Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite

Neu-Jahrs Gedichte.

Nimmermehr für ihren Wehrt GOtt sich danckbarlich er-
wiesen,

Nimmer ihre grosse Urqvell voller Lust und Danck ge-
priesen!

Sencke dich denn meine Seele, durch dich, in dein eignes
Wesen!

Untersuche, durch dich selbst, aus wie mannigfacher Kraft
Dein nicht leiblichs Seyn bestehe, und wie manche Ei-
genschaft,

Die zum Theil fast Göttlich scheinen, der dich schuf für
dich erlesen!

Aber ach! welch eine Tieffe voller lichten Dunckelheit,
Treff' ich in mir selber an! doch, die Dämmerung wird klar
Und ich werd', als wie im Nebel, einer reinen Heiterkeit,
Die durch tiefe Schatten bricht, mit Verwunderung gewahr.
Wenn ich eigentlich die Art, wie und wo die Seele dencket,
Scharf betrachtend überlege, scheint ja wol der Kopf allein
Jhre Werckstat, ohne Zweifel, und ihr Auffenthalt zu seyn.
Nun ist unser Kopf, wenn man auf ihn unsre Blicke lencket,
Fast an Form den Kolben gleich eines Helms, in welchem
man

Aus den Kräutern ihre Geister treiben, in die Höhe führen,
Die zerstreuten Dünste binden, gantz zu öberst distilliren,
Und, da sie sich abwärts lencken, sammlen und sie nützen kann.
Wann es nun nicht minder wahr, daß, biß zu des Sche-
dels Decken,

Unsre geistige Gedancken, weiter aber nicht, sich strecken;
Sondern (was wir auch von ihnen, durch uns selbst ge-
täuschet, gläuben)

Nie aus unserm Kopfe kommen, und beständig in ihm bleiben;
Scheint es mir der Mühe wehrt, diesem weiter nachzugehn,
Und, ob wir vielleicht hiedurch auf der wirckenden Natur
Uberall zu sehende, überall verborgne Spur
Etwann näher kommen können? noch was weiter nachzusehn.
Es

Neu-Jahrs Gedichte.

Nimmermehr fuͤr ihren Wehrt GOtt ſich danckbarlich er-
wieſen,

Nimmer ihre groſſe Urqvell voller Luſt und Danck ge-
prieſen!

Sencke dich denn meine Seele, durch dich, in dein eignes
Weſen!

Unterſuche, durch dich ſelbſt, aus wie mannigfacher Kraft
Dein nicht leiblichs Seyn beſtehe, und wie manche Ei-
genſchaft,

Die zum Theil faſt Goͤttlich ſcheinen, der dich ſchuf fuͤr
dich erleſen!

Aber ach! welch eine Tieffe voller lichten Dunckelheit,
Treff’ ich in mir ſelber an! doch, die Daͤmmerung wird klar
Und ich werd’, als wie im Nebel, einer reinen Heiterkeit,
Die durch tiefe Schatten bricht, mit Verwunderung gewahr.
Wenn ich eigentlich die Art, wie und wo die Seele dencket,
Scharf betrachtend uͤberlege, ſcheint ja wol der Kopf allein
Jhre Werckſtat, ohne Zweifel, und ihr Auffenthalt zu ſeyn.
Nun iſt unſer Kopf, wenn man auf ihn unſre Blicke lencket,
Faſt an Form den Kolben gleich eines Helms, in welchem
man

Aus den Kraͤutern ihre Geiſter treiben, in die Hoͤhe fuͤhren,
Die zerſtreuten Duͤnſte binden, gantz zu oͤberſt diſtilliren,
Und, da ſie ſich abwaͤrts lencken, ſammlen und ſie nuͤtzen kann.
Wann es nun nicht minder wahr, daß, biß zu des Sche-
dels Decken,

Unſre geiſtige Gedancken, weiter aber nicht, ſich ſtrecken;
Sondern (was wir auch von ihnen, durch uns ſelbſt ge-
taͤuſchet, glaͤuben)

