Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Frühlings-Gedicht.
Jch fühl' ein reizendes Verlangen, und, um auch einst der
Wälder Liebe
Jn holden Vögeln zu besingen, noch nimmer sonst verspührte
Triebe.
So bald in der erwärmten Luft der Geist der Liebe sich ver-
breitet,
Und tönend in ihr Herze dringt, fängt gleich der Vögel mun-
tre Schaar,
Auf ihren Putz bedacht, die Federn zurecht zu bringen, ziehet,
spreitet
Die bunten Flügel aus. Jhr Led, das mehrentheils ver-
gessen war,
Stimmt jeder, anfangs sanfte gurgelnd, in schwachen Tö-
nen, wieder an;
Allein, kaum daß die süsse Brunst in ihren Adern stärker rann,
So lebet alles. Jhre Freude fängt an sich gleichsam zu er-
giessen.
Man sieht und höret ihre Lust aus ihren Kehlen überfliessen
Jn unbeschränkter Harmonie. Die Lerche schwingt sich in
die Luft
Mit hellem Gurgeln hoch empor, bemüht, den Morgen anzu-
zeigen,
Und, ehe noch die Schatten fliehn, schon singend in die Höh'
zu steigen,
Durch den, von des noch nicht gesunknen erhabnen Thaues
feuchten Duft,
Da sie dem liederreichen Volk, aus ihrem Schlaf sie weckend,
ruft.
Aus jedem Busch, von jedem Zweige (der weich bemoset, dick
belaubt,
Und feucht annoch vom kühlen Thau, als wie ein kleiner
grüner Bogen
Sich
Fruͤhlings-Gedicht.
Jch fuͤhl’ ein reizendes Verlangen, und, um auch einſt der
Waͤlder Liebe
Jn holden Voͤgeln zu beſingen, noch nimmer ſonſt verſpuͤhrte
Triebe.
So bald in der erwaͤrmten Luft der Geiſt der Liebe ſich ver-
breitet,
Und toͤnend in ihr Herze dringt, faͤngt gleich der Voͤgel mun-
tre Schaar,
Auf ihren Putz bedacht, die Federn zurecht zu bringen, ziehet,
ſpreitet
Die bunten Fluͤgel aus. Jhr Led, das mehrentheils ver-
geſſen war,
Stimmt jeder, anfangs ſanfte guꝛgelnd, in ſchwachen Toͤ-
nen, wieder an;
Allein, kaum daß die ſuͤſſe Brunſt in ihren Adern ſtaͤrker rann,
So lebet alles. Jhre Freude faͤngt an ſich gleichſam zu er-
gieſſen.
Man ſieht und hoͤret ihre Luſt aus ihren Kehlen uͤberflieſſen
Jn unbeſchraͤnkter Harmonie. Die Lerche ſchwingt ſich in
die Luft
Mit hellem Gurgeln hoch empor, bemuͤht, den Morgen anzu-
zeigen,
Und, ehe noch die Schatten fliehn, ſchon ſingend in die Hoͤh’
zu ſteigen,
Durch den, von des noch nicht geſunknen erhabnen Thaues
feuchten Duft,
Da ſie dem liederreichen Volk, aus ihrem Schlaf ſie weckend,
ruft.
