Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

Betrachtung
Die Berge Stein und Marmor gnug: Allein wer würde von
dem allen,
Wohl das geringste brauchen können, ohn Hülf und Zuthun
unsrer Hand?

Es würde selber, sonder sie, der sie regierende Verstand
Gar viel nicht zu regieren finden. Der Geist erdenket,
aber sie

Verrichtet, was er ausgedacht. Er würde, sonder ihre Müh,
Viel minder, als man denkt, verrichten. Welch ungezählter
Werke Menge

Erzeuget eine Menschen-Hand! Sie macht, durch ihre Kürz und
Länge,

Sich gleichsam selbst zu tausend Händen. Bald wirkt sie ganz,
bald nur zum Theil;

Bald hält sie diesen Finger still, bewegt die übrigen in Eil;
Auf mehr als Millionen Arten, ist sie geschickt, sich zu for-
miren,

Und mehr als Millionen Werke ist sie stets fähig, auszu-
führen.

Sie schwinget einen schweren Spieß; sie biegt und krümmt ein
dünnes Haar;

Sie gräbt, sie sticket, schmiedet Anker, macht kleine Ketten,
die so gar

Den kleinsten Floh zu fesseln taugen; sie rudert, ziehet auf
dem Meer

Die Last von einem schweren Holz, nach ihrem Willen, hin und
her.

Sie schlägt und spielt auch Laut- und Harfen, mit solcher
schnellen Fertigkeit,

Daß sie dadurch oft minder nicht das Aug, als das Gehör,
erfreut.

Jhr

Betrachtung
Die Berge Stein und Marmor gnug: Allein wer wuͤrde von
dem allen,
Wohl das geringſte brauchen koͤnnen, ohn Huͤlf und Zuthun
unſrer Hand?

Es wuͤrde ſelber, ſonder ſie, der ſie regierende Verſtand
Gar viel nicht zu regieren finden. Der Geiſt erdenket,
aber ſie

Verrichtet, was er ausgedacht. Er wuͤrde, ſonder ihre Muͤh,
Viel minder, als man denkt, verrichten. Welch ungezaͤhlter
Werke Menge

Erzeuget eine Menſchen-Hand! Sie macht, durch ihre Kuͤrz und
Laͤnge,

Sich gleichſam ſelbſt zu tauſend Haͤnden. Bald wirkt ſie ganz,
bald nur zum Theil;

Bald haͤlt ſie dieſen Finger ſtill, bewegt die uͤbrigen in Eil;
Auf mehr als Millionen Arten, iſt ſie geſchickt, ſich zu for-
miren,

Und mehr als Millionen Werke iſt ſie ſtets faͤhig, auszu-
fuͤhren.

Sie ſchwinget einen ſchweren Spieß; ſie biegt und kruͤmmt ein
duͤnnes Haar;

Sie graͤbt, ſie ſticket, ſchmiedet Anker, macht kleine Ketten,
die ſo gar

Den kleinſten Floh zu feſſeln taugen; ſie rudert, ziehet auf
dem Meer

Die Laſt von einem ſchweren Holz, nach ihrem Willen, hin und
her.

Sie ſchlaͤgt und ſpielt auch Laut- und Harfen, mit ſolcher
ſchnellen Fertigkeit,

Daß ſie dadurch oft minder nicht das Aug, als das Gehoͤr,
erfreut.

