ab, und fuͤgte Sie beyde, vor mir, aufs Papier: Da ich, an ihrer Formen Zier, Mich recht in meinem Geiſt vergnuͤgte; Zumal erſtaunt’ ich, als ich fund, An jeder Haͤlft’, ein halbes Rund, Das, wie ich ſie zuſammenbrachte, Vollkommen einen Zirkel machte.
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[52/0066]
Der bluͤhende Dornſtrauch.
Die Zweige, die, in jungen Sproſſen,
Vor kurzem erſt, hervor geſchoſſen,
Sind oben roth, und unten gruͤn.
Aus dieſen ſieht man ſich bemuͤhn,
Ein zierlich eingeſchnittnes Blatt,
Das dunkelgruͤn und glaͤnzend glatt,
An einem Ort hervorzubrechen:
Zugleich auch, einen Dorn ſich ſtechen,
Der dunkelroth, und noch nicht hart;
Der aber, bald darauf, erſtarrt.
Allein, was recht verwunderlich!
Ein kleines Blaͤttchen theilet ſich,
Und ſcheinet, recht in ſeiner Mitten,
Als waͤr’ es kuͤnſtlich aufgeſchnitten.
Es ſcheint, wenn man es recht beſieht,
Vom Dorn und groſſem Blatt zerſpalten,
Daß jede Haͤlfte ſich bemuͤht,
Von beyden Seiten ſie zu halten.
Es iſt dieß kleine Blaͤttchen werth,
Daß ſich Betracht- und Achtung mehrt.
Kein Menſchen-Witz vermag zu faſſen,
Warum es ſich muß theilen laſſen.
Jch brach zween Haͤlften ab, und fuͤgte
Sie beyde, vor mir, aufs Papier:
Da ich, an ihrer Formen Zier,
Mich recht in meinem Geiſt vergnuͤgte;
Zumal erſtaunt’ ich, als ich fund,
An jeder Haͤlft’, ein halbes Rund,
Das, wie ich ſie zuſammenbrachte,
Vollkommen einen Zirkel machte.
Ein
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/66>, abgerufen am 17.07.2024.
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