Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Der blühende Dornstrauch.
Es ist, zur holden Frühlings-Zeit,
Die Welt so voller Lieblichkeit,
Daß man, nicht ohn' Ergetzen, siehet,
Wie auch so gar der Dornstrauch blühet,
Und zwar so angenehm, so schön,
Daß wir das schimmernde Gepränge,
Der Bluhmen, Farben, Form und Menge,
Nicht sonder Lust und Anmuth, sehn.
Wie? dacht ich, soll der Fluch der Erden,
Mit welchem sie beleget war
Zu unsrer Strafe, denn so gar
Ein Vorwurf unsrer Anmuth werden?
Da ja so Dorn als Disteln blühn,
Und sich, zu unsrer Augen-Weide,
Mit einem Schimmer-reichen Kleide,
Und bunten Farben, überziehn.
Doch sey die Antwort ausgesetzt;
Weil das, was ich, hier in der Nähe,
Am Dornstrauch Schön- und Lieblichs sehe,
Mir Aug' und Herz so sehr ergetzt,
Daß ich es, mit gerührter Seele,
Zum Vorwurf meiner Lieder wähle.
Wer, mit betrachtendem Gemüth,
Den Bau des Dornstrauchs übersieht
Den Zweig, den Dorn, das Laub, die Blüht;
Auch, wie so ordentlich sie stehn,
Wie sehr sie gleich verworren scheinen:
Der findet alle Theile schön,
Und zierlicher, als wie wir meynen.
Die
D 2
Der bluͤhende Dornſtrauch.
Es iſt, zur holden Fruͤhlings-Zeit,
Die Welt ſo voller Lieblichkeit,
Daß man, nicht ohn’ Ergetzen, ſiehet,
Wie auch ſo gar der Dornſtrauch bluͤhet,
Und zwar ſo angenehm, ſo ſchoͤn,
Daß wir das ſchimmernde Gepraͤnge,
Der Bluhmen, Farben, Form und Menge,
Nicht ſonder Luſt und Anmuth, ſehn.
Wie? dacht ich, ſoll der Fluch der Erden,
Mit welchem ſie beleget war
Zu unſrer Strafe, denn ſo gar
Ein Vorwurf unſrer Anmuth werden?
Da ja ſo Dorn als Diſteln bluͤhn,
Und ſich, zu unſrer Augen-Weide,
Mit einem Schimmer-reichen Kleide,
Und bunten Farben, uͤberziehn.
Doch ſey die Antwort ausgeſetzt;
Weil das, was ich, hier in der Naͤhe,
Am Dornſtrauch Schoͤn- und Lieblichs ſehe,
Mir Aug’ und Herz ſo ſehr ergetzt,
Daß ich es, mit geruͤhrter Seele,
Zum Vorwurf meiner Lieder waͤhle.
Wer, mit betrachtendem Gemuͤth,
Den Bau des Dornſtrauchs uͤberſieht
Den Zweig, den Dorn, das Laub, die Bluͤht;
Auch, wie ſo ordentlich ſie ſtehn,
Wie ſehr ſie gleich verworren ſcheinen:
Der findet alle Theile ſchoͤn,
Und zierlicher, als wie wir meynen.
Die
D 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0065" n="51"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Der blu&#x0364;hende Dorn&#x017F;trauch.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <l><hi rendition="#in">E</hi>s i&#x017F;t, zur holden Fru&#x0364;hlings-Zeit,</l><lb/>
                <l>Die Welt &#x017F;o voller Lieblichkeit,</l><lb/>
                <l>Daß man, nicht ohn&#x2019; Ergetzen, &#x017F;iehet,</l><lb/>
                <l>Wie auch &#x017F;o gar der Dorn&#x017F;trauch blu&#x0364;het,</l><lb/>
                <l>Und zwar &#x017F;o angenehm, &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n,</l><lb/>
                <l>Daß wir das &#x017F;chimmernde Gepra&#x0364;nge,</l><lb/>
                <l>Der Bluhmen, Farben, Form und Menge,</l><lb/>
                <l>Nicht &#x017F;onder Lu&#x017F;t und Anmuth, &#x017F;ehn.</l><lb/>
                <l>Wie? dacht ich, &#x017F;oll der Fluch der Erden,</l><lb/>
                <l>Mit welchem &#x017F;ie beleget war</l><lb/>
                <l>Zu un&#x017F;rer Strafe, denn &#x017F;o gar</l><lb/>
                <l>Ein Vorwurf un&#x017F;rer Anmuth werden?</l><lb/>
                <l>Da ja &#x017F;o <hi rendition="#fr">Dorn</hi> als <hi rendition="#fr">Di&#x017F;teln</hi> blu&#x0364;hn,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;ich, zu un&#x017F;rer Augen-Weide,</l><lb/>
                <l>Mit einem Schimmer-reichen Kleide,</l><lb/>
                <l>Und bunten Farben, u&#x0364;berziehn.</l><lb/>
                <l>Doch &#x017F;ey die Antwort ausge&#x017F;etzt;</l><lb/>
                <l>Weil das, was ich, hier in der Na&#x0364;he,</l><lb/>
                <l>Am Dorn&#x017F;trauch Scho&#x0364;n- und Lieblichs &#x017F;ehe,</l><lb/>
                <l>Mir Aug&#x2019; und Herz &#x017F;o &#x017F;ehr ergetzt,</l><lb/>
                <l>Daß ich es, mit geru&#x0364;hrter Seele,</l><lb/>
                <l>Zum Vorwurf meiner Lieder wa&#x0364;hle.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l> <hi rendition="#fr">Wer, mit betrachtendem Gemu&#x0364;th,</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Den Bau des Dorn&#x017F;trauchs u&#x0364;ber&#x017F;ieht</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Den Zweig, den Dorn, das Laub, die Blu&#x0364;ht;</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Auch, wie &#x017F;o ordentlich &#x017F;ie &#x017F;tehn,</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Wie &#x017F;ehr &#x017F;ie gleich verworren &#x017F;cheinen:</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Der findet alle Theile &#x017F;cho&#x0364;n,</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Und zierlicher, als wie wir meynen.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="sig">D 2</fw>
              <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0065] Der bluͤhende Dornſtrauch. Es iſt, zur holden Fruͤhlings-Zeit, Die Welt ſo voller Lieblichkeit, Daß man, nicht ohn’ Ergetzen, ſiehet, Wie auch ſo gar der Dornſtrauch bluͤhet, Und zwar ſo angenehm, ſo ſchoͤn, Daß wir das ſchimmernde Gepraͤnge, Der Bluhmen, Farben, Form und Menge, Nicht ſonder Luſt und Anmuth, ſehn. Wie? dacht ich, ſoll der Fluch der Erden, Mit welchem ſie beleget war Zu unſrer Strafe, denn ſo gar Ein Vorwurf unſrer Anmuth werden? Da ja ſo Dorn als Diſteln bluͤhn, Und ſich, zu unſrer Augen-Weide, Mit einem Schimmer-reichen Kleide, Und bunten Farben, uͤberziehn. Doch ſey die Antwort ausgeſetzt; Weil das, was ich, hier in der Naͤhe, Am Dornſtrauch Schoͤn- und Lieblichs ſehe, Mir Aug’ und Herz ſo ſehr ergetzt, Daß ich es, mit geruͤhrter Seele, Zum Vorwurf meiner Lieder waͤhle. Wer, mit betrachtendem Gemuͤth, Den Bau des Dornſtrauchs uͤberſieht Den Zweig, den Dorn, das Laub, die Bluͤht; Auch, wie ſo ordentlich ſie ſtehn, Wie ſehr ſie gleich verworren ſcheinen: Der findet alle Theile ſchoͤn, Und zierlicher, als wie wir meynen. Die D 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/65
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/65>, abgerufen am 23.11.2024.