Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

Eine Lehr-reiche Geschichte.
den Fluß mit vielen Wasser-Vögeln, deren einige die
schönsten Federn hatten, an vielen Orten fast bedecket,
und in dem Wasser ganze Heere beschuppter Fische wim-
meln sahe. Die Luft schien nicht nur von gebiesamten
Dünsten aus unzähligen Bluhmen, sondern zugleich
von süßen Tönen lieblich singender Vögel ganz ange-
füllet. Kurz! die ganze Landschaft war ein Jnbegriff
anmuthiger Vorwürfe, und schien fast ein irdisches Pa-
radies vorzustellen.

Nachdem Mirander nun durch einen etwas weniger
gefährlichen Weg von dem Gebürge herabgestiegen,
und in einem kleinen lustigen Wäldgen angelanget war,
ward er unvermuthet einen Mann ansichtig, dem seine
majestätische Mine ein ehrwürdiges Ansehn gab. Es
hatte derselbe einen weissen Bart, der über seine Brust
herab hieng, seine Augen waren sehr lebhaft, durchdrin-
gend, und zugleich voller einnehmender Sanftmuth.
Er war zwar in Ziegenfelle gekleidet, die aber, weil sie auf
eine zierliche Art zugeschnitten waren, ihm nicht übel
anstunden. Jhn begleitete eine fast auf dieselbe Art
bedeckte lange und sehr ansehnliche Frau, deren Gesichts-
züge noch den Rest von einer ausnehmenden Schönheit
zeigten. Diese hatte einen Knaben von ungefehr acht
Jahren bey der Hand. Nachdem sie alle bey dem er-
sten Anblicke etwas stutzig sich eine Zeitlang von ferne an-
gesehen hatten, nahete Mirander sich ihnen voller Freu-
de, an einem so entlegnen Orte Menschen so unvermu-
thet angetroffen zu haben, zumal ihr sittsamer Anstand
ihn etwas dreiste gemacht hatte. Er redete sie in Fran-
zösischer Sprache an. Der ehrwürdige Greis antwor-
tete ihm zu seiner größten Verwunderung Teutsch.
Nachdem sie ihn nun beyde mit vieler Höflichkeit in ihre

nicht

Eine Lehr-reiche Geſchichte.
den Fluß mit vielen Waſſer-Voͤgeln, deren einige die
ſchoͤnſten Federn hatten, an vielen Orten faſt bedecket,
und in dem Waſſer ganze Heere beſchuppter Fiſche wim-
meln ſahe. Die Luft ſchien nicht nur von gebieſamten
Duͤnſten aus unzaͤhligen Bluhmen, ſondern zugleich
von ſuͤßen Toͤnen lieblich ſingender Voͤgel ganz ange-
fuͤllet. Kurz! die ganze Landſchaft war ein Jnbegriff
anmuthiger Vorwuͤrfe, und ſchien faſt ein irdiſches Pa-
radies vorzuſtellen.

Nachdem Mirander nun durch einen etwas weniger
gefaͤhrlichen Weg von dem Gebuͤrge herabgeſtiegen,
und in einem kleinen luſtigen Waͤldgen angelanget war,
ward er unvermuthet einen Mann anſichtig, dem ſeine
majeſtaͤtiſche Mine ein ehrwuͤrdiges Anſehn gab. Es
hatte derſelbe einen weiſſen Bart, der uͤber ſeine Bruſt
herab hieng, ſeine Augen waren ſehr lebhaft, durchdrin-
gend, und zugleich voller einnehmender Sanftmuth.
Er war zwar in Ziegenfelle gekleidet, die aber, weil ſie auf
eine zierliche Art zugeſchnitten waren, ihm nicht uͤbel
anſtunden. Jhn begleitete eine faſt auf dieſelbe Art
bedeckte lange und ſehr anſehnliche Frau, deren Geſichts-
zuͤge noch den Reſt von einer ausnehmenden Schoͤnheit
zeigten. Dieſe hatte einen Knaben von ungefehr acht
Jahren bey der Hand. Nachdem ſie alle bey dem er-
ſten Anblicke etwas ſtutzig ſich eine Zeitlang von ferne an-
geſehen hatten, nahete Mirander ſich ihnen voller Freu-
de, an einem ſo entlegnen Orte Menſchen ſo unvermu-
thet angetroffen zu haben, zumal ihr ſittſamer Anſtand
ihn etwas dreiſte gemacht hatte. Er redete ſie in Fran-
zoͤſiſcher Sprache an. Der ehrwuͤrdige Greis antwor-
tete ihm zu ſeiner groͤßten Verwunderung Teutſch.
Nachdem ſie ihn nun beyde mit vieler Hoͤflichkeit in ihre

