Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
Vorbericht.

Jch gedenke mit Wehmut an den größten
Haufen der Menschen; und wenn ich mir vor-
genommen hätte, hier weitläuftig zu seyn; so wür-
de ich einige Bogen mit gerechten Klagen anfüllen.
Jhr Betragen, ihre Achtlosigkeit, ihre Unempfind-
lichkeit wirken, daß sie keine von den Vortheilen
einsehen, die sie würklich in der Welt besitzen. Sie
selber berauben sich der angenehmsten Freude und
der glückseligsten Wollust, die sie in diesem mühsa-
men Leben zu hoffen haben; sie machen sich selber
unfähig, die Lust der Schöpfung zu empfinden, und
überlassen sich freywillig solchen Beschäftigungen,
deren Folgen sie der Verdrießlichkeit und dem Gra-
me bloß stellen. Diese Aufführung verunehret die
Menschen recht, und machet sie noch geringer als die
Thiere, weil deren Achtlosigkeit und Dummheit
bloß eine Folge ihrer Natur, und nicht eine Folge ih-
rer Unempfindlichkeit und Gleichgültigkeit ist. Die-
se unglückselige Gewohnheit ist die Quelle, warum
wir so viele Fremdlinge, oder wenigstens so viele
mißvergnügte Bürger in der Stadt Gottes haben.
Da das gegenwärtige Gute und die Natur mit al-
len ihren Reizungen den meisten Menschen unbe-
kannt ist, weil sie nicht daran gedenken, und sich
nicht daran zu vergnügen suchen, sondern sich nur
mit dem beschäftigen und quälen, was ihnen noch
fehlet; so verliehren sie leider nicht allein über diese

Lüstern-
* 4
Vorbericht.

Jch gedenke mit Wehmut an den groͤßten
Haufen der Menſchen; und wenn ich mir vor-
genommen haͤtte, hier weitlaͤuftig zu ſeyn; ſo wuͤr-
de ich einige Bogen mit gerechten Klagen anfuͤllen.
Jhr Betragen, ihre Achtloſigkeit, ihre Unempfind-
lichkeit wirken, daß ſie keine von den Vortheilen
einſehen, die ſie wuͤrklich in der Welt beſitzen. Sie
ſelber berauben ſich der angenehmſten Freude und
der gluͤckſeligſten Wolluſt, die ſie in dieſem muͤhſa-
men Leben zu hoffen haben; ſie machen ſich ſelber
unfaͤhig, die Luſt der Schoͤpfung zu empfinden, und
uͤberlaſſen ſich freywillig ſolchen Beſchaͤftigungen,
deren Folgen ſie der Verdrießlichkeit und dem Gra-
me bloß ſtellen. Dieſe Auffuͤhrung verunehret die
Menſchen recht, und machet ſie noch geringer als die
Thiere, weil deren Achtloſigkeit und Dummheit
bloß eine Folge ihrer Natur, und nicht eine Folge ih-
rer Unempfindlichkeit und Gleichguͤltigkeit iſt. Die-
ſe ungluͤckſelige Gewohnheit iſt die Quelle, warum
wir ſo viele Fremdlinge, oder wenigſtens ſo viele
mißvergnuͤgte Buͤrger in der Stadt Gottes haben.
Da das gegenwaͤrtige Gute und die Natur mit al-
len ihren Reizungen den meiſten Menſchen unbe-
kannt iſt, weil ſie nicht daran gedenken, und ſich
nicht daran zu vergnuͤgen ſuchen, ſondern ſich nur
mit dem beſchaͤftigen und quaͤlen, was ihnen noch
fehlet; ſo verliehren ſie leider nicht allein uͤber dieſe

