Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite
Nach der Erndte.
Wie man, nachdem man es ergründet,
Den Trieb in allen Pflanzen findet.
Erwege denn, vernünftge Seele!
Sprich, wer formirte die Canäle,
Von wem ist dieser zarte Saft,
Voll Segens-reicher Nahrungskraft,
Für uns, auch für das Vieh bereitet?
Wer hat es dergestalt geleitet?
Wer ließ es in den Zäserlein
Der Wurzel, die kaum sichtbar seyn,
Jm finstern Schooß der feuchten Erden,
Zertheilt und als verdauet werden?
Wer bildete die schönen Aehren,
Das nette Korn, die zarte Blühte?
Durch wessen unumschränkte Güte
Konnt es so reichlich sich vermehren,
Daß auch die stärksten Leiterwagen
Nur kaum die schweren Lasten tragen?
Da doch nur wenig Zeit zuvor,
Der Sämann alles Samenkorn,
Woraus nun solch Gewicht entsprossen,
Jn wenig Säcken eingeschlossen.
Je minder wir nun alles fassen,
Je minder muß man unterlassen,
An den, in Ehrfurcht, zu gedenken,
Der uns, durch seine weise Führung,
Durch seine gnädige Regierung,
Die Körperchen so wohl zu lenken,
Und, uns dadurch viel guts zu schenken,
So liebreich uns gewürdigt hat.
Allein wo kömmt das Elend her?
Jch dacht, ich würd unglaublich mehr
Ver-
Nach der Erndte.
Wie man, nachdem man es ergruͤndet,
Den Trieb in allen Pflanzen findet.
Erwege denn, vernuͤnftge Seele!
Sprich, wer formirte die Canaͤle,
Von wem iſt dieſer zarte Saft,
Voll Segens-reicher Nahrungskraft,
Fuͤr uns, auch fuͤr das Vieh bereitet?
Wer hat es dergeſtalt geleitet?
Wer ließ es in den Zaͤſerlein
Der Wurzel, die kaum ſichtbar ſeyn,
Jm finſtern Schooß der feuchten Erden,
Zertheilt und als verdauet werden?
Wer bildete die ſchoͤnen Aehren,
Das nette Korn, die zarte Bluͤhte?
Durch weſſen unumſchraͤnkte Guͤte
Konnt es ſo reichlich ſich vermehren,
Daß auch die ſtaͤrkſten Leiterwagen
Nur kaum die ſchweren Laſten tragen?
Da doch nur wenig Zeit zuvor,
Der Saͤmann alles Samenkorn,
Woraus nun ſolch Gewicht entſproſſen,
Jn wenig Saͤcken eingeſchloſſen.
Je minder wir nun alles faſſen,
Je minder muß man unterlaſſen,
An den, in Ehrfurcht, zu gedenken,
Der uns, durch ſeine weiſe Fuͤhrung,
Durch ſeine gnaͤdige Regierung,
Die Koͤrperchen ſo wohl zu lenken,
Und, uns dadurch viel guts zu ſchenken,
So liebreich uns gewuͤrdigt hat.
Allein wo koͤmmt das Elend her?
