Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite
Neu-Jahrs Gedichte.
Alles öd- und wüste seyn; weil sich keiner je bemühn
Weder könnte, wollt' und würde, etwas Gutes zu erziehn,
Etwas Gutes anzuordnen, etwas Gutes zu verrichten.
Ja, wir wären ungeschickt auch zu den geringsten Pflichten.
Hieraus kann man nun zugleich und zwar überzeug-
lich sehn,

Welch ein Wunder-Werck vom Schöpfer dadurch bloß in
uns geschehn,

Da uns GOTT die Kraft zu wollen wunderbarlich ein-
gesenckt,

Auch zugleich, daß man dieß Wunder leider wenig über-
denckt,

Und noch minder dem erkänntlich danckt, der uns die Kraft
geschenckt.
Von den Kräften unsers Willens, ob er an sich sel-
ber frey,

Oder ob desselben Freyheit gleichsam eingeschrencket sey
Durch den Zustand unsers Cörpers, durch den Fall, durch
unser Blut,

Durch der Leidenschaften Kräfte, Wallen, Heftigkeit und
Wut,

Wollten wir zwar untersuchen; doch wird man bekennen
müssen,

Daß, was wir begreiffen, Schwachheit; und nur Stück-
Werck unser Wissen.
Es kann keine Freyheit seyn, wo kein Trieb, kein Will'
und Dencken;

Aber Dencken, Trieb und Wille kann wol sonder Freyheit
seyn.

Eigentlich hat eine Freyheit mit dem Willen nichts gemein.
Denn der Will' ist ein Vermögen, so für sich selbst wirckt,
allein,

Und kann eigentlich die Freyheit nie zur Willens Eigenschaft,
Noch mit ihm vermischet, werden, als der würcklich eine Kraft.
Wie
J i 2
Neu-Jahrs Gedichte.
Alles oͤd- und wuͤſte ſeyn; weil ſich keiner je bemuͤhn
Weder koͤnnte, wollt’ und wuͤrde, etwas Gutes zu erziehn,
Etwas Gutes anzuordnen, etwas Gutes zu verrichten.
Ja, wir waͤren ungeſchickt auch zu den geringſten Pflichten.
Hieraus kann man nun zugleich und zwar uͤberzeug-
lich ſehn,

Welch ein Wunder-Werck vom Schoͤpfer dadurch bloß in
uns geſchehn,

Da uns GOTT die Kraft zu wollen wunderbarlich ein-
geſenckt,

Auch zugleich, daß man dieß Wunder leider wenig uͤber-
denckt,

Und noch minder dem erkaͤnntlich danckt, der uns die Kraft
geſchenckt.
Von den Kraͤften unſers Willens, ob er an ſich ſel-
ber frey,

Oder ob deſſelben Freyheit gleichſam eingeſchrencket ſey
Durch den Zuſtand unſers Coͤrpers, durch den Fall, durch
unſer Blut,

Durch der Leidenſchaften Kraͤfte, Wallen, Heftigkeit und
Wut,

Wollten wir zwar unterſuchen; doch wird man bekennen
muͤſſen,

Daß, was wir begreiffen, Schwachheit; und nur Stuͤck-
Werck unſer Wiſſen.
Es kann keine Freyheit ſeyn, wo kein Trieb, kein Will’
und Dencken;

Aber Dencken, Trieb und Wille kann wol ſonder Freyheit
ſeyn.

Eigentlich hat eine Freyheit mit dem Willen nichts gemein.
Denn der Will’ iſt ein Vermoͤgen, ſo fuͤr ſich ſelbſt wirckt,
allein,

