Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.
Aber ach! welch eine Tieffe voller lichten Dunckelheit, Treff' ich in mir selber an! doch, die Dämmerung wird klar Und ich werd', als wie im Nebel, einer reinen Heiterkeit, Die durch tiefe Schatten bricht, mit Verwunderung gewahr. Wenn ich eigentlich die Art, wie und wo die Seele dencket, Scharf betrachtend überlege, scheint ja wol der Kopf allein Jhre Werckstat, ohne Zweifel, und ihr Auffenthalt zu seyn. Nun ist unser Kopf, wenn man auf ihn unsre Blicke lencket, Fast an Form den Kolben gleich eines Helms, in welchem man Aus den Kräutern ihre Geister treiben, in die Höhe führen, Die zerstreuten Dünste binden, gantz zu öberst distilliren, Und, da sie sich abwärts lencken, sammlen und sie nützen kann. Wann es nun nicht minder wahr, daß, biß zu des Sche- dels Decken, Unsre geistige Gedancken, weiter aber nicht, sich strecken; Sondern (was wir auch von ihnen, durch uns selbst ge- täuschet, gläuben) Nie aus unserm Kopfe kommen, und beständig in ihm bleiben; Scheint es mir der Mühe wehrt, diesem weiter nachzugehn, Und, ob wir vielleicht hiedurch auf der wirckenden Natur Uberall zu sehende, überall verborgne Spur Etwann näher kommen können? noch was weiter nachzusehn. Es
Aber ach! welch eine Tieffe voller lichten Dunckelheit, Treff’ ich in mir ſelber an! doch, die Daͤmmerung wird klar Und ich werd’, als wie im Nebel, einer reinen Heiterkeit, Die durch tiefe Schatten bricht, mit Verwunderung gewahr. Wenn ich eigentlich die Art, wie und wo die Seele dencket, Scharf betrachtend uͤberlege, ſcheint ja wol der Kopf allein Jhre Werckſtat, ohne Zweifel, und ihr Auffenthalt zu ſeyn. Nun iſt unſer Kopf, wenn man auf ihn unſre Blicke lencket, Faſt an Form den Kolben gleich eines Helms, in welchem man Aus den Kraͤutern ihre Geiſter treiben, in die Hoͤhe fuͤhren, Die zerſtreuten Duͤnſte binden, gantz zu oͤberſt diſtilliren, Und, da ſie ſich abwaͤrts lencken, ſammlen und ſie nuͤtzen kann. Wann es nun nicht minder wahr, daß, biß zu des Sche- dels Decken, Unſre geiſtige Gedancken, weiter aber nicht, ſich ſtrecken; Sondern (was wir auch von ihnen, durch uns ſelbſt ge- taͤuſchet, glaͤuben) Nie aus unſerm Kopfe kommen, und beſtaͤndig in ihm bleiben; Scheint es mir der Muͤhe wehrt, dieſem weiter nachzugehn, Und, ob wir vielleicht hiedurch auf der wirckenden Natur Uberall zu ſehende, uͤberall verborgne Spur Etwann naͤher kommen koͤnnen? noch was weiter nachzuſehn. Es
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Neu-Jahrs Gedichte.
Nimmermehr fuͤr ihren Wehrt GOtt ſich danckbarlich er-
wieſen,
Nimmer ihre groſſe Urqvell voller Luſt und Danck ge-
prieſen!
Sencke dich denn meine Seele, durch dich, in dein eignes
Weſen!
Unterſuche, durch dich ſelbſt, aus wie mannigfacher Kraft
Dein nicht leiblichs Seyn beſtehe, und wie manche Ei-
genſchaft,
Die zum Theil faſt Goͤttlich ſcheinen, der dich ſchuf fuͤr
dich erleſen!
Aber ach! welch eine Tieffe voller lichten Dunckelheit,
Treff’ ich in mir ſelber an! doch, die Daͤmmerung wird klar
Und ich werd’, als wie im Nebel, einer reinen Heiterkeit,
Die durch tiefe Schatten bricht, mit Verwunderung gewahr.
Wenn ich eigentlich die Art, wie und wo die Seele dencket,
Scharf betrachtend uͤberlege, ſcheint ja wol der Kopf allein
Jhre Werckſtat, ohne Zweifel, und ihr Auffenthalt zu ſeyn.
Nun iſt unſer Kopf, wenn man auf ihn unſre Blicke lencket,
Faſt an Form den Kolben gleich eines Helms, in welchem
man
Aus den Kraͤutern ihre Geiſter treiben, in die Hoͤhe fuͤhren,
Die zerſtreuten Duͤnſte binden, gantz zu oͤberſt diſtilliren,
Und, da ſie ſich abwaͤrts lencken, ſammlen und ſie nuͤtzen kann.
Wann es nun nicht minder wahr, daß, biß zu des Sche-
dels Decken,
Unſre geiſtige Gedancken, weiter aber nicht, ſich ſtrecken;
Sondern (was wir auch von ihnen, durch uns ſelbſt ge-
taͤuſchet, glaͤuben)
Nie aus unſerm Kopfe kommen, und beſtaͤndig in ihm bleiben;
Scheint es mir der Muͤhe wehrt, dieſem weiter nachzugehn,
Und, ob wir vielleicht hiedurch auf der wirckenden Natur
Uberall zu ſehende, uͤberall verborgne Spur
Etwann naͤher kommen koͤnnen? noch was weiter nachzuſehn.
Es
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