Jch dacht, ich wuͤrd unglaublich mehr
Ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0176" n="152"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Nach der Erndte.</hi> </fw><lb/>
            <l>Wie man, nachdem man es ergru&#x0364;ndet,</l><lb/>
            <l>Den Trieb in allen Pflanzen findet.</l><lb/>
            <l>Erwege denn, vernu&#x0364;nftge Seele!</l><lb/>
            <l>Sprich, wer formirte die Cana&#x0364;le,</l><lb/>
            <l>Von wem i&#x017F;t die&#x017F;er zarte Saft,</l><lb/>
            <l>Voll Segens-reicher Nahrungskraft,</l><lb/>
            <l>Fu&#x0364;r uns, auch fu&#x0364;r das Vieh bereitet?</l><lb/>
            <l>Wer hat es derge&#x017F;talt geleitet?</l><lb/>
            <l>Wer ließ es in den Za&#x0364;&#x017F;erlein</l><lb/>
            <l>Der Wurzel, die kaum &#x017F;ichtbar &#x017F;eyn,</l><lb/>
            <l>Jm fin&#x017F;tern Schooß der feuchten Erden,</l><lb/>
            <l>Zertheilt und als verdauet werden?</l><lb/>
            <l>Wer bildete die &#x017F;cho&#x0364;nen Aehren,</l><lb/>
            <l>Das nette Korn, die zarte Blu&#x0364;hte?</l><lb/>
            <l>Durch we&#x017F;&#x017F;en unum&#x017F;chra&#x0364;nkte Gu&#x0364;te</l><lb/>
            <l>Konnt es &#x017F;o reichlich &#x017F;ich vermehren,</l><lb/>
            <l>Daß auch die &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten Leiterwagen</l><lb/>
            <l>Nur kaum die &#x017F;chweren La&#x017F;ten tragen?</l><lb/>
            <l>Da doch nur wenig Zeit zuvor,</l><lb/>
            <l>Der Sa&#x0364;mann alles Samenkorn,</l><lb/>
            <l>Woraus nun &#x017F;olch Gewicht ent&#x017F;pro&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Jn wenig Sa&#x0364;cken einge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
            <l>Je minder wir nun alles fa&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Je minder muß man unterla&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>An den, in Ehrfurcht, zu gedenken,</l><lb/>
            <l>Der uns, durch &#x017F;eine wei&#x017F;e Fu&#x0364;hrung,</l><lb/>
            <l>Durch &#x017F;eine gna&#x0364;dige Regierung,</l><lb/>
            <l>Die Ko&#x0364;rperchen &#x017F;o wohl zu lenken,</l><lb/>
            <l>Und, uns dadurch viel guts zu &#x017F;chenken,</l><lb/>
            <l>So liebreich uns gewu&#x0364;rdigt hat.</l><lb/>
            <l>Allein wo ko&#x0364;mmt das Elend her?</l><lb/>
            <l>Jch dacht, ich wu&#x0364;rd unglaublich mehr</l><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Ver-</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[152/0176] Nach der Erndte. Wie man, nachdem man es ergruͤndet, Den Trieb in allen Pflanzen findet. Erwege denn, vernuͤnftge Seele! Sprich, wer formirte die Canaͤle, Von wem iſt dieſer zarte Saft, Voll Segens-reicher Nahrungskraft, Fuͤr uns, auch fuͤr das Vieh bereitet? Wer hat es dergeſtalt geleitet? Wer ließ es in den Zaͤſerlein Der Wurzel, die kaum ſichtbar ſeyn, Jm finſtern Schooß der feuchten Erden, Zertheilt und als verdauet werden? Wer bildete die ſchoͤnen Aehren, Das nette Korn, die zarte Bluͤhte? Durch weſſen unumſchraͤnkte Guͤte Konnt es ſo reichlich ſich vermehren, Daß auch die ſtaͤrkſten Leiterwagen Nur kaum die ſchweren Laſten tragen? Da doch nur wenig Zeit zuvor, Der Saͤmann alles Samenkorn, Woraus nun ſolch Gewicht entſproſſen, Jn wenig Saͤcken eingeſchloſſen. Je minder wir nun alles faſſen, Je minder muß man unterlaſſen, An den, in Ehrfurcht, zu gedenken, Der uns, durch ſeine weiſe Fuͤhrung, Durch ſeine gnaͤdige Regierung, Die Koͤrperchen ſo wohl zu lenken, Und, uns dadurch viel guts zu ſchenken, So liebreich uns gewuͤrdigt hat. Allein wo koͤmmt das Elend her? Jch dacht, ich wuͤrd unglaublich mehr Ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/176
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 6. Hamburg, 1740, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen06_1740/176>, abgerufen am 14.05.2024.