Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite
Ueberlegung nach einer ausgestandenen
Ob ich dem seltsamen Betragen
Nun gleich zu Anfang widerstund:
So muß ich doch mit Wahrheit sagen,
Daß ich es selbst nicht ändern kunnt.
Doch meynt ich auch zugleich dabey,
Und meyn es noch, daß dieß Verfahren das beste nicht
gewesen sey.
Durch Phantasey die Noth zu mindern,
Mußt uns an wahrer Andacht hindern.
Kein kräftiges Gebeth hat statt,
Wenn man sich selbst zu denken zwinget:
Daß das, woraus die Furcht entspringet,
Nicht eben viel zu sagen hat.
Doch scheinet auch nicht minder wahr,
Daß unvermeidliche Gefahr
Die Seele fast verstocken kann.
Furcht, Gram, und Unmuth tritt sie an;
Jhr wird die rege Kraft verschränket,
Sie denkt, und weiß nicht, was sie denket,
Von schwerer Angst fast unterdrückt.
Jn naher Noth, in Furcht, und Grauen,
Scheint sie zum Bethen, zum Vertrauen,
Am allerwenigsten geschickt.
Hieraus nun nehm ich diese Lehre:
"Da sich der Seelen Schwäch' entdeckt,
"Wenn sie Gefahr und Unfall schreckt;
"Wie nöthig es dem Menschen wäre,
"Bey ruhigen und sichern Zeiten,
"Und wenn die Lebens-Tage schön,
"Zum Lob und Dank uns zu bereiten,
"Auf Gottes Lieb und Macht zu sehn,
"Durch Zuversicht Jhn zu erhöhn.
Weil,
Ueberlegung nach einer ausgeſtandenen
Ob ich dem ſeltſamen Betragen
Nun gleich zu Anfang widerſtund:
So muß ich doch mit Wahrheit ſagen,
Daß ich es ſelbſt nicht aͤndern kunnt.
Doch meynt ich auch zugleich dabey,
Und meyn es noch, daß dieß Verfahren das beſte nicht
geweſen ſey.
Durch Phantaſey die Noth zu mindern,
Mußt uns an wahrer Andacht hindern.
Kein kraͤftiges Gebeth hat ſtatt,
Wenn man ſich ſelbſt zu denken zwinget:
Daß das, woraus die Furcht entſpringet,
Nicht eben viel zu ſagen hat.
Doch ſcheinet auch nicht minder wahr,
Daß unvermeidliche Gefahr
Die Seele faſt verſtocken kann.
Furcht, Gram, und Unmuth tritt ſie an;
Jhr wird die rege Kraft verſchraͤnket,
Sie denkt, und weiß nicht, was ſie denket,
Von ſchwerer Angſt faſt unterdruͤckt.
Jn naher Noth, in Furcht, und Grauen,
Scheint ſie zum Bethen, zum Vertrauen,
Am allerwenigſten geſchickt.
Hieraus nun nehm ich dieſe Lehre:
“Da ſich der Seelen Schwaͤch’ entdeckt,
“Wenn ſie Gefahr und Unfall ſchreckt;
“Wie noͤthig es dem Menſchen waͤre,
“Bey ruhigen und ſichern Zeiten,
“Und wenn die Lebens-Tage ſchoͤn,
“Zum Lob und Dank uns zu bereiten,
“Auf Gottes Lieb und Macht zu ſehn,
“Durch Zuverſicht Jhn zu erhoͤhn.
