"Doch halt! er ist vordem vermuthlich hier gewesen: "Dieß kann ich wenigstens aus aller Ordnung lesen. "Vielleicht ist er noch hier; und daß nur meine Augen, "Als die vielleicht zu schwach, ihn nicht zu sehen taugen. "Vielleicht hat Silvius dieß alles hier gemacht. "Ach Silvius! was hat dich von mir weggebracht? "Wo bist du, wehrter Freund? Du könntest mich belehren: "Du bist allein geschickt, die Wahrheit zu erklären. "Er hat mir oftermals von einer Gottheit Wesen, "Als der selbstständigen Vernunft, mir viel gelesen, "Geschrieben, und erzählt, und mir von Seiner Macht "So viel ehrwürdige Gedanken beygebracht. "Die Gottheit hat vielleicht hier diese neue Welt "Unmittelbar gemacht, und mich darein gestellt: "Vielleicht ist es von Jhr, durch Mittel nur, ge- schehen; "Doch kann ich auch ja nicht einmal die Mittel sehen.
Drauf legt' er seine Feder nieder, Stund auf, und ging, mit sanften Schritten, im ganzen Zimmer auf und nieder, Von mancherley Jdeen voll, gesenkt, im ernsten Ueberlegen; Bis, zu vermehrtererm Erstaunen, von den geschloßnen Fenster-Schlägen Sich zween, von aussen, öffneten. Er sah vom hellen Sonnen-Scheine Bestrahlte Häuser; viele Fenster, die eben so geformt, wie seine.
Er
Neu-Jahrs-Gedicht,
“Doch halt! er iſt vordem vermuthlich hier geweſen: “Dieß kann ich wenigſtens aus aller Ordnung leſen. “Vielleicht iſt er noch hier; und daß nur meine Augen, “Als die vielleicht zu ſchwach, ihn nicht zu ſehen taugen. “Vielleicht hat Silvius dieß alles hier gemacht. “Ach Silvius! was hat dich von mir weggebracht? “Wo biſt du, wehrter Freund? Du koͤnnteſt mich belehren: “Du biſt allein geſchickt, die Wahrheit zu erklaͤren. “Er hat mir oftermals von einer Gottheit Weſen, “Als der ſelbſtſtaͤndigen Vernunft, mir viel geleſen, “Geſchrieben, und erzaͤhlt, und mir von Seiner Macht “So viel ehrwuͤrdige Gedanken beygebracht. “Die Gottheit hat vielleicht hier dieſe neue Welt “Unmittelbar gemacht, und mich darein geſtellt: “Vielleicht iſt es von Jhr, durch Mittel nur, ge- ſchehen; “Doch kann ich auch ja nicht einmal die Mittel ſehen.
Drauf legt’ er ſeine Feder nieder, Stund auf, und ging, mit ſanften Schritten, im ganzen Zimmer auf und nieder, Von mancherley Jdeen voll, geſenkt, im ernſten Ueberlegen; Bis, zu vermehrtererm Erſtaunen, von den geſchloßnen Fenſter-Schlaͤgen Sich zween, von auſſen, oͤffneten. Er ſah vom hellen Sonnen-Scheine Beſtrahlte Haͤuſer; viele Fenſter, die eben ſo geformt, wie ſeine.
Er
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Neu-Jahrs-Gedicht,
“Doch halt! er iſt vordem vermuthlich hier geweſen:
“Dieß kann ich wenigſtens aus aller Ordnung leſen.
“Vielleicht iſt er noch hier; und daß nur meine
Augen,
“Als die vielleicht zu ſchwach, ihn nicht zu ſehen
taugen.
“Vielleicht hat Silvius dieß alles hier gemacht.
“Ach Silvius! was hat dich von mir weggebracht?
“Wo biſt du, wehrter Freund? Du koͤnnteſt mich
belehren:
“Du biſt allein geſchickt, die Wahrheit zu erklaͤren.
“Er hat mir oftermals von einer Gottheit Weſen,
“Als der ſelbſtſtaͤndigen Vernunft, mir viel geleſen,
“Geſchrieben, und erzaͤhlt, und mir von Seiner
Macht
“So viel ehrwuͤrdige Gedanken beygebracht.
“Die Gottheit hat vielleicht hier dieſe neue Welt
“Unmittelbar gemacht, und mich darein geſtellt:
“Vielleicht iſt es von Jhr, durch Mittel nur, ge-
ſchehen;
“Doch kann ich auch ja nicht einmal die Mittel ſehen.
Drauf legt’ er ſeine Feder nieder,
Stund auf, und ging, mit ſanften Schritten, im ganzen
Zimmer auf und nieder,
Von mancherley Jdeen voll, geſenkt, im ernſten Ueberlegen;
Bis, zu vermehrtererm Erſtaunen, von den geſchloßnen
Fenſter-Schlaͤgen
Sich zween, von auſſen, oͤffneten. Er ſah vom hellen
Sonnen-Scheine
Beſtrahlte Haͤuſer; viele Fenſter, die eben ſo geformt,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/434>, abgerufen am 16.02.2025.
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