Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
auf das 1740ste Jahr.
Das Wachsen unsers Geists und Körpers, und wie sich
beyder Wesen stärkt,

Wird mehr von uns nicht, als die Pflanzen ihr Wach-
sen fühlen, auch bemerkt.

Da wir, beym Anfang unsers Wesens, zu denken, nicht
im Stande seyn,

Wie wir gekommen; nimmt Gewohnheit uns derge-
stalt die Sinnen ein,

Daß wir auch das Wozu versäumen. Die viel- und
mancherley Geschäffte

Der andern, unsre gleicherweise, die schwehren Sorgen
für das Brodt,

Die Leidenschaften, die Begierden, verschiedne Fälle,
manche Noth,

Beschäfftigen den regen Geist, und schwächen unsers
Körpers Kräfte:

So daß wir völlig alles Denken, an unsern Endzweck,
fast verlieren,

Ja unser' unglückselge Schlafsucht, zu dieser Pflicht,
nicht einst verspühren.
Wir treten folglich einen Tag, und ein Jahr nach
dem andern, an;

Wir werden alt, erkranken, sterben: ohn' auf die erste
unsrer Pflichten,

Zum Ruhm des Schöpfers hier zu leben, nur einmal
unsern Sinn zu richten,

Und ehe wir auf unsern Endzweck kaum einen einzgen
Blick gethan.

Die vielerley Beschäfftigungen, womit die Menschen
sich zerwühlen,

Sind meistens gut, und nicht zu tadeln; nur daß sie
auf den Zweck nicht zielen,
Zu
auf das 1740ſte Jahr.
Das Wachſen unſers Geiſts und Koͤrpers, und wie ſich
beyder Weſen ſtaͤrkt,

Wird mehr von uns nicht, als die Pflanzen ihr Wach-
ſen fuͤhlen, auch bemerkt.

Da wir, beym Anfang unſers Weſens, zu denken, nicht
im Stande ſeyn,

Wie wir gekommen; nimmt Gewohnheit uns derge-
ſtalt die Sinnen ein,

Daß wir auch das Wozu verſaͤumen. Die viel- und
mancherley Geſchaͤffte

Der andern, unſre gleicherweiſe, die ſchwehren Sorgen
fuͤr das Brodt,

Die Leidenſchaften, die Begierden, verſchiedne Faͤlle,
manche Noth,

Beſchaͤfftigen den regen Geiſt, und ſchwaͤchen unſers
Koͤrpers Kraͤfte:

So daß wir voͤllig alles Denken, an unſern Endzweck,
faſt verlieren,

Ja unſer’ ungluͤckſelge Schlafſucht, zu dieſer Pflicht,
nicht einſt verſpuͤhren.
Wir treten folglich einen Tag, und ein Jahr nach
dem andern, an;

Wir werden alt, erkranken, ſterben: ohn’ auf die erſte
unſrer Pflichten,

Zum Ruhm des Schoͤpfers hier zu leben, nur einmal
unſern Sinn zu richten,

Und ehe wir auf unſern Endzweck kaum einen einzgen
Blick gethan.

