Jn der Alten Meynung funden, und, daß die zukünftge Zeit Es mit ihnen eben wieder, so wie sie zuerst gehandelt, Mit den vorigen verfährt, ihre Trefflichkeit verwandelt, Jn Erbarmungs-würdge Thorheit; sollten sie nicht in sich gehn, Und aus der Erfahrung, schliessen, uns wird eben das geschehn?
Muß nicht jeder, bey dem Zustand, in sich, fast unsinnge Triebe Eines unumschränkten Hochmuths, einer blinden Eigenliebe, Fühlen und mit Händen greifen? Oder überführet seyn, Daß die Gabe zu erkennen, das Talent, zu prophezeyn, Sey für ihm absonderlich und zwar ganz allein versparet: Und, was keinem Menschen sonst, sey ihm dennoch offenbaret.
Kann was aufgeblasners, dummers, lächerlichers auf der Erden, Und was weniger gegründet, jemals wohl ersonnen werden, Als daß sich ein Sterblicher selber über alle setzt, Daß er, und nur er allein, seinen Geist untrieglich schätzt, Den er doch, wenn ihn ein andrer, eben mit denselben Gaben, Etwan überkommen hätte, selber würd erniedrigt haben.
Er ist selbst Partey und Richter und sein eigenes Gericht. Welch ein Wunder, daß er immer ein parteyisch Urtheil spricht! Jst uns unser Geist gegeben, und erfordert seine Pflicht, Alle Dinge zu begreifen; warum auch sich selber nicht?
"Was? wird mancher hier zu sprechen; soll die Fähig- keit der Seelen, "Die Vernunft, des Himmels Gabe, denn betrieglich seyn und fehlen? "Die uns doch dazu gegeben, daß man sich in allen wohl "Unterrichten, Bös und gutes, deutlich unterscheiden soll?
"Triegt
Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Jn der Alten Meynung funden, und, daß die zukuͤnftge Zeit Es mit ihnen eben wieder, ſo wie ſie zuerſt gehandelt, Mit den vorigen verfaͤhrt, ihre Trefflichkeit verwandelt, Jn Erbarmungs-wuͤrdge Thorheit; ſollten ſie nicht in ſich gehn, Und aus der Erfahrung, ſchlieſſen, uns wird eben das geſchehn?
Muß nicht jeder, bey dem Zuſtand, in ſich, faſt unſinnge Triebe Eines unumſchraͤnkten Hochmuths, einer blinden Eigenliebe, Fuͤhlen und mit Haͤnden greifen? Oder uͤberfuͤhret ſeyn, Daß die Gabe zu erkennen, das Talent, zu prophezeyn, Sey fuͤr ihm abſonderlich und zwar ganz allein verſparet: Und, was keinem Menſchen ſonſt, ſey ihm dennoch offenbaret.
Kann was aufgeblaſners, dummers, laͤcherlichers auf der Erden, Und was weniger gegruͤndet, jemals wohl erſonnen werden, Als daß ſich ein Sterblicher ſelber uͤber alle ſetzt, Daß er, und nur er allein, ſeinen Geiſt untrieglich ſchaͤtzt, Den er doch, wenn ihn ein andrer, eben mit denſelben Gaben, Etwan uͤberkommen haͤtte, ſelber wuͤrd erniedrigt haben.
Er iſt ſelbſt Partey und Richter und ſein eigenes Gericht. Welch ein Wunder, daß er immer ein parteyiſch Urtheil ſpricht! Jſt uns unſer Geiſt gegeben, und erfordert ſeine Pflicht, Alle Dinge zu begreifen; warum auch ſich ſelber nicht?
„Was? wird mancher hier zu ſprechen; ſoll die Faͤhig- keit der Seelen, „Die Vernunft, des Himmels Gabe, denn betrieglich ſeyn und fehlen? „Die uns doch dazu gegeben, daß man ſich in allen wohl „Unterrichten, Boͤs und gutes, deutlich unterſcheiden ſoll?
„Triegt
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Verſuch der Kraft unſers Geiſtes,
Jn der Alten Meynung funden, und, daß die zukuͤnftge Zeit
Es mit ihnen eben wieder, ſo wie ſie zuerſt gehandelt,
Mit den vorigen verfaͤhrt, ihre Trefflichkeit verwandelt,
Jn Erbarmungs-wuͤrdge Thorheit; ſollten ſie nicht in ſich gehn,
Und aus der Erfahrung, ſchlieſſen, uns wird eben das geſchehn?
Muß nicht jeder, bey dem Zuſtand, in ſich, faſt unſinnge
Triebe
Eines unumſchraͤnkten Hochmuths, einer blinden Eigenliebe,
Fuͤhlen und mit Haͤnden greifen? Oder uͤberfuͤhret ſeyn,
Daß die Gabe zu erkennen, das Talent, zu prophezeyn,
Sey fuͤr ihm abſonderlich und zwar ganz allein verſparet:
Und, was keinem Menſchen ſonſt, ſey ihm dennoch offenbaret.
Kann was aufgeblaſners, dummers, laͤcherlichers auf der
Erden,
Und was weniger gegruͤndet, jemals wohl erſonnen werden,
Als daß ſich ein Sterblicher ſelber uͤber alle ſetzt,
Daß er, und nur er allein, ſeinen Geiſt untrieglich ſchaͤtzt,
Den er doch, wenn ihn ein andrer, eben mit denſelben Gaben,
Etwan uͤberkommen haͤtte, ſelber wuͤrd erniedrigt haben.
Er iſt ſelbſt Partey und Richter und ſein eigenes Gericht.
Welch ein Wunder, daß er immer ein parteyiſch Urtheil
ſpricht!
Jſt uns unſer Geiſt gegeben, und erfordert ſeine Pflicht,
Alle Dinge zu begreifen; warum auch ſich ſelber nicht?
„Was? wird mancher hier zu ſprechen; ſoll die Faͤhig-
keit der Seelen,
„Die Vernunft, des Himmels Gabe, denn betrieglich ſeyn
und fehlen?
„Die uns doch dazu gegeben, daß man ſich in allen wohl
„Unterrichten, Boͤs und gutes, deutlich unterſcheiden ſoll?
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 684. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/708>, abgerufen am 24.11.2024.
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