Es suchen auf den öden Gründen, Die sonst so lucker, itzt so hart, Die armen Schäfgen selbst, erstarrt, Umsonst, ein Spierchen Gras zu finden. Jhr lautes Schreyn, ihr ängstlichs Blecken Scheint Gram und Hunger zu entdecken. Sie fühlen ihr schon nah Verderben, Von ihrer nöht'gen Kost beraubt. Hier senkt ein zartes Lamm sein Haupt; Dort sieht man alte Schafe sterben. Der arme Landmann kratzt sein Haar, Und scheut noch grössere Gefahr; Jndem er durch den Frost so gar Sein Winter-Korn verdorben glaubt. Es ist nunmehro Zeit zu pflügen; Allein er kann, trotz seinem Fleiß, Für das annoch vorhandne Eis Den Pflug nicht in die Erde kriegen. Er denkt annoch ans vor'ge Jahr, Wo auch, beym seltnen Licht der Sonnen, Da es stets kalt und windig war, Er auch nur wenig Korn gewonnen. Er hoffet, mit fast müden Sorgen, Von jedem Heut zum andern Morgen, Von einer zu der andern Nacht, Daß sich die kalten Winde legen, Schnee, Eis und Reif entfernen mögen, Auch daß der Sonnen-Strahlen Pracht Sich mit der lauen Luft verbinde, Und ihre kalte Theil' entzünde. Allein es ist sein ängstlich Hoffen Noch bis daher nicht eingetroffen.
O Gott!
R r 2
Der ſpaͤte Froſt.
Es ſuchen auf den oͤden Gruͤnden, Die ſonſt ſo lucker, itzt ſo hart, Die armen Schaͤfgen ſelbſt, erſtarrt, Umſonſt, ein Spierchen Gras zu finden. Jhr lautes Schreyn, ihr aͤngſtlichs Blecken Scheint Gram und Hunger zu entdecken. Sie fuͤhlen ihr ſchon nah Verderben, Von ihrer noͤht’gen Koſt beraubt. Hier ſenkt ein zartes Lamm ſein Haupt; Dort ſieht man alte Schafe ſterben. Der arme Landmann kratzt ſein Haar, Und ſcheut noch groͤſſere Gefahr; Jndem er durch den Froſt ſo gar Sein Winter-Korn verdorben glaubt. Es iſt nunmehro Zeit zu pfluͤgen; Allein er kann, trotz ſeinem Fleiß, Fuͤr das annoch vorhandne Eis Den Pflug nicht in die Erde kriegen. Er denkt annoch ans vor’ge Jahr, Wo auch, beym ſeltnen Licht der Sonnen, Da es ſtets kalt und windig war, Er auch nur wenig Korn gewonnen. Er hoffet, mit faſt muͤden Sorgen, Von jedem Heut zum andern Morgen, Von einer zu der andern Nacht, Daß ſich die kalten Winde legen, Schnee, Eis und Reif entfernen moͤgen, Auch daß der Sonnen-Strahlen Pracht Sich mit der lauen Luft verbinde, Und ihre kalte Theil’ entzuͤnde. Allein es iſt ſein aͤngſtlich Hoffen Noch bis daher nicht eingetroffen.
O Gott!
R r 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0645"n="627"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Der ſpaͤte Froſt.</hi></fw><lb/><lgtype="poem"><l>Es ſuchen auf den oͤden Gruͤnden,</l><lb/><l>Die ſonſt ſo lucker, itzt ſo hart,</l><lb/><l>Die armen Schaͤfgen ſelbſt, erſtarrt,</l><lb/><l>Umſonſt, ein Spierchen Gras zu finden.</l><lb/><l>Jhr lautes Schreyn, ihr aͤngſtlichs Blecken</l><lb/><l>Scheint Gram und Hunger zu entdecken.</l><lb/><l>Sie fuͤhlen ihr ſchon nah Verderben,</l><lb/><l>Von ihrer noͤht’gen Koſt beraubt.</l><lb/><l>Hier ſenkt ein zartes Lamm ſein Haupt;</l><lb/><l>Dort ſieht man alte Schafe ſterben.</l><lb/><l>Der arme Landmann kratzt ſein Haar,</l><lb/><l>Und ſcheut noch groͤſſere Gefahr;</l><lb/><l>Jndem er durch den Froſt ſo gar</l><lb/><l>Sein Winter-Korn verdorben glaubt.</l><lb/><l>Es iſt nunmehro Zeit zu pfluͤgen;</l><lb/><l>Allein er kann, trotz ſeinem Fleiß,</l><lb/><l>Fuͤr das annoch vorhandne Eis</l><lb/><l>Den Pflug nicht in die Erde kriegen.</l><lb/><l>Er denkt annoch ans vor’ge Jahr,</l><lb/><l>Wo auch, beym ſeltnen Licht der Sonnen,</l><lb/><l>Da es ſtets kalt und windig war,</l><lb/><l>Er auch nur wenig Korn gewonnen.</l><lb/><l>Er hoffet, mit faſt muͤden Sorgen,</l><lb/><l>Von jedem Heut zum andern Morgen,</l><lb/><l>Von einer zu der andern Nacht,</l><lb/><l>Daß ſich die kalten Winde legen,</l><lb/><l>Schnee, Eis und Reif entfernen moͤgen,</l><lb/><l>Auch daß der Sonnen-Strahlen Pracht</l><lb/><l>Sich mit der lauen Luft verbinde,</l><lb/><l>Und ihre kalte Theil’ entzuͤnde.</l><lb/><l>Allein es iſt ſein aͤngſtlich Hoffen</l><lb/><l>Noch bis daher nicht eingetroffen.</l></lg><lb/><fwplace="bottom"type="sig">R r 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">O Gott!</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[627/0645]
Der ſpaͤte Froſt.
Es ſuchen auf den oͤden Gruͤnden,
Die ſonſt ſo lucker, itzt ſo hart,
Die armen Schaͤfgen ſelbſt, erſtarrt,
Umſonſt, ein Spierchen Gras zu finden.
Jhr lautes Schreyn, ihr aͤngſtlichs Blecken
Scheint Gram und Hunger zu entdecken.
Sie fuͤhlen ihr ſchon nah Verderben,
Von ihrer noͤht’gen Koſt beraubt.
Hier ſenkt ein zartes Lamm ſein Haupt;
Dort ſieht man alte Schafe ſterben.
Der arme Landmann kratzt ſein Haar,
Und ſcheut noch groͤſſere Gefahr;
Jndem er durch den Froſt ſo gar
Sein Winter-Korn verdorben glaubt.
Es iſt nunmehro Zeit zu pfluͤgen;
Allein er kann, trotz ſeinem Fleiß,
Fuͤr das annoch vorhandne Eis
Den Pflug nicht in die Erde kriegen.
Er denkt annoch ans vor’ge Jahr,
Wo auch, beym ſeltnen Licht der Sonnen,
Da es ſtets kalt und windig war,
Er auch nur wenig Korn gewonnen.
Er hoffet, mit faſt muͤden Sorgen,
Von jedem Heut zum andern Morgen,
Von einer zu der andern Nacht,
Daß ſich die kalten Winde legen,
Schnee, Eis und Reif entfernen moͤgen,
Auch daß der Sonnen-Strahlen Pracht
Sich mit der lauen Luft verbinde,
Und ihre kalte Theil’ entzuͤnde.
Allein es iſt ſein aͤngſtlich Hoffen
Noch bis daher nicht eingetroffen.
O Gott!
R r 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 627. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/645>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.