Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Nutzen des Mangels,
Allein, worinn man, noch am meisten, der Weisheit.
hellen Glanz ersieht,

Jst, daß die Erd', ohn' unsern Fleiß, kein Korn aus
ihrem Schooße zieht.

Wenn eine Bluhme mehrentheils, ohn sonderliches Zu-
thun, blüht;

Wenn alle Früchte, fast von selbst, für uns, auf den
erhabnen Zweigen,

Und ohne sonderliche Mühe, in ihrem holden Schmuck
fich zeigen:

So muß das Allernöthigste, das Korn, mit größrer Müh'
allein

Gebaut, gedünget und gepfleget, erhalten und behan-
delt seyn.
"Ja, möchte mancher hierauf sprechen: Dieß ist
ein Unglück, und kein Glück;

"Und ich beklage mich mit Recht, daß ein nicht billiges
Geschick

"Mich recht zum Sclaven-Stand verdammt. Wie
elend bin ich nicht daran,

"Daß ich mich mit so bitterm Schweiß, und saurer
Müh, nur nähren kann!

"Wenn ihr, statt meiner, graben müßtet, wenn ihr
in meiner Stelle wärt;

"Jhr würdet andre Lieder singen, ihr würdet dieß kein
Glück nicht nennen,

"Noch mein so kümmerliches Leben, für etwas Gutes,
schätzen können:

"Jhr murrtet minder nicht, als ich; ihr hieltet euch
mit Recht beschwehrt.
"Den
Nutzen des Mangels,
Allein, worinn man, noch am meiſten, der Weisheit.
hellen Glanz erſieht,

Jſt, daß die Erd’, ohn’ unſern Fleiß, kein Korn aus
ihrem Schooße zieht.

Wenn eine Bluhme mehrentheils, ohn ſonderliches Zu-
thun, bluͤht;

Wenn alle Fruͤchte, faſt von ſelbſt, fuͤr uns, auf den
erhabnen Zweigen,

Und ohne ſonderliche Muͤhe, in ihrem holden Schmuck
fich zeigen:

So muß das Allernoͤthigſte, das Korn, mit groͤßrer Muͤh’
allein

Gebaut, geduͤnget und gepfleget, erhalten und behan-
delt ſeyn.
“Ja, moͤchte mancher hierauf ſprechen: Dieß iſt
ein Ungluͤck, und kein Gluͤck;

“Und ich beklage mich mit Recht, daß ein nicht billiges
Geſchick

“Mich recht zum Sclaven-Stand verdammt. Wie
elend bin ich nicht daran,

“Daß ich mich mit ſo bitterm Schweiß, und ſaurer
Muͤh, nur naͤhren kann!

“Wenn ihr, ſtatt meiner, graben muͤßtet, wenn ihr
in meiner Stelle waͤrt;

“Jhr wuͤrdet andre Lieder ſingen, ihr wuͤrdet dieß kein
Gluͤck nicht nennen,

“Noch mein ſo kuͤmmerliches Leben, fuͤr etwas Gutes,
ſchaͤtzen koͤnnen:

“Jhr murrtet minder nicht, als ich; ihr hieltet euch
mit Recht beſchwehrt.
“Den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0316" n="302"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Nutzen des Mangels,</hi> </fw><lb/>
              <lg n="31">
                <l>Allein, worinn man, noch am mei&#x017F;ten, der Weisheit.<lb/><hi rendition="#et">hellen Glanz er&#x017F;ieht,</hi></l><lb/>
                <l>J&#x017F;t, daß die Erd&#x2019;, ohn&#x2019; un&#x017F;ern Fleiß, kein Korn aus<lb/><hi rendition="#et">ihrem Schooße zieht.</hi></l><lb/>
                <l>Wenn eine Bluhme mehrentheils, ohn &#x017F;onderliches Zu-<lb/><hi rendition="#et">thun, blu&#x0364;ht;</hi></l><lb/>
                <l>Wenn alle Fru&#x0364;chte, fa&#x017F;t von &#x017F;elb&#x017F;t, fu&#x0364;r uns, auf den<lb/><hi rendition="#et">erhabnen Zweigen,</hi></l><lb/>
                <l>Und ohne &#x017F;onderliche Mu&#x0364;he, in ihrem holden Schmuck<lb/><hi rendition="#et">fich zeigen:</hi></l><lb/>
                <l>So muß das Allerno&#x0364;thig&#x017F;te, das Korn, mit gro&#x0364;ßrer Mu&#x0364;h&#x2019;<lb/><hi rendition="#et">allein</hi></l><lb/>
                <l>Gebaut, gedu&#x0364;nget und gepfleget, erhalten und behan-<lb/><hi rendition="#et">delt &#x017F;eyn.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="32">
                <l>&#x201C;Ja, mo&#x0364;chte mancher hierauf &#x017F;prechen: Dieß i&#x017F;t<lb/><hi rendition="#et">ein Unglu&#x0364;ck, und kein Glu&#x0364;ck;</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Und ich beklage mich mit Recht, daß ein nicht billiges<lb/><hi rendition="#et">Ge&#x017F;chick</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Mich recht zum Sclaven-Stand verdammt. Wie<lb/><hi rendition="#et">elend bin ich nicht daran,</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Daß ich mich mit &#x017F;o bitterm Schweiß, und &#x017F;aurer<lb/><hi rendition="#et">Mu&#x0364;h, nur na&#x0364;hren kann!</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Wenn ihr, &#x017F;tatt meiner, graben mu&#x0364;ßtet, wenn ihr<lb/><hi rendition="#et">in meiner Stelle wa&#x0364;rt;</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Jhr wu&#x0364;rdet andre Lieder &#x017F;ingen, ihr wu&#x0364;rdet dieß kein<lb/><hi rendition="#et">Glu&#x0364;ck nicht nennen,</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Noch mein &#x017F;o ku&#x0364;mmerliches Leben, fu&#x0364;r etwas Gutes,<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;cha&#x0364;tzen ko&#x0364;nnen:</hi></l><lb/>
                <l>&#x201C;Jhr murrtet minder nicht, als ich; ihr hieltet euch<lb/><hi rendition="#et">mit Recht be&#x017F;chwehrt.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">&#x201C;Den</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0316] Nutzen des Mangels, Allein, worinn man, noch am meiſten, der Weisheit. hellen Glanz erſieht, Jſt, daß die Erd’, ohn’ unſern Fleiß, kein Korn aus ihrem Schooße zieht. Wenn eine Bluhme mehrentheils, ohn ſonderliches Zu- thun, bluͤht; Wenn alle Fruͤchte, faſt von ſelbſt, fuͤr uns, auf den erhabnen Zweigen, Und ohne ſonderliche Muͤhe, in ihrem holden Schmuck fich zeigen: So muß das Allernoͤthigſte, das Korn, mit groͤßrer Muͤh’ allein Gebaut, geduͤnget und gepfleget, erhalten und behan- delt ſeyn. “Ja, moͤchte mancher hierauf ſprechen: Dieß iſt ein Ungluͤck, und kein Gluͤck; “Und ich beklage mich mit Recht, daß ein nicht billiges Geſchick “Mich recht zum Sclaven-Stand verdammt. Wie elend bin ich nicht daran, “Daß ich mich mit ſo bitterm Schweiß, und ſaurer Muͤh, nur naͤhren kann! “Wenn ihr, ſtatt meiner, graben muͤßtet, wenn ihr in meiner Stelle waͤrt; “Jhr wuͤrdet andre Lieder ſingen, ihr wuͤrdet dieß kein Gluͤck nicht nennen, “Noch mein ſo kuͤmmerliches Leben, fuͤr etwas Gutes, ſchaͤtzen koͤnnen: “Jhr murrtet minder nicht, als ich; ihr hieltet euch mit Recht beſchwehrt. “Den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/316
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/316>, abgerufen am 16.08.2024.