Luͤſtern-
* 4
<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0011"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vorbericht.</hi> </fw><lb/>
        <p>Jch gedenke mit Wehmut an den gro&#x0364;ßten<lb/>
Haufen der Men&#x017F;chen; und wenn ich mir vor-<lb/>
genommen ha&#x0364;tte, hier weitla&#x0364;uftig zu &#x017F;eyn; &#x017F;o wu&#x0364;r-<lb/>
de ich einige Bogen mit gerechten Klagen anfu&#x0364;llen.<lb/>
Jhr Betragen, ihre Achtlo&#x017F;igkeit, ihre Unempfind-<lb/>
lichkeit wirken, daß &#x017F;ie keine von den Vortheilen<lb/>
ein&#x017F;ehen, die &#x017F;ie wu&#x0364;rklich in der Welt be&#x017F;itzen. Sie<lb/>
&#x017F;elber berauben &#x017F;ich der angenehm&#x017F;ten Freude und<lb/>
der glu&#x0364;ck&#x017F;elig&#x017F;ten Wollu&#x017F;t, die &#x017F;ie in die&#x017F;em mu&#x0364;h&#x017F;a-<lb/>
men Leben zu hoffen haben; &#x017F;ie machen &#x017F;ich &#x017F;elber<lb/>
unfa&#x0364;hig, die Lu&#x017F;t der Scho&#x0364;pfung zu empfinden, und<lb/>
u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich freywillig &#x017F;olchen Be&#x017F;cha&#x0364;ftigungen,<lb/>
deren Folgen &#x017F;ie der Verdrießlichkeit und dem Gra-<lb/>
me bloß &#x017F;tellen. Die&#x017F;e Auffu&#x0364;hrung verunehret die<lb/>
Men&#x017F;chen recht, und machet &#x017F;ie noch geringer als die<lb/>
Thiere, weil deren Achtlo&#x017F;igkeit und Dummheit<lb/>
bloß eine Folge ihrer Natur, und nicht eine Folge ih-<lb/>
rer Unempfindlichkeit und Gleichgu&#x0364;ltigkeit i&#x017F;t. Die-<lb/>
&#x017F;e unglu&#x0364;ck&#x017F;elige Gewohnheit i&#x017F;t die Quelle, warum<lb/>
wir &#x017F;o viele Fremdlinge, oder wenig&#x017F;tens &#x017F;o viele<lb/>
mißvergnu&#x0364;gte Bu&#x0364;rger in der Stadt Gottes haben.<lb/>
Da das gegenwa&#x0364;rtige Gute und die Natur mit al-<lb/>
len ihren Reizungen den mei&#x017F;ten Men&#x017F;chen unbe-<lb/>
kannt i&#x017F;t, weil &#x017F;ie nicht daran gedenken, und &#x017F;ich<lb/>
nicht daran zu vergnu&#x0364;gen &#x017F;uchen, &#x017F;ondern &#x017F;ich nur<lb/>
mit dem be&#x017F;cha&#x0364;ftigen und qua&#x0364;len, was ihnen noch<lb/>
fehlet; &#x017F;o verliehren &#x017F;ie leider nicht allein u&#x0364;ber die&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">* 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Lu&#x0364;&#x017F;tern-</fw><lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[0011] Vorbericht. Jch gedenke mit Wehmut an den groͤßten Haufen der Menſchen; und wenn ich mir vor- genommen haͤtte, hier weitlaͤuftig zu ſeyn; ſo wuͤr- de ich einige Bogen mit gerechten Klagen anfuͤllen. Jhr Betragen, ihre Achtloſigkeit, ihre Unempfind- lichkeit wirken, daß ſie keine von den Vortheilen einſehen, die ſie wuͤrklich in der Welt beſitzen. Sie ſelber berauben ſich der angenehmſten Freude und der gluͤckſeligſten Wolluſt, die ſie in dieſem muͤhſa- men Leben zu hoffen haben; ſie machen ſich ſelber unfaͤhig, die Luſt der Schoͤpfung zu empfinden, und uͤberlaſſen ſich freywillig ſolchen Beſchaͤftigungen, deren Folgen ſie der Verdrießlichkeit und dem Gra- me bloß ſtellen. Dieſe Auffuͤhrung verunehret die Menſchen recht, und machet ſie noch geringer als die Thiere, weil deren Achtloſigkeit und Dummheit bloß eine Folge ihrer Natur, und nicht eine Folge ih- rer Unempfindlichkeit und Gleichguͤltigkeit iſt. Die- ſe ungluͤckſelige Gewohnheit iſt die Quelle, warum wir ſo viele Fremdlinge, oder wenigſtens ſo viele mißvergnuͤgte Buͤrger in der Stadt Gottes haben. Da das gegenwaͤrtige Gute und die Natur mit al- len ihren Reizungen den meiſten Menſchen unbe- kannt iſt, weil ſie nicht daran gedenken, und ſich nicht daran zu vergnuͤgen ſuchen, ſondern ſich nur mit dem beſchaͤftigen und quaͤlen, was ihnen noch fehlet; ſo verliehren ſie leider nicht allein uͤber dieſe Luͤſtern- * 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/11
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 7. Hamburg, 1743, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen07_1743/11>, abgerufen am 04.05.2024.