Und kann eigentlich die Freyheit nie zur Willens Eigenſchaft,
Noch mit ihm vermiſchet, werden, als der wuͤrcklich eine Kraft.
Wie
J i 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0515" n="499"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neu-Jahrs Gedichte.</hi> </fw><lb/>
          <lg n="181">
            <l>Alles o&#x0364;d- und wu&#x0364;&#x017F;te &#x017F;eyn; weil &#x017F;ich keiner je bemu&#x0364;hn</l><lb/>
            <l>Weder ko&#x0364;nnte, wollt&#x2019; und wu&#x0364;rde, etwas Gutes zu erziehn,</l><lb/>
            <l>Etwas Gutes anzuordnen, etwas Gutes zu verrichten.</l><lb/>
            <l>Ja, wir wa&#x0364;ren unge&#x017F;chickt auch zu den gering&#x017F;ten Pflichten.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="182">
            <l>Hieraus kann man nun zugleich und zwar u&#x0364;berzeug-<lb/><hi rendition="#et">lich &#x017F;ehn,</hi></l><lb/>
            <l>Welch ein Wunder-Werck vom Scho&#x0364;pfer dadurch bloß in<lb/><hi rendition="#et">uns ge&#x017F;chehn,</hi></l><lb/>
            <l>Da uns GOTT die Kraft <hi rendition="#fr">zu wollen</hi> wunderbarlich ein-<lb/><hi rendition="#et">ge&#x017F;enckt,</hi></l><lb/>
            <l>Auch zugleich, daß man dieß Wunder leider wenig u&#x0364;ber-<lb/><hi rendition="#et">denckt,</hi></l><lb/>
            <l>Und noch minder dem erka&#x0364;nntlich danckt, der uns die Kraft<lb/><hi rendition="#et">ge&#x017F;chenckt.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="183">
            <l>Von den Kra&#x0364;ften un&#x017F;ers Willens, ob er an &#x017F;ich &#x017F;el-<lb/><hi rendition="#et">ber frey,</hi></l><lb/>
            <l>Oder ob de&#x017F;&#x017F;elben Freyheit gleich&#x017F;am einge&#x017F;chrencket &#x017F;ey</l><lb/>
            <l>Durch den Zu&#x017F;tand un&#x017F;ers Co&#x0364;rpers, durch den Fall, durch<lb/><hi rendition="#et">un&#x017F;er Blut,</hi></l><lb/>
            <l>Durch der Leiden&#x017F;chaften Kra&#x0364;fte, Wallen, Heftigkeit und<lb/><hi rendition="#et">Wut,</hi></l><lb/>
            <l>Wollten wir zwar unter&#x017F;uchen; doch wird man bekennen<lb/><hi rendition="#et">mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,</hi></l><lb/>
            <l>Daß, was wir begreiffen, Schwachheit; und nur Stu&#x0364;ck-<lb/><hi rendition="#et">Werck un&#x017F;er Wi&#x017F;&#x017F;en.</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="184">
            <l>Es kann keine Freyheit &#x017F;eyn, wo kein Trieb, kein Will&#x2019;<lb/><hi rendition="#et">und Dencken;</hi></l><lb/>
            <l>Aber Dencken, Trieb und Wille kann wol &#x017F;onder Freyheit<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;eyn.</hi></l><lb/>
            <l>Eigentlich hat eine Freyheit mit dem Willen nichts gemein.</l><lb/>
            <l>Denn der Will&#x2019; i&#x017F;t ein Vermo&#x0364;gen, &#x017F;o fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t wirckt,<lb/><hi rendition="#et">allein,</hi></l><lb/>
            <l>Und kann eigentlich die Freyheit nie zur Willens Eigen&#x017F;chaft,</l><lb/>
            <l>Noch mit ihm vermi&#x017F;chet, werden, als der wu&#x0364;rcklich eine Kraft.</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">J i 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Wie</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[499/0515] Neu-Jahrs Gedichte. Alles oͤd- und wuͤſte ſeyn; weil ſich keiner je bemuͤhn Weder koͤnnte, wollt’ und wuͤrde, etwas Gutes zu erziehn, Etwas Gutes anzuordnen, etwas Gutes zu verrichten. Ja, wir waͤren ungeſchickt auch zu den geringſten Pflichten. Hieraus kann man nun zugleich und zwar uͤberzeug- lich ſehn, Welch ein Wunder-Werck vom Schoͤpfer dadurch bloß in uns geſchehn, Da uns GOTT die Kraft zu wollen wunderbarlich ein- geſenckt, Auch zugleich, daß man dieß Wunder leider wenig uͤber- denckt, Und noch minder dem erkaͤnntlich danckt, der uns die Kraft geſchenckt. Von den Kraͤften unſers Willens, ob er an ſich ſel- ber frey, Oder ob deſſelben Freyheit gleichſam eingeſchrencket ſey Durch den Zuſtand unſers Coͤrpers, durch den Fall, durch unſer Blut, Durch der Leidenſchaften Kraͤfte, Wallen, Heftigkeit und Wut, Wollten wir zwar unterſuchen; doch wird man bekennen muͤſſen, Daß, was wir begreiffen, Schwachheit; und nur Stuͤck- Werck unſer Wiſſen. Es kann keine Freyheit ſeyn, wo kein Trieb, kein Will’ und Dencken; Aber Dencken, Trieb und Wille kann wol ſonder Freyheit ſeyn. Eigentlich hat eine Freyheit mit dem Willen nichts gemein. Denn der Will’ iſt ein Vermoͤgen, ſo fuͤr ſich ſelbſt wirckt, allein, Und kann eigentlich die Freyheit nie zur Willens Eigenſchaft, Noch mit ihm vermiſchet, werden, als der wuͤrcklich eine Kraft. Wie J i 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/515
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/515>, abgerufen am 03.10.2024.