Die das bestrahlte Morgen-Thor mit Rosen- farbner Hand entschliesset, Die Luft mit linden Winden füllt, und Perlen auf die Kräuter giesset, Die alle Pflanzen tränkt und säuget, aus deren Schritten Bluhmen quillen, Durch welche Luft und Meer und Land mit Leben, Licht und Lust sich füllen.
Nun sind zwar solche Stellen reizend, sind süß und ange- nehm zu lesen; Jedoch gebrauchet die Natur dergleichen schlechten Schminke nicht. Es strahlt aus ihrer Wirklichkeit, es bricht aus ihrem eignen Wesen Ein wesentlicher Wunder-Glanz, ein wahres eigenthümlich Licht, Sie prangt mit eigner Majestät, man siehet sie sich selber krönen, Und darf sie, was sie selbst besitzt, von fremdem Schimmer nicht entlehnen.
Man wird die schöne Morgen-Röhte fast eine neue Schöpfung nennen, Und, unter solchem hohen Bilde, dieselbige betrachten können; Jndem durch sie ein neuer Himmel, und gleichsam eine neue Welt, Aus tiefer Finsterniß gezogen, von neuem uns wird vorge- stellt. Sie zeiget uns bebüschte Berge, beblühmte Thäler, grüne Wälder, Begraste Wiesen, klare Bäche, mit Korn bedeckte fette Felder.
Sie
Die Morgen-Roͤhte.
Die das beſtrahlte Morgen-Thor mit Roſen- farbner Hand entſchlieſſet, Die Luft mit linden Winden fuͤllt, und Perlen auf die Kraͤuter gieſſet, Die alle Pflanzen traͤnkt und ſaͤuget, aus deren Schritten Bluhmen quillen, Durch welche Luft und Meer und Land mit Leben, Licht und Luſt ſich fuͤllen.
Nun ſind zwar ſolche Stellen reizend, ſind ſuͤß und ange- nehm zu leſen; Jedoch gebrauchet die Natur dergleichen ſchlechten Schminke nicht. Es ſtrahlt aus ihrer Wirklichkeit, es bricht aus ihrem eignen Weſen Ein weſentlicher Wunder-Glanz, ein wahres eigenthuͤmlich Licht, Sie prangt mit eigner Majeſtaͤt, man ſiehet ſie ſich ſelber kroͤnen, Und darf ſie, was ſie ſelbſt beſitzt, von fremdem Schimmer nicht entlehnen.
Man wird die ſchoͤne Morgen-Roͤhte faſt eine neue Schoͤpfung nennen, Und, unter ſolchem hohen Bilde, dieſelbige betrachten koͤnnen; Jndem durch ſie ein neuer Himmel, und gleichſam eine neue Welt, Aus tiefer Finſterniß gezogen, von neuem uns wird vorge- ſtellt. Sie zeiget uns bebuͤſchte Berge, bebluͤhmte Thaͤler, gruͤne Waͤlder, Begraſte Wieſen, klare Baͤche, mit Korn bedeckte fette Felder.
Sie
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[203/0221]
Die Morgen-Roͤhte.
Die das beſtrahlte Morgen-Thor mit Roſen- farbner Hand
entſchlieſſet,
Die Luft mit linden Winden fuͤllt, und Perlen auf die Kraͤuter
gieſſet,
Die alle Pflanzen traͤnkt und ſaͤuget, aus deren Schritten
Bluhmen quillen,
Durch welche Luft und Meer und Land mit Leben, Licht und
Luſt ſich fuͤllen.
Nun ſind zwar ſolche Stellen reizend, ſind ſuͤß und ange-
nehm zu leſen;
Jedoch gebrauchet die Natur dergleichen ſchlechten Schminke
nicht.
Es ſtrahlt aus ihrer Wirklichkeit, es bricht aus ihrem eignen
Weſen
Ein weſentlicher Wunder-Glanz, ein wahres eigenthuͤmlich
Licht,
Sie prangt mit eigner Majeſtaͤt, man ſiehet ſie ſich ſelber
kroͤnen,
Und darf ſie, was ſie ſelbſt beſitzt, von fremdem Schimmer
nicht entlehnen.
Man wird die ſchoͤne Morgen-Roͤhte faſt eine neue
Schoͤpfung nennen,
Und, unter ſolchem hohen Bilde, dieſelbige betrachten
koͤnnen;
Jndem durch ſie ein neuer Himmel, und gleichſam eine neue
Welt,
Aus tiefer Finſterniß gezogen, von neuem uns wird vorge-
ſtellt.
Sie zeiget uns bebuͤſchte Berge, bebluͤhmte Thaͤler, gruͤne
Waͤlder,
Begraſte Wieſen, klare Baͤche, mit Korn bedeckte fette Felder.
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/221>, abgerufen am 01.02.2025.
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