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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

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Heilsahme Schwäche.
Will man von Hochmuth aufgeblasen, von Stoltz
geschwollen, sich erheben;
So dencke man doch, wo und wie uns unser Leben wird
gegeben.
Es wird die Menschheit, sonder Zweiffel, sich weniger er-
höh'n, als schämen,
Erwegt man Art und Ort, wie wir und wo wir unsern
Anfang nehmen;
Betrachten wir hiebey des Cörpers hinfällige Beschaffenheit,
Der Kranckheit Last, des Lebens Kürtze und flüchtige Ver-
gänglichkeit
Erwegt man mit gesetztem Sinn, ohn Vorurtheil, zugleich
dabey,
Wie selber unser Geist so schwach, so eitel, und so niedrig
sey;
Wie oft ihn Leidenschaft bemeistert; wie wir so wenig
gründlich wissen;
Wie oft er sich so weit verirret: wird man denn nicht ge-
stehen müssen,
Daß wir uns hier auf dieser Welt, mit allen unsern Vor-
zugs Gaben,
Mit allem eingebildten Witz, nicht sehr zu brüsten Ursach
haben.
Sey aber darum nicht betrübet: es fließt aus der Erkenntniß
mehr,
Als was man anfangs glauben solte. Es fließt daraus, zu
GOttes Ehr,
Der Nächsten-Liebe Quell, die Demuth, im Leben; und
wann wir erblassen
Der Glaub', in welchem wir gedultig auf seine Lieb' uns
blos verlassen.


Un-
Q 2
Heilſahme Schwaͤche.
Will man von Hochmuth aufgeblaſen, von Stoltz
geſchwollen, ſich erheben;
So dencke man doch, wo und wie uns unſer Leben wird
gegeben.
Es wird die Menſchheit, ſonder Zweiffel, ſich weniger er-
hoͤh’n, als ſchaͤmen,
Erwegt man Art und Ort, wie wir und wo wir unſern
Anfang nehmen;
Betrachten wir hiebey des Coͤrpers hinfaͤllige Beſchaffenheit,
Der Kranckