Bey unserer Mittags-Mahlzeit, auch beym Ge- nusse anderer Speisen und Früchte, haben wir uns gewöhnet, nicht allein mit Aufmerksamkeit das Ver- gnügen des Geschmacks uns zuzueignen; sondern wir erinnern uns zugleich der uns von Gott zu eben die- sem Vergnügen geschenckten Vorwürfe, und der uns dabey gegönnten Geschicklichkeit, dieselben durch fast unzählbare Veränderungen, in unterschiedlicher Zube- reitung derselben, uns die Art von Vergnügen im- mer zu vermehren. Absonderlich aber ermangeln wir nicht, auf die zu solcher Lust uns auf eine so bewun- dernswerthe Art zugerichteten Werkzeuge der Zunge, des Gaums etc. nicht weniger der den Speisen beyge- legten Nahrungs-Kraft, einige Pflichtmäßige Gedan- ken zu wenden. Diese Beschäfftigung sehen wir an als eine Handlung, durch welche wir uns nicht allein von den Thieren unterscheiden, sondern wodurch wir in der empfundenen und durch die Betrachtung uns zugeeigneten Lust zu einer Dankbegier gegen denjeni- gen, durch dessen weise Macht und Güte wir so man- nigfachen Vergnügens auf eine so künstliche Weise theilhaftig werden, uns aufgemuntert finden; und in einem brünstigen Verlangen, uns seinem Willen ge- mäß zu bezeigen, gestärket und bevestiget werden.
Nach aufgehobener Tafel verfügen wir uns aber- mal zu unserer Arbeit, und nach Endigung derselben, wenn der Tag kühle worden, begeben wir uns entwe- der in jenen lustigen Wald, oder auf die am Ufer des Flusses belegene Wiese, oder in unsern angelegten Garten; da uns denn die unzählbaren Vorwürfe un- gezähltes Vergnügen erregen. Wobey es uns un- möglich an guten Vorstellungen fehlen kann, da durch
der
Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Bey unſerer Mittags-Mahlzeit, auch beym Ge- nuſſe anderer Speiſen und Fruͤchte, haben wir uns gewoͤhnet, nicht allein mit Aufmerkſamkeit das Ver- gnuͤgen des Geſchmacks uns zuzueignen; ſondern wir erinnern uns zugleich der uns von Gott zu eben die- ſem Vergnuͤgen geſchenckten Vorwuͤrfe, und der uns dabey gegoͤnnten Geſchicklichkeit, dieſelben durch faſt unzaͤhlbare Veraͤnderungen, in unterſchiedlicher Zube- reitung derſelben, uns die Art von Vergnuͤgen im- mer zu vermehren. Abſonderlich aber ermangeln wir nicht, auf die zu ſolcher Luſt uns auf eine ſo bewun- dernswerthe Art zugerichteten Werkzeuge der Zunge, des Gaums ꝛc. nicht weniger der den Speiſen beyge- legten Nahrungs-Kraft, einige Pflichtmaͤßige Gedan- ken zu wenden. Dieſe Beſchaͤfftigung ſehen wir an als eine Handlung, durch welche wir uns nicht allein von den Thieren unterſcheiden, ſondern wodurch wir in der empfundenen und durch die Betrachtung uns zugeeigneten Luſt zu einer Dankbegier gegen denjeni- gen, durch deſſen weiſe Macht und Guͤte wir ſo man- nigfachen Vergnuͤgens auf eine ſo kuͤnſtliche Weiſe theilhaftig werden, uns aufgemuntert finden; und in einem bruͤnſtigen Verlangen, uns ſeinem Willen ge- maͤß zu bezeigen, geſtaͤrket und beveſtiget werden.
Nach aufgehobener Tafel verfuͤgen wir uns aber- mal zu unſerer Arbeit, und nach Endigung derſelben, wenn der Tag kuͤhle worden, begeben wir uns entwe- der in jenen luſtigen Wald, oder auf die am Ufer des Fluſſes belegene Wieſe, oder in unſern angelegten Garten; da uns denn die unzaͤhlbaren Vorwuͤrfe un- gezaͤhltes Vergnuͤgen erregen. Wobey es uns un- moͤglich an guten Vorſtellungen fehlen kann, da durch
der
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Eine Lehr-reiche Geſchichte.
Bey unſerer Mittags-Mahlzeit, auch beym Ge-
nuſſe anderer Speiſen und Fruͤchte, haben wir uns
gewoͤhnet, nicht allein mit Aufmerkſamkeit das Ver-
gnuͤgen des Geſchmacks uns zuzueignen; ſondern wir
erinnern uns zugleich der uns von Gott zu eben die-
ſem Vergnuͤgen geſchenckten Vorwuͤrfe, und der uns
dabey gegoͤnnten Geſchicklichkeit, dieſelben durch faſt
unzaͤhlbare Veraͤnderungen, in unterſchiedlicher Zube-
reitung derſelben, uns die Art von Vergnuͤgen im-
mer zu vermehren. Abſonderlich aber ermangeln wir
nicht, auf die zu ſolcher Luſt uns auf eine ſo bewun-
dernswerthe Art zugerichteten Werkzeuge der Zunge,
des Gaums ꝛc. nicht weniger der den Speiſen beyge-
legten Nahrungs-Kraft, einige Pflichtmaͤßige Gedan-
ken zu wenden. Dieſe Beſchaͤfftigung ſehen wir an
als eine Handlung, durch welche wir uns nicht allein
von den Thieren unterſcheiden, ſondern wodurch wir
in der empfundenen und durch die Betrachtung uns
zugeeigneten Luſt zu einer Dankbegier gegen denjeni-
gen, durch deſſen weiſe Macht und Guͤte wir ſo man-
nigfachen Vergnuͤgens auf eine ſo kuͤnſtliche Weiſe
theilhaftig werden, uns aufgemuntert finden; und in
einem bruͤnſtigen Verlangen, uns ſeinem Willen ge-
maͤß zu bezeigen, geſtaͤrket und beveſtiget werden.
Nach aufgehobener Tafel verfuͤgen wir uns aber-
mal zu unſerer Arbeit, und nach Endigung derſelben,
wenn der Tag kuͤhle worden, begeben wir uns entwe-
der in jenen luſtigen Wald, oder auf die am Ufer des
Fluſſes belegene Wieſe, oder in unſern angelegten
Garten; da uns denn die unzaͤhlbaren Vorwuͤrfe un-
gezaͤhltes Vergnuͤgen erregen. Wobey es uns un-
moͤglich an guten Vorſtellungen fehlen kann, da durch
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 634. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/648>, abgerufen am 23.11.2024.
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