Die Berge Stein und Marmor gnug: Allein wer würde von dem allen, Wohl das geringste brauchen können, ohn Hülf und Zuthun unsrer Hand? Es würde selber, sonder sie, der sie regierende Verstand Gar viel nicht zu regieren finden. Der Geist erdenket, aber sie Verrichtet, was er ausgedacht. Er würde, sonder ihre Müh, Viel minder, als man denkt, verrichten. Welch ungezählter Werke Menge Erzeuget eine Menschen-Hand! Sie macht, durch ihre Kürz und Länge, Sich gleichsam selbst zu tausend Händen. Bald wirkt sie ganz, bald nur zum Theil; Bald hält sie diesen Finger still, bewegt die übrigen in Eil; Auf mehr als Millionen Arten, ist sie geschickt, sich zu for- miren, Und mehr als Millionen Werke ist sie stets fähig, auszu- führen. Sie schwinget einen schweren Spieß; sie biegt und krümmt ein dünnes Haar; Sie gräbt, sie sticket, schmiedet Anker, macht kleine Ketten, die so gar Den kleinsten Floh zu fesseln taugen; sie rudert, ziehet auf dem Meer Die Last von einem schweren Holz, nach ihrem Willen, hin und her. Sie schlägt und spielt auch Laut- und Harfen, mit solcher schnellen Fertigkeit, Daß sie dadurch oft minder nicht das Aug, als das Gehör, erfreut.
Jhr
Betrachtung
Die Berge Stein und Marmor gnug: Allein wer wuͤrde von dem allen, Wohl das geringſte brauchen koͤnnen, ohn Huͤlf und Zuthun unſrer Hand? Es wuͤrde ſelber, ſonder ſie, der ſie regierende Verſtand Gar viel nicht zu regieren finden. Der Geiſt erdenket, aber ſie Verrichtet, was er ausgedacht. Er wuͤrde, ſonder ihre Muͤh, Viel minder, als man denkt, verrichten. Welch ungezaͤhlter Werke Menge Erzeuget eine Menſchen-Hand! Sie macht, durch ihre Kuͤrz und Laͤnge, Sich gleichſam ſelbſt zu tauſend Haͤnden. Bald wirkt ſie ganz, bald nur zum Theil; Bald haͤlt ſie dieſen Finger ſtill, bewegt die uͤbrigen in Eil; Auf mehr als Millionen Arten, iſt ſie geſchickt, ſich zu for- miren, Und mehr als Millionen Werke iſt ſie ſtets faͤhig, auszu- fuͤhren. Sie ſchwinget einen ſchweren Spieß; ſie biegt und kruͤmmt ein duͤnnes Haar; Sie graͤbt, ſie ſticket, ſchmiedet Anker, macht kleine Ketten, die ſo gar Den kleinſten Floh zu feſſeln taugen; ſie rudert, ziehet auf dem Meer Die Laſt von einem ſchweren Holz, nach ihrem Willen, hin und her. Sie ſchlaͤgt und ſpielt auch Laut- und Harfen, mit ſolcher ſchnellen Fertigkeit, Daß ſie dadurch oft minder nicht das Aug, als das Gehoͤr, erfreut.
Jhr
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Betrachtung
Die Berge Stein und Marmor gnug: Allein wer wuͤrde von
dem allen,
Wohl das geringſte brauchen koͤnnen, ohn Huͤlf und Zuthun
unſrer Hand?
Es wuͤrde ſelber, ſonder ſie, der ſie regierende Verſtand
Gar viel nicht zu regieren finden. Der Geiſt erdenket,
aber ſie
Verrichtet, was er ausgedacht. Er wuͤrde, ſonder ihre Muͤh,
Viel minder, als man denkt, verrichten. Welch ungezaͤhlter
Werke Menge
Erzeuget eine Menſchen-Hand! Sie macht, durch ihre Kuͤrz und
Laͤnge,
Sich gleichſam ſelbſt zu tauſend Haͤnden. Bald wirkt ſie ganz,
bald nur zum Theil;
Bald haͤlt ſie dieſen Finger ſtill, bewegt die uͤbrigen in Eil;
Auf mehr als Millionen Arten, iſt ſie geſchickt, ſich zu for-
miren,
Und mehr als Millionen Werke iſt ſie ſtets faͤhig, auszu-
fuͤhren.
Sie ſchwinget einen ſchweren Spieß; ſie biegt und kruͤmmt ein
duͤnnes Haar;
Sie graͤbt, ſie ſticket, ſchmiedet Anker, macht kleine Ketten,
die ſo gar
Den kleinſten Floh zu feſſeln taugen; ſie rudert, ziehet auf
dem Meer
Die Laſt von einem ſchweren Holz, nach ihrem Willen, hin und
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/656>, abgerufen am 23.11.2024.
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