Nie aus unſerm Kopfe kommen, und beſtaͤndig in ihm bleiben;
Scheint es mir der Muͤhe wehrt, dieſem weiter nachzugehn,
Und, ob wir vielleicht hiedurch auf der wirckenden Natur
Uberall zu ſehende, uͤberall verborgne Spur
Etwann naͤher kommen koͤnnen? noch was weiter nachzuſehn.
Es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="164">
            <l>
              <pb facs="#f0504" n="488"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Neu-Jahrs Gedichte.</hi> </fw>
            </l><lb/>
            <l>Nimmermehr fu&#x0364;r ihren Wehrt GOtt &#x017F;ich danckbarlich er-<lb/><hi rendition="#et">wie&#x017F;en,</hi></l><lb/>
            <l>Nimmer ihre gro&#x017F;&#x017F;e Urqvell voller Lu&#x017F;t und Danck ge-<lb/><hi rendition="#et">prie&#x017F;en!</hi></l><lb/>
            <l>Sencke dich denn meine Seele, durch dich, in dein eignes<lb/><hi rendition="#et">We&#x017F;en!</hi></l><lb/>
            <l>Unter&#x017F;uche, durch dich &#x017F;elb&#x017F;t, aus wie mannigfacher Kraft</l><lb/>
            <l>Dein nicht leiblichs Seyn be&#x017F;tehe, und wie manche Ei-<lb/><hi rendition="#et">gen&#x017F;chaft,</hi></l><lb/>
            <l>Die zum Theil fa&#x017F;t Go&#x0364;ttlich &#x017F;cheinen, der dich &#x017F;chuf fu&#x0364;r<lb/><hi rendition="#et">dich erle&#x017F;en!</hi></l>
          </lg><lb/>
          <lg n="165">
            <l>Aber ach! welch eine Tieffe voller lichten Dunckelheit,</l><lb/>
            <l>Treff&#x2019; ich in mir &#x017F;elber an! doch, die Da&#x0364;mmerung wird klar</l><lb/>
            <l>Und ich werd&#x2019;, als wie im Nebel, einer reinen Heiterkeit,</l><lb/>
            <l>Die durch tiefe Schatten bricht, mit Verwunderung gewahr.</l><lb/>
            <l>Wenn ich eigentlich die Art, wie und wo die Seele dencket,</l><lb/>
            <l>Scharf betrachtend u&#x0364;berlege, &#x017F;cheint ja wol der Kopf allein</l><lb/>
            <l>Jhre Werck&#x017F;tat, ohne Zweifel, und ihr Auffenthalt zu &#x017F;eyn.</l><lb/>
            <l>Nun i&#x017F;t un&#x017F;er Kopf, wenn man auf ihn un&#x017F;re Blicke lencket,</l><lb/>
            <l>Fa&#x017F;t an Form den Kolben gleich eines Helms, in welchem<lb/><hi rendition="#et">man</hi></l><lb/>
            <l>Aus den Kra&#x0364;utern ihre Gei&#x017F;ter treiben, in die Ho&#x0364;he fu&#x0364;hren,</l><lb/>
            <l>Die zer&#x017F;treuten Du&#x0364;n&#x017F;te binden, gantz zu o&#x0364;ber&#x017F;t di&#x017F;tilliren,</l><lb/>
            <l>Und, da &#x017F;ie &#x017F;ich abwa&#x0364;rts lencken, &#x017F;ammlen und &#x017F;ie nu&#x0364;tzen kann.</l><lb/>
            <l>Wann es nun nicht minder wahr, daß, biß zu des Sche-<lb/><hi rendition="#et">dels Decken,</hi></l><lb/>
            <l>Un&#x017F;re gei&#x017F;tige Gedancken, weiter aber nicht, &#x017F;ich &#x017F;trecken;</l><lb/>
            <l>Sondern (was wir auch von ihnen, durch uns &#x017F;elb&#x017F;t ge-<lb/><hi rendition="#et">ta&#x0364;u&#x017F;chet, gla&#x0364;uben)</hi></l><lb/>
            <l>Nie aus un&#x017F;erm Kopfe kommen, und be&#x017F;ta&#x0364;ndig in ihm bleiben;</l><lb/>
            <l>Scheint es mir der Mu&#x0364;he wehrt, die&#x017F;em weiter nachzugehn,</l><lb/>
            <l>Und, ob wir vielleicht hiedurch auf der wirckenden Natur</l><lb/>
            <l>Uberall zu &#x017F;ehende, u&#x0364;berall verborgne Spur</l><lb/>
            <l>Etwann na&#x0364;her kommen ko&#x0364;nnen? noch was weiter nachzu&#x017F;ehn.</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[488/0504] Neu-Jahrs Gedichte. Nimmermehr fuͤr ihren Wehrt GOtt ſich danckbarlich er- wieſen, Nimmer ihre groſſe Urqvell voller Luſt und Danck ge- prieſen! Sencke dich denn meine Seele, durch dich, in dein eignes Weſen! Unterſuche, durch dich ſelbſt, aus wie mannigfacher Kraft Dein nicht leiblichs Seyn beſtehe, und wie manche Ei- genſchaft, Die zum Theil faſt Goͤttlich ſcheinen, der dich ſchuf fuͤr dich erleſen! Aber ach! welch eine Tieffe voller lichten Dunckelheit, Treff’ ich in mir ſelber an! doch, die Daͤmmerung wird klar Und ich werd’, als wie im Nebel, einer reinen Heiterkeit, Die durch tiefe Schatten bricht, mit Verwunderung gewahr. Wenn ich eigentlich die Art, wie und wo die Seele dencket, Scharf betrachtend uͤberlege, ſcheint ja wol der Kopf allein Jhre Werckſtat, ohne Zweifel, und ihr Auffenthalt zu ſeyn. Nun iſt unſer Kopf, wenn man auf ihn unſre Blicke lencket, Faſt an Form den Kolben gleich eines Helms, in welchem man Aus den Kraͤutern ihre Geiſter treiben, in die Hoͤhe fuͤhren, Die zerſtreuten Duͤnſte binden, gantz zu oͤberſt diſtilliren, Und, da ſie ſich abwaͤrts lencken, ſammlen und ſie nuͤtzen kann. Wann es nun nicht minder wahr, daß, biß zu des Sche- dels Decken, Unſre geiſtige Gedancken, weiter aber nicht, ſich ſtrecken; Sondern (was wir auch von ihnen, durch uns ſelbſt ge- taͤuſchet, glaͤuben) Nie aus unſerm Kopfe kommen, und beſtaͤndig in ihm bleiben; Scheint es mir der Muͤhe wehrt, dieſem weiter nachzugehn, Und, ob wir vielleicht hiedurch auf der wirckenden Natur Uberall zu ſehende, uͤberall verborgne Spur Etwann naͤher kommen koͤnnen? noch was weiter nachzuſehn. Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/504
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/504>, abgerufen am 21.11.2024.