Oft hab ich bey mir überleget, was eigentlich die Weis- heit sey. Nachdem man von derselben Wesen so vieles und so man- cherley Jn mir nicht deutlichem Verstande gelehrt, geschrieben, vorgetragen; So deucht mich, daß man dieß von ihr mit allem Rechte könne sagen: Sie sey ein Wollen und Vermögen, so Thun als Denken nach den Pflichten Der göttlich- und natürlichen Gesetze klüglich einzu- richten. Wann wir nun finden, daß wir alle (so wie wir von uns selbst nicht seyn) Auch uns nicht selbst erhalten können; Ja daß, wenn wir uns recht betrachten, ein jeder ganz für sich allein, Von allen andern abgesondert, mit Recht ein' Jnsel sey zu nennen, Ja nicht einmahl, weil sonder Grund, den sonst ein' Jnsel hat, wir leben, Und gar nicht an der Erde fest, nur Jnseln sind, die gleich- sam schweben. Da GOtt hingegen allenthalben, und wir uns nicht zu helfen wissen, Vielmehr von Jhm unstreitig alles, so hier als dorten, haben müssen, Sowohl im Leben, als im Tode; so bleibet es gewiß dabey, Daß in der That die Furcht des HErrn der wahren Weisheit Anfang sey.
Unter-
Die Weisheit.
Oft hab ich bey mir uͤberleget, was eigentlich die Weis- heit ſey. Nachdem man von derſelben Weſen ſo vieles und ſo man- cherley Jn mir nicht deutlichem Verſtande gelehrt, geſchrieben, vorgetragen; So deucht mich, daß man dieß von ihr mit allem Rechte koͤnne ſagen: Sie ſey ein Wollen und Vermoͤgen, ſo Thun als Denken nach den Pflichten Der goͤttlich- und natuͤrlichen Geſetze kluͤglich einzu- richten. Wann wir nun finden, daß wir alle (ſo wie wir von uns ſelbſt nicht ſeyn) Auch uns nicht ſelbſt erhalten koͤnnen; Ja daß, wenn wir uns recht betrachten, ein jeder ganz fuͤr ſich allein, Von allen andern abgeſondert, mit Recht ein’ Jnſel ſey zu nennen, Ja nicht einmahl, weil ſonder Grund, den ſonſt ein’ Jnſel hat, wir leben, Und gar nicht an der Erde feſt, nur Jnſeln ſind, die gleich- ſam ſchweben. Da GOtt hingegen allenthalben, und wir uns nicht zu helfen wiſſen, Vielmehr von Jhm unſtreitig alles, ſo hier als dorten, haben muͤſſen, Sowohl im Leben, als im Tode; ſo bleibet es gewiß dabey, Daß in der That die Furcht des HErrn der wahren Weisheit Anfang ſey.
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Die Weisheit.
Oft hab ich bey mir uͤberleget, was eigentlich die Weis-
heit ſey.
Nachdem man von derſelben Weſen ſo vieles und ſo man-
cherley
Jn mir nicht deutlichem Verſtande gelehrt, geſchrieben,
vorgetragen;
So deucht mich, daß man dieß von ihr mit allem Rechte
koͤnne ſagen:
Sie ſey ein Wollen und Vermoͤgen, ſo Thun als
Denken nach den Pflichten
Der goͤttlich- und natuͤrlichen Geſetze kluͤglich einzu-
richten.
Wann wir nun finden, daß wir alle (ſo wie wir von uns
ſelbſt nicht ſeyn)
Auch uns nicht ſelbſt erhalten koͤnnen;
Ja daß, wenn wir uns recht betrachten, ein jeder ganz fuͤr
ſich allein,
Von allen andern abgeſondert, mit Recht ein’ Jnſel ſey zu
nennen,
Ja nicht einmahl, weil ſonder Grund, den ſonſt ein’ Jnſel
hat, wir leben,
Und gar nicht an der Erde feſt, nur Jnſeln ſind, die gleich-
ſam ſchweben.
Da GOtt hingegen allenthalben, und wir uns nicht zu
helfen wiſſen,
Vielmehr von Jhm unſtreitig alles, ſo hier als dorten, haben
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Sowohl im Leben, als im Tode; ſo bleibet es gewiß dabey,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 694. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/712>, abgerufen am 22.11.2024.
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