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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743.

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Frühlings-Gedicht.
So fliegt er rings um ihn herum mit einem schwirrenden
Geschrey;
Oft flattert er, hüpft auf der Erde, als wenn er nicht recht
fliegen könne,
Daß er den Schleicher nach sich zieh', und von dem lieben
Nest ihn trenne,
Denn fliegt er schnell gerade fort, bis daß Gefahr und Furcht
vorbey.
Nun aber wollen ihre Jungen nicht länger in dem Kerker
bleiben,
Sie schwingen schon die kleinen Flügel, verlangen den Besitz
der Luft;
Da denn, bey einem stillen Wetter, das Eltern-Paar sie lockt
und ruft,
Ziehn ihre Federchen zurecht, belehren sie, befehlen, treiben
Sie endlich aus dem engen Sitz. Die milde Luft empfängt
und trägt
Nunmehr die Feder-reiche Last. Die junge Zucht erhebt
und schlägt
Nun selbst ihr ungewohnt Gefieder. Die Alten fliegen noch
vorher;
Jedoch nur eine kurze Zeit. Und endlich sehn sie sie nicht
mehr.
Wer hier nicht eine weise Macht des Schöpfers aller
Dinge spühret;
Der scheint gewiß, daß er den Namen vom Menschen
ganz mit Unrecht führet.
Wenn wir nun zu des Landmanns Wohnung, wo alte
Knoten-reiche Eichen
Den Häusern, Scheunen und dem Vorplatz, voll Kühlung,
holde Schatten reichen,
Um
Fruͤhlings-Gedicht.
So fliegt er rings um ihn herum mit einem ſchwirrenden
Geſchrey;
Oft flattert er, huͤpft auf der Erde, als wenn er nicht recht
fliegen koͤnne,
Daß er den Schleicher nach ſich zieh’, und von dem lieben
Neſt ihn trenne,
Denn fliegt er ſchnell gerade fort, bis daß Gefahr und Furcht
vorbey.
Nun aber wollen ihre Jungen nicht laͤnger in dem Kerker
bleiben,
Sie ſchwingen ſchon die kleinen Fluͤgel, verlangen den Beſitz
der Luft;
Da denn, bey einem ſtillen Wetter, das Eltern-Paar ſie lockt
und ruft,
Ziehn ihre Federchen zurecht, belehren ſie, befehlen, treiben
Sie endlich aus dem engen Sitz. Die milde Luft empfaͤngt
und traͤgt
Nunmehr die Feder-reiche Laſt. Die junge Zucht erhebt
und ſchlaͤgt
Nun ſelbſt ihr ungewohnt Gefieder. Die Alten fliegen noch
vorher;
Jedoch nur eine kurze Zeit. Und endlich ſehn ſie ſie nicht
mehr.
Wer hier nicht eine weiſe Macht des Schoͤpfers aller
Dinge ſpuͤhret;
Der ſcheint gewiß, daß er den Namen vom Menſchen
ganz mit Unrecht fuͤhret.
Wenn wir nun zu des Landmanns Wohnung, wo alte
Knoten-reiche Eichen
Den Haͤuſern, Scheunen und dem Vorplatz, voll Kuͤhlung,
holde Schatten reichen,
Um
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[44/0062] Fruͤhlings-Gedicht. So fliegt er rings um ihn herum mit einem ſchwirrenden Geſchrey; Oft flattert er, huͤpft auf der Erde, als wenn er nicht recht fliegen koͤnne, Daß er den Schleicher nach ſich zieh’, und von dem lieben Neſt ihn trenne, Denn fliegt er ſchnell gerade fort, bis daß Gefahr und Furcht vorbey. Nun aber wollen ihre Jungen nicht laͤnger in dem Kerker bleiben, Sie ſchwingen ſchon die kleinen Fluͤgel, verlangen den Beſitz der Luft; Da denn, bey einem ſtillen Wetter, das Eltern-Paar ſie lockt und ruft, Ziehn ihre Federchen zurecht, belehren ſie, befehlen, treiben Sie endlich aus dem engen Sitz. Die milde Luft empfaͤngt und traͤgt Nunmehr die Feder-reiche Laſt. Die junge Zucht erhebt und ſchlaͤgt Nun ſelbſt ihr ungewohnt Gefieder. Die Alten fliegen noch vorher; Jedoch nur eine kurze Zeit. Und endlich ſehn ſie ſie nicht mehr. Wer hier nicht eine weiſe Macht des Schoͤpfers aller Dinge ſpuͤhret; Der ſcheint gewiß, daß er den Namen vom Menſchen ganz mit Unrecht fuͤhret. Wenn wir nun zu des Landmanns Wohnung, wo alte Knoten-reiche Eichen Den Haͤuſern, Scheunen und dem Vorplatz, voll Kuͤhlung, holde Schatten reichen, Um

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/62>, abgerufen am 23.05.2024.