Die vielerley Beſchaͤfftigungen, womit die Menſchen
ſich zerwuͤhlen,

Sind meiſtens gut, und nicht zu tadeln; nur daß ſie
auf den Zweck nicht zielen,
Zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0331" n="317"/>
              <fw place="top" type="header">auf das 1740&#x017F;te Jahr.</fw><lb/>
              <lg n="8">
                <l>Das Wach&#x017F;en un&#x017F;ers Gei&#x017F;ts und Ko&#x0364;rpers, und wie &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">beyder We&#x017F;en &#x017F;ta&#x0364;rkt,</hi></l><lb/>
                <l>Wird mehr von uns nicht, als die Pflanzen ihr Wach-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;en fu&#x0364;hlen, auch bemerkt.</hi></l><lb/>
                <l>Da wir, beym Anfang un&#x017F;ers We&#x017F;ens, zu denken, nicht<lb/><hi rendition="#et">im Stande &#x017F;eyn,</hi></l><lb/>
                <l><hi rendition="#fr">Wie</hi> wir gekommen; nimmt Gewohnheit uns derge-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;talt die Sinnen ein,</hi></l><lb/>
                <l>Daß wir auch das <hi rendition="#fr">Wozu</hi> ver&#x017F;a&#x0364;umen. Die viel- und<lb/><hi rendition="#et">mancherley Ge&#x017F;cha&#x0364;ffte</hi></l><lb/>
                <l>Der andern, un&#x017F;re gleicherwei&#x017F;e, die &#x017F;chwehren Sorgen<lb/><hi rendition="#et">fu&#x0364;r das Brodt,</hi></l><lb/>
                <l>Die Leiden&#x017F;chaften, die Begierden, ver&#x017F;chiedne Fa&#x0364;lle,<lb/><hi rendition="#et">manche Noth,</hi></l><lb/>
                <l>Be&#x017F;cha&#x0364;fftigen den regen Gei&#x017F;t, und &#x017F;chwa&#x0364;chen un&#x017F;ers<lb/><hi rendition="#et">Ko&#x0364;rpers Kra&#x0364;fte:</hi></l><lb/>
                <l>So daß wir vo&#x0364;llig alles Denken, an un&#x017F;ern Endzweck,<lb/><hi rendition="#et">fa&#x017F;t verlieren,</hi></l><lb/>
                <l>Ja un&#x017F;er&#x2019; unglu&#x0364;ck&#x017F;elge Schlaf&#x017F;ucht, zu die&#x017F;er Pflicht,<lb/><hi rendition="#et">nicht ein&#x017F;t ver&#x017F;pu&#x0364;hren.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="9">
                <l>Wir treten folglich einen Tag, und ein Jahr nach<lb/><hi rendition="#et">dem andern, an;</hi></l><lb/>
                <l>Wir werden alt, erkranken, &#x017F;terben: ohn&#x2019; auf die er&#x017F;te<lb/><hi rendition="#et">un&#x017F;rer Pflichten,</hi></l><lb/>
                <l>Zum Ruhm des Scho&#x0364;pfers hier zu leben, nur einmal<lb/><hi rendition="#et">un&#x017F;ern Sinn zu richten,</hi></l><lb/>
                <l>Und ehe wir auf un&#x017F;ern Endzweck kaum einen einzgen<lb/><hi rendition="#et">Blick gethan.</hi></l><lb/>
                <l>Die vielerley Be&#x017F;cha&#x0364;fftigungen, womit die Men&#x017F;chen<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;ich zerwu&#x0364;hlen,</hi></l><lb/>
                <l>Sind mei&#x017F;tens gut, und nicht zu tadeln; nur daß &#x017F;ie<lb/><hi rendition="#et">auf den Zweck nicht zielen,</hi></l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Zu</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[317/0331] auf das 1740ſte Jahr. Das Wachſen unſers Geiſts und Koͤrpers, und wie ſich beyder Weſen ſtaͤrkt, Wird mehr von uns nicht, als die Pflanzen ihr Wach- ſen fuͤhlen, auch bemerkt. Da wir, beym Anfang unſers Weſens, zu denken, nicht im Stande ſeyn, Wie wir gekommen; nimmt Gewohnheit uns derge- ſtalt die Sinnen ein, Daß wir auch das Wozu verſaͤumen. Die viel- und mancherley Geſchaͤffte Der andern, unſre gleicherweiſe, die ſchwehren Sorgen fuͤr das Brodt, Die Leidenſchaften, die Begierden, verſchiedne Faͤlle, manche Noth, Beſchaͤfftigen den regen Geiſt, und ſchwaͤchen unſers Koͤrpers Kraͤfte: So daß wir voͤllig alles Denken, an unſern Endzweck, faſt verlieren, Ja unſer’ ungluͤckſelge Schlafſucht, zu dieſer Pflicht, nicht einſt verſpuͤhren. Wir treten folglich einen Tag, und ein Jahr nach dem andern, an; Wir werden alt, erkranken, ſterben: ohn’ auf die erſte unſrer Pflichten, Zum Ruhm des Schoͤpfers hier zu leben, nur einmal unſern Sinn zu richten, Und ehe wir auf unſern Endzweck kaum einen einzgen Blick gethan. Die vielerley Beſchaͤfftigungen, womit die Menſchen ſich zerwuͤhlen, Sind meiſtens gut, und nicht zu tadeln; nur daß ſie auf den Zweck nicht zielen, Zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/331
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/331>, abgerufen am 21.05.2024.