Jhr
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg n="15">
            <l><pb facs="#f0656" n="632"/><fw place="top" type="header">Betrachtung</fw><lb/>
Die Berge Stein und Marmor gnug: Allein wer wu&#x0364;rde von<lb/><hi rendition="#et">dem allen,</hi></l><lb/>
            <l>Wohl das gering&#x017F;te brauchen ko&#x0364;nnen, ohn Hu&#x0364;lf und Zuthun<lb/><hi rendition="#et">un&#x017F;rer Hand?</hi></l><lb/>
            <l>Es wu&#x0364;rde &#x017F;elber, &#x017F;onder &#x017F;ie, der &#x017F;ie regierende Ver&#x017F;tand</l><lb/>
            <l>Gar viel nicht zu regieren finden. Der Gei&#x017F;t erdenket,<lb/><hi rendition="#et">aber &#x017F;ie</hi></l><lb/>
            <l>Verrichtet, was er ausgedacht. Er wu&#x0364;rde, &#x017F;onder ihre Mu&#x0364;h,</l><lb/>
            <l>Viel minder, als man denkt, verrichten. Welch ungeza&#x0364;hlter<lb/><hi rendition="#et">Werke Menge</hi></l><lb/>
            <l>Erzeuget eine Men&#x017F;chen-Hand! Sie macht, durch ihre Ku&#x0364;rz und<lb/><hi rendition="#et">La&#x0364;nge,</hi></l><lb/>
            <l>Sich gleich&#x017F;am &#x017F;elb&#x017F;t zu tau&#x017F;end Ha&#x0364;nden. Bald wirkt &#x017F;ie ganz,<lb/><hi rendition="#et">bald nur zum Theil;</hi></l><lb/>
            <l>Bald ha&#x0364;lt &#x017F;ie die&#x017F;en Finger &#x017F;till, bewegt die u&#x0364;brigen in Eil;</l><lb/>
            <l>Auf mehr als Millionen Arten, i&#x017F;t &#x017F;ie ge&#x017F;chickt, &#x017F;ich zu for-<lb/><hi rendition="#et">miren,</hi></l><lb/>
            <l>Und mehr als Millionen Werke i&#x017F;t &#x017F;ie &#x017F;tets fa&#x0364;hig, auszu-<lb/><hi rendition="#et">fu&#x0364;hren.</hi></l><lb/>
            <l>Sie &#x017F;chwinget einen &#x017F;chweren Spieß; &#x017F;ie biegt und kru&#x0364;mmt ein<lb/><hi rendition="#et">du&#x0364;nnes Haar;</hi></l><lb/>
            <l>Sie gra&#x0364;bt, &#x017F;ie &#x017F;ticket, &#x017F;chmiedet Anker, macht kleine Ketten,<lb/><hi rendition="#et">die &#x017F;o gar</hi></l><lb/>
            <l>Den klein&#x017F;ten Floh zu fe&#x017F;&#x017F;eln taugen; &#x017F;ie rudert, ziehet auf<lb/><hi rendition="#et">dem Meer</hi></l><lb/>
            <l>Die La&#x017F;t von einem &#x017F;chweren Holz, nach ihrem Willen, hin und<lb/><hi rendition="#et">her.</hi></l><lb/>
            <l>Sie &#x017F;chla&#x0364;gt und &#x017F;pielt auch Laut- und Harfen, mit &#x017F;olcher<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;chnellen Fertigkeit,</hi></l><lb/>
            <l>Daß &#x017F;ie dadurch oft minder nicht das Aug, als das Geho&#x0364;r,<lb/><hi rendition="#et">erfreut.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jhr</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[632/0656] Betrachtung Die Berge Stein und Marmor gnug: Allein wer wuͤrde von dem allen, Wohl das geringſte brauchen koͤnnen, ohn Huͤlf und Zuthun unſrer Hand? Es wuͤrde ſelber, ſonder ſie, der ſie regierende Verſtand Gar viel nicht zu regieren finden. Der Geiſt erdenket, aber ſie Verrichtet, was er ausgedacht. Er wuͤrde, ſonder ihre Muͤh, Viel minder, als man denkt, verrichten. Welch ungezaͤhlter Werke Menge Erzeuget eine Menſchen-Hand! Sie macht, durch ihre Kuͤrz und Laͤnge, Sich gleichſam ſelbſt zu tauſend Haͤnden. Bald wirkt ſie ganz, bald nur zum Theil; Bald haͤlt ſie dieſen Finger ſtill, bewegt die uͤbrigen in Eil; Auf mehr als Millionen Arten, iſt ſie geſchickt, ſich zu for- miren, Und mehr als Millionen Werke iſt ſie ſtets faͤhig, auszu- fuͤhren. Sie ſchwinget einen ſchweren Spieß; ſie biegt und kruͤmmt ein duͤnnes Haar; Sie graͤbt, ſie ſticket, ſchmiedet Anker, macht kleine Ketten, die ſo gar Den kleinſten Floh zu feſſeln taugen; ſie rudert, ziehet auf dem Meer Die Laſt von einem ſchweren Holz, nach ihrem Willen, hin und her. Sie ſchlaͤgt und ſpielt auch Laut- und Harfen, mit ſolcher ſchnellen Fertigkeit, Daß ſie dadurch oft minder nicht das Aug, als das Gehoͤr, erfreut. Jhr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/656
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 632. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/656>, abgerufen am 28.05.2024.