nicht
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0637" n="623"/><fw place="top" type="header">Eine Lehr-reiche Ge&#x017F;chichte.</fw><lb/>
den Fluß mit vielen Wa&#x017F;&#x017F;er-Vo&#x0364;geln, deren einige die<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Federn hatten, an vielen Orten fa&#x017F;t bedecket,<lb/>
und in dem Wa&#x017F;&#x017F;er ganze Heere be&#x017F;chuppter Fi&#x017F;che wim-<lb/>
meln &#x017F;ahe. Die Luft &#x017F;chien nicht nur von gebie&#x017F;amten<lb/>
Du&#x0364;n&#x017F;ten aus unza&#x0364;hligen Bluhmen, &#x017F;ondern zugleich<lb/>
von &#x017F;u&#x0364;ßen To&#x0364;nen lieblich &#x017F;ingender Vo&#x0364;gel ganz ange-<lb/>
fu&#x0364;llet. Kurz! die ganze Land&#x017F;chaft war ein Jnbegriff<lb/>
anmuthiger Vorwu&#x0364;rfe, und &#x017F;chien fa&#x017F;t ein irdi&#x017F;ches Pa-<lb/>
radies vorzu&#x017F;tellen.</p><lb/>
            <p>Nachdem Mirander nun durch einen etwas weniger<lb/>
gefa&#x0364;hrlichen Weg von dem Gebu&#x0364;rge herabge&#x017F;tiegen,<lb/>
und in einem kleinen lu&#x017F;tigen Wa&#x0364;ldgen angelanget war,<lb/>
ward er unvermuthet einen Mann an&#x017F;ichtig, dem &#x017F;eine<lb/>
maje&#x017F;ta&#x0364;ti&#x017F;che Mine ein ehrwu&#x0364;rdiges An&#x017F;ehn gab. Es<lb/>
hatte der&#x017F;elbe einen wei&#x017F;&#x017F;en Bart, der u&#x0364;ber &#x017F;eine Bru&#x017F;t<lb/>
herab hieng, &#x017F;eine Augen waren &#x017F;ehr lebhaft, durchdrin-<lb/>
gend, und zugleich voller einnehmender Sanftmuth.<lb/>
Er war zwar in Ziegenfelle gekleidet, die aber, weil &#x017F;ie auf<lb/>
eine zierliche Art zuge&#x017F;chnitten waren, ihm nicht u&#x0364;bel<lb/>
an&#x017F;tunden. Jhn begleitete eine fa&#x017F;t auf die&#x017F;elbe Art<lb/>
bedeckte lange und &#x017F;ehr an&#x017F;ehnliche Frau, deren Ge&#x017F;ichts-<lb/>
zu&#x0364;ge noch den Re&#x017F;t von einer ausnehmenden Scho&#x0364;nheit<lb/>
zeigten. Die&#x017F;e hatte einen Knaben von ungefehr acht<lb/>
Jahren bey der Hand. Nachdem &#x017F;ie alle bey dem er-<lb/>
&#x017F;ten Anblicke etwas &#x017F;tutzig &#x017F;ich eine Zeitlang von ferne an-<lb/>
ge&#x017F;ehen hatten, nahete Mirander &#x017F;ich ihnen voller Freu-<lb/>
de, an einem &#x017F;o entlegnen Orte Men&#x017F;chen &#x017F;o unvermu-<lb/>
thet angetroffen zu haben, zumal ihr &#x017F;itt&#x017F;amer An&#x017F;tand<lb/>
ihn etwas drei&#x017F;te gemacht hatte. Er redete &#x017F;ie in Fran-<lb/>
zo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;cher Sprache an. Der ehrwu&#x0364;rdige Greis antwor-<lb/>
tete ihm zu &#x017F;einer gro&#x0364;ßten Verwunderung Teut&#x017F;ch.<lb/>
Nachdem &#x017F;ie ihn nun beyde mit vieler Ho&#x0364;flichkeit in ihre<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[623/0637] Eine Lehr-reiche Geſchichte. den Fluß mit vielen Waſſer-Voͤgeln, deren einige die ſchoͤnſten Federn hatten, an vielen Orten faſt bedecket, und in dem Waſſer ganze Heere beſchuppter Fiſche wim- meln ſahe. Die Luft ſchien nicht nur von gebieſamten Duͤnſten aus unzaͤhligen Bluhmen, ſondern zugleich von ſuͤßen Toͤnen lieblich ſingender Voͤgel ganz ange- fuͤllet. Kurz! die ganze Landſchaft war ein Jnbegriff anmuthiger Vorwuͤrfe, und ſchien faſt ein irdiſches Pa- radies vorzuſtellen. Nachdem Mirander nun durch einen etwas weniger gefaͤhrlichen Weg von dem Gebuͤrge herabgeſtiegen, und in einem kleinen luſtigen Waͤldgen angelanget war, ward er unvermuthet einen Mann anſichtig, dem ſeine majeſtaͤtiſche Mine ein ehrwuͤrdiges Anſehn gab. Es hatte derſelbe einen weiſſen Bart, der uͤber ſeine Bruſt herab hieng, ſeine Augen waren ſehr lebhaft, durchdrin- gend, und zugleich voller einnehmender Sanftmuth. Er war zwar in Ziegenfelle gekleidet, die aber, weil ſie auf eine zierliche Art zugeſchnitten waren, ihm nicht uͤbel anſtunden. Jhn begleitete eine faſt auf dieſelbe Art bedeckte lange und ſehr anſehnliche Frau, deren Geſichts- zuͤge noch den Reſt von einer ausnehmenden Schoͤnheit zeigten. Dieſe hatte einen Knaben von ungefehr acht Jahren bey der Hand. Nachdem ſie alle bey dem er- ſten Anblicke etwas ſtutzig ſich eine Zeitlang von ferne an- geſehen hatten, nahete Mirander ſich ihnen voller Freu- de, an einem ſo entlegnen Orte Menſchen ſo unvermu- thet angetroffen zu haben, zumal ihr ſittſamer Anſtand ihn etwas dreiſte gemacht hatte. Er redete ſie in Fran- zoͤſiſcher Sprache an. Der ehrwuͤrdige Greis antwor- tete ihm zu ſeiner groͤßten Verwunderung Teutſch. Nachdem ſie ihn nun beyde mit vieler Hoͤflichkeit in ihre nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/637
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/637>, abgerufen am 24.11.2024.