Worüber sie, voll ernster Furcht, in stetem Bethen, sonder Maße, Der ganzen Welt, sich selbst und alles, hierauf allein bedacht, vergasse.
Sie war von einem ernsten Wesen, und einer starken Phan- tasey. Es herrscht, in ihren Mischungen, am kräftigsten Melancholey: Doch war sie von Gemüth und Geist so zärtlich, daß sie nichts von Quälen, Von Martern, Schmerzen oder Plagen, in einiger Geschicht erzählen, Noch etwas davon lesen kunnt, ohn ein Erschüttern innerlich, Ja solch ein Grausen zu empfinden, daß sie in vielen Ta- gen sich Von Schrecken kaum erholen kunnt. Wie man nun oft pflegt vorzutragen, (Und zwar zuweilen ohne Noth) von den unleidlich herben Plagen Verdammter Seelen in der Höll; entstund ein solches Mar- ter-Bild, Jn ihrem schüchternen Gehirn, daß sie, mit steter Angst er- füllt, An jedem Ort, zu aller Zeit, voll Furcht sich gleichsam sel- ber nagte, Jndem sie sich, ohn Unterlaß, mit grämlichen Gedanken plagte.
Es kam in diesem Zustand ihr Der Schöpfer aller Ding, allein als ein gestrenger Richter, für, Der nichts als Straf und Rache droht. Was man von sei- nem ewgen Lieben,
Jhr
Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Woruͤber ſie, voll ernſter Furcht, in ſtetem Bethen, ſonder Maße, Der ganzen Welt, ſich ſelbſt und alles, hierauf allein bedacht, vergaſſe.
Sie war von einem ernſten Weſen, und einer ſtarken Phan- taſey. Es herrſcht, in ihren Miſchungen, am kraͤftigſten Melancholey: Doch war ſie von Gemuͤth und Geiſt ſo zaͤrtlich, daß ſie nichts von Quaͤlen, Von Martern, Schmerzen oder Plagen, in einiger Geſchicht erzaͤhlen, Noch etwas davon leſen kunnt, ohn ein Erſchuͤttern innerlich, Ja ſolch ein Grauſen zu empfinden, daß ſie in vielen Ta- gen ſich Von Schrecken kaum erholen kunnt. Wie man nun oft pflegt vorzutragen, (Und zwar zuweilen ohne Noth) von den unleidlich herben Plagen Verdammter Seelen in der Hoͤll; entſtund ein ſolches Mar- ter-Bild, Jn ihrem ſchuͤchternen Gehirn, daß ſie, mit ſteter Angſt er- fuͤllt, An jedem Ort, zu aller Zeit, voll Furcht ſich gleichſam ſel- ber nagte, Jndem ſie ſich, ohn Unterlaß, mit graͤmlichen Gedanken plagte.
Es kam in dieſem Zuſtand ihr Der Schoͤpfer aller Ding, allein als ein geſtrenger Richter, fuͤr, Der nichts als Straf und Rache droht. Was man von ſei- nem ewgen Lieben,
Jhr
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><lgn="6"><l><pbfacs="#f0600"n="576"/><fwplace="top"type="header">Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.</fw><lb/>
Woruͤber ſie, voll ernſter Furcht, in ſtetem Bethen, ſonder<lb/><hirendition="#et">Maße,</hi></l><lb/><l>Der ganzen Welt, ſich ſelbſt und alles, hierauf allein bedacht,<lb/><hirendition="#et">vergaſſe.</hi></l></lg><lb/><lgn="7"><l>Sie war von einem ernſten Weſen, und einer ſtarken Phan-<lb/><hirendition="#et">taſey.</hi></l><lb/><l>Es herrſcht, in ihren Miſchungen, am kraͤftigſten Melancholey:</l><lb/><l>Doch war ſie von Gemuͤth und Geiſt ſo zaͤrtlich, daß ſie<lb/><hirendition="#et">nichts von Quaͤlen,</hi></l><lb/><l>Von Martern, Schmerzen oder Plagen, in einiger Geſchicht<lb/><hirendition="#et">erzaͤhlen,</hi></l><lb/><l>Noch etwas davon leſen kunnt, ohn ein Erſchuͤttern innerlich,</l><lb/><l>Ja ſolch ein Grauſen zu empfinden, daß ſie in vielen Ta-<lb/><hirendition="#et">gen ſich</hi></l><lb/><l>Von Schrecken kaum erholen kunnt. Wie man nun oft pflegt<lb/><hirendition="#et">vorzutragen,</hi></l><lb/><l>(Und zwar zuweilen ohne Noth) von den unleidlich herben<lb/><hirendition="#et">Plagen</hi></l><lb/><l>Verdammter Seelen in der Hoͤll; entſtund ein ſolches Mar-<lb/><hirendition="#et">ter-Bild,</hi></l><lb/><l>Jn ihrem ſchuͤchternen Gehirn, daß ſie, mit ſteter Angſt er-<lb/><hirendition="#et">fuͤllt,</hi></l><lb/><l>An jedem Ort, zu aller Zeit, voll Furcht ſich gleichſam ſel-<lb/><hirendition="#et">ber nagte,</hi></l><lb/><l>Jndem ſie ſich, ohn Unterlaß, mit graͤmlichen Gedanken<lb/><hirendition="#et">plagte.</hi></l></lg><lb/><lgn="8"><l>Es kam in dieſem Zuſtand ihr</l><lb/><l>Der Schoͤpfer aller Ding, allein als ein geſtrenger Richter, fuͤr,</l><lb/><l>Der nichts als Straf und Rache droht. Was man von ſei-<lb/><hirendition="#et">nem ewgen Lieben,</hi><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Jhr</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
[576/0600]
Gedanken uͤber den Tod der Beliſe.
Woruͤber ſie, voll ernſter Furcht, in ſtetem Bethen, ſonder
Maße,
Der ganzen Welt, ſich ſelbſt und alles, hierauf allein bedacht,
vergaſſe.
Sie war von einem ernſten Weſen, und einer ſtarken Phan-
taſey.
Es herrſcht, in ihren Miſchungen, am kraͤftigſten Melancholey:
Doch war ſie von Gemuͤth und Geiſt ſo zaͤrtlich, daß ſie
nichts von Quaͤlen,
Von Martern, Schmerzen oder Plagen, in einiger Geſchicht
erzaͤhlen,
Noch etwas davon leſen kunnt, ohn ein Erſchuͤttern innerlich,
Ja ſolch ein Grauſen zu empfinden, daß ſie in vielen Ta-
gen ſich
Von Schrecken kaum erholen kunnt. Wie man nun oft pflegt
vorzutragen,
(Und zwar zuweilen ohne Noth) von den unleidlich herben
Plagen
Verdammter Seelen in der Hoͤll; entſtund ein ſolches Mar-
ter-Bild,
Jn ihrem ſchuͤchternen Gehirn, daß ſie, mit ſteter Angſt er-
fuͤllt,
An jedem Ort, zu aller Zeit, voll Furcht ſich gleichſam ſel-
ber nagte,
Jndem ſie ſich, ohn Unterlaß, mit graͤmlichen Gedanken
plagte.
Es kam in dieſem Zuſtand ihr
Der Schoͤpfer aller Ding, allein als ein geſtrenger Richter, fuͤr,
Der nichts als Straf und Rache droht. Was man von ſei-
nem ewgen Lieben,
Jhr
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 576. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/600>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.