Das Wachsen unsers Geists und Körpers, und wie sich beyder Wesen stärkt, Wird mehr von uns nicht, als die Pflanzen ihr Wach- sen fühlen, auch bemerkt. Da wir, beym Anfang unsers Wesens, zu denken, nicht im Stande seyn, Wie wir gekommen; nimmt Gewohnheit uns derge- stalt die Sinnen ein, Daß wir auch das Wozu versäumen. Die viel- und mancherley Geschäffte Der andern, unsre gleicherweise, die schwehren Sorgen für das Brodt, Die Leidenschaften, die Begierden, verschiedne Fälle, manche Noth, Beschäfftigen den regen Geist, und schwächen unsers Körpers Kräfte: So daß wir völlig alles Denken, an unsern Endzweck, fast verlieren, Ja unser' unglückselge Schlafsucht, zu dieser Pflicht, nicht einst verspühren.
Wir treten folglich einen Tag, und ein Jahr nach dem andern, an; Wir werden alt, erkranken, sterben: ohn' auf die erste unsrer Pflichten, Zum Ruhm des Schöpfers hier zu leben, nur einmal unsern Sinn zu richten, Und ehe wir auf unsern Endzweck kaum einen einzgen Blick gethan. Die vielerley Beschäfftigungen, womit die Menschen sich zerwühlen, Sind meistens gut, und nicht zu tadeln; nur daß sie auf den Zweck nicht zielen,
Zu
auf das 1740ſte Jahr.
Das Wachſen unſers Geiſts und Koͤrpers, und wie ſich beyder Weſen ſtaͤrkt, Wird mehr von uns nicht, als die Pflanzen ihr Wach- ſen fuͤhlen, auch bemerkt. Da wir, beym Anfang unſers Weſens, zu denken, nicht im Stande ſeyn, Wie wir gekommen; nimmt Gewohnheit uns derge- ſtalt die Sinnen ein, Daß wir auch das Wozu verſaͤumen. Die viel- und mancherley Geſchaͤffte Der andern, unſre gleicherweiſe, die ſchwehren Sorgen fuͤr das Brodt, Die Leidenſchaften, die Begierden, verſchiedne Faͤlle, manche Noth, Beſchaͤfftigen den regen Geiſt, und ſchwaͤchen unſers Koͤrpers Kraͤfte: So daß wir voͤllig alles Denken, an unſern Endzweck, faſt verlieren, Ja unſer’ ungluͤckſelge Schlafſucht, zu dieſer Pflicht, nicht einſt verſpuͤhren.
Wir treten folglich einen Tag, und ein Jahr nach dem andern, an; Wir werden alt, erkranken, ſterben: ohn’ auf die erſte unſrer Pflichten, Zum Ruhm des Schoͤpfers hier zu leben, nur einmal unſern Sinn zu richten, Und ehe wir auf unſern Endzweck kaum einen einzgen Blick gethan. Die vielerley Beſchaͤfftigungen, womit die Menſchen ſich zerwuͤhlen, Sind meiſtens gut, und nicht zu tadeln; nur daß ſie auf den Zweck nicht zielen,
Zu
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auf das 1740ſte Jahr.
Das Wachſen unſers Geiſts und Koͤrpers, und wie ſich
beyder Weſen ſtaͤrkt,
Wird mehr von uns nicht, als die Pflanzen ihr Wach-
ſen fuͤhlen, auch bemerkt.
Da wir, beym Anfang unſers Weſens, zu denken, nicht
im Stande ſeyn,
Wie wir gekommen; nimmt Gewohnheit uns derge-
ſtalt die Sinnen ein,
Daß wir auch das Wozu verſaͤumen. Die viel- und
mancherley Geſchaͤffte
Der andern, unſre gleicherweiſe, die ſchwehren Sorgen
fuͤr das Brodt,
Die Leidenſchaften, die Begierden, verſchiedne Faͤlle,
manche Noth,
Beſchaͤfftigen den regen Geiſt, und ſchwaͤchen unſers
Koͤrpers Kraͤfte:
So daß wir voͤllig alles Denken, an unſern Endzweck,
faſt verlieren,
Ja unſer’ ungluͤckſelge Schlafſucht, zu dieſer Pflicht,
nicht einſt verſpuͤhren.
Wir treten folglich einen Tag, und ein Jahr nach
dem andern, an;
Wir werden alt, erkranken, ſterben: ohn’ auf die erſte
unſrer Pflichten,
Zum Ruhm des Schoͤpfers hier zu leben, nur einmal
unſern Sinn zu richten,
Und ehe wir auf unſern Endzweck kaum einen einzgen
Blick gethan.
Die vielerley Beſchaͤfftigungen, womit die Menſchen
ſich zerwuͤhlen,
Sind meiſtens gut, und nicht zu tadeln; nur daß ſie
auf den Zweck nicht zielen,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/331>, abgerufen am 18.07.2024.
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