Weil,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0206" n="192"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ueberlegung nach einer ausge&#x017F;tandenen</hi> </fw><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Ob ich dem &#x017F;elt&#x017F;amen Betragen</l><lb/>
                <l>Nun gleich zu Anfang wider&#x017F;tund:</l><lb/>
                <l>So muß ich doch mit Wahrheit &#x017F;agen,</l><lb/>
                <l>Daß ich es &#x017F;elb&#x017F;t nicht a&#x0364;ndern kunnt.</l><lb/>
                <l>Doch meynt ich auch zugleich dabey,</l><lb/>
                <l>Und meyn es noch, daß dieß Verfahren das be&#x017F;te nicht<lb/><hi rendition="#et">gewe&#x017F;en &#x017F;ey.</hi></l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Durch Phanta&#x017F;ey die Noth zu mindern,</l><lb/>
                <l>Mußt uns an wahrer Andacht hindern.</l><lb/>
                <l>Kein kra&#x0364;ftiges Gebeth hat &#x017F;tatt,</l><lb/>
                <l>Wenn man &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zu denken zwinget:</l><lb/>
                <l>Daß das, woraus die Furcht ent&#x017F;pringet,</l><lb/>
                <l>Nicht eben viel zu &#x017F;agen hat.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="4">
                <l>Doch &#x017F;cheinet auch nicht minder wahr,</l><lb/>
                <l>Daß unvermeidliche Gefahr</l><lb/>
                <l>Die Seele fa&#x017F;t ver&#x017F;tocken kann.</l><lb/>
                <l>Furcht, Gram, und Unmuth tritt &#x017F;ie an;</l><lb/>
                <l>Jhr wird die rege Kraft ver&#x017F;chra&#x0364;nket,</l><lb/>
                <l>Sie denkt, und weiß nicht, was &#x017F;ie denket,</l><lb/>
                <l>Von &#x017F;chwerer Ang&#x017F;t fa&#x017F;t unterdru&#x0364;ckt.</l><lb/>
                <l>Jn naher Noth, in Furcht, und Grauen,</l><lb/>
                <l>Scheint &#x017F;ie zum Bethen, zum Vertrauen,</l><lb/>
                <l>Am allerwenig&#x017F;ten ge&#x017F;chickt.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="5">
                <l>Hieraus nun nehm ich die&#x017F;e Lehre:</l><lb/>
                <l>&#x201C;Da &#x017F;ich der Seelen Schwa&#x0364;ch&#x2019; entdeckt,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Wenn &#x017F;ie Gefahr und Unfall &#x017F;chreckt;</l><lb/>
                <l>&#x201C;Wie no&#x0364;thig es dem Men&#x017F;chen wa&#x0364;re,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Bey ruhigen und &#x017F;ichern Zeiten,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Und wenn die Lebens-Tage &#x017F;cho&#x0364;n,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Zum Lob und Dank uns zu bereiten,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Auf Gottes Lieb und Macht zu &#x017F;ehn,</l><lb/>
                <l>&#x201C;Durch Zuver&#x017F;icht Jhn zu erho&#x0364;hn.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Weil,</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0206] Ueberlegung nach einer ausgeſtandenen Ob ich dem ſeltſamen Betragen Nun gleich zu Anfang widerſtund: So muß ich doch mit Wahrheit ſagen, Daß ich es ſelbſt nicht aͤndern kunnt. Doch meynt ich auch zugleich dabey, Und meyn es noch, daß dieß Verfahren das beſte nicht geweſen ſey. Durch Phantaſey die Noth zu mindern, Mußt uns an wahrer Andacht hindern. Kein kraͤftiges Gebeth hat ſtatt, Wenn man ſich ſelbſt zu denken zwinget: Daß das, woraus die Furcht entſpringet, Nicht eben viel zu ſagen hat. Doch ſcheinet auch nicht minder wahr, Daß unvermeidliche Gefahr Die Seele faſt verſtocken kann. Furcht, Gram, und Unmuth tritt ſie an; Jhr wird die rege Kraft verſchraͤnket, Sie denkt, und weiß nicht, was ſie denket, Von ſchwerer Angſt faſt unterdruͤckt. Jn naher Noth, in Furcht, und Grauen, Scheint ſie zum Bethen, zum Vertrauen, Am allerwenigſten geſchickt. Hieraus nun nehm ich dieſe Lehre: “Da ſich der Seelen Schwaͤch’ entdeckt, “Wenn ſie Gefahr und Unfall ſchreckt; “Wie noͤthig es dem Menſchen waͤre, “Bey ruhigen und ſichern Zeiten, “Und wenn die Lebens-Tage ſchoͤn, “Zum Lob und Dank uns zu bereiten, “Auf Gottes Lieb und Macht zu ſehn, “Durch Zuverſicht Jhn zu erhoͤhn. Weil,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/206
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 8. Hamburg, 1746, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen08_1746/206>, abgerufen am 06.05.2024.