Aus jedem Buſch, von jedem Zweige (der weich bemoſet, dick
belaubt,
Und feucht annoch vom kuͤhlen Thau, als wie ein kleiner
gruͤner Bogen
Sich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0056" n="38"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Fru&#x0364;hlings-Gedicht.</hi> </fw><lb/>
              <lg n="9">
                <l>Jch fu&#x0364;hl&#x2019; ein reizendes Verlangen, und, um auch ein&#x017F;t der</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">Wa&#x0364;lder Liebe</hi> </l><lb/>
                <l>Jn holden Vo&#x0364;geln zu be&#x017F;ingen, noch nimmer &#x017F;on&#x017F;t ver&#x017F;pu&#x0364;hrte</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">Triebe.</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <lg n="10">
                <l>So bald in der erwa&#x0364;rmten Luft der Gei&#x017F;t der Liebe &#x017F;ich ver-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">breitet,</hi> </l><lb/>
                <l>Und to&#x0364;nend in ihr Herze dringt, fa&#x0364;ngt gleich der Vo&#x0364;gel mun-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">tre Schaar,</hi> </l><lb/>
                <l>Auf ihren Putz bedacht, die Federn zurecht zu bringen, ziehet,</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">&#x017F;preitet</hi> </l><lb/>
                <l>Die bunten Flu&#x0364;gel aus. Jhr Led, das mehrentheils ver-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">ge&#x017F;&#x017F;en war,</hi> </l><lb/>
                <l>Stimmt jeder, anfangs &#x017F;anfte gu&#xA75B;gelnd, in &#x017F;chwachen To&#x0364;-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">nen, wieder an;</hi> </l><lb/>
                <l>Allein, kaum daß die &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e Brun&#x017F;t in ihren Adern &#x017F;ta&#x0364;rker rann,</l><lb/>
                <l>So lebet alles. Jhre Freude fa&#x0364;ngt an &#x017F;ich gleich&#x017F;am zu er-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">gie&#x017F;&#x017F;en.</hi> </l><lb/>
                <l>Man &#x017F;ieht und ho&#x0364;ret ihre Lu&#x017F;t aus ihren Kehlen u&#x0364;berflie&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
                <l>Jn unbe&#x017F;chra&#x0364;nkter Harmonie. Die Lerche &#x017F;chwingt &#x017F;ich in</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">die Luft</hi> </l><lb/>
                <l>Mit hellem Gurgeln hoch empor, bemu&#x0364;ht, den Morgen anzu-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">zeigen,</hi> </l><lb/>
                <l>Und, ehe noch die Schatten fliehn, &#x017F;chon &#x017F;ingend in die Ho&#x0364;h&#x2019;</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">zu &#x017F;teigen,</hi> </l><lb/>
                <l>Durch den, von des noch nicht ge&#x017F;unknen erhabnen Thaues</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">feuchten Duft,</hi> </l><lb/>
                <l>Da &#x017F;ie dem liederreichen Volk, aus ihrem Schlaf &#x017F;ie weckend,</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">ruft.</hi> </l><lb/>
                <l>Aus jedem Bu&#x017F;ch, von jedem Zweige (der weich bemo&#x017F;et, dick</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">belaubt,</hi> </l><lb/>
                <l>Und feucht annoch vom ku&#x0364;hlen Thau, als wie ein kleiner</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">gru&#x0364;ner Bogen</hi> </l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Sich</fw><lb/>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0056] Fruͤhlings-Gedicht. Jch fuͤhl’ ein reizendes Verlangen, und, um auch einſt der Waͤlder Liebe Jn holden Voͤgeln zu beſingen, noch nimmer ſonſt verſpuͤhrte Triebe. So bald in der erwaͤrmten Luft der Geiſt der Liebe ſich ver- breitet, Und toͤnend in ihr Herze dringt, faͤngt gleich der Voͤgel mun- tre Schaar, Auf ihren Putz bedacht, die Federn zurecht zu bringen, ziehet, ſpreitet Die bunten Fluͤgel aus. Jhr Led, das mehrentheils ver- geſſen war, Stimmt jeder, anfangs ſanfte guꝛgelnd, in ſchwachen Toͤ- nen, wieder an; Allein, kaum daß die ſuͤſſe Brunſt in ihren Adern ſtaͤrker rann, So lebet alles. Jhre Freude faͤngt an ſich gleichſam zu er- gieſſen. Man ſieht und hoͤret ihre Luſt aus ihren Kehlen uͤberflieſſen Jn unbeſchraͤnkter Harmonie. Die Lerche ſchwingt ſich in die Luft Mit hellem Gurgeln hoch empor, bemuͤht, den Morgen anzu- zeigen, Und, ehe noch die Schatten fliehn, ſchon ſingend in die Hoͤh’ zu ſteigen, Durch den, von des noch nicht geſunknen erhabnen Thaues feuchten Duft, Da ſie dem liederreichen Volk, aus ihrem Schlaf ſie weckend, ruft. Aus jedem Buſch, von jedem Zweige (der weich bemoſet, dick belaubt, Und feucht annoch vom kuͤhlen Thau, als wie ein kleiner gruͤner Bogen Sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/56
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/56>, abgerufen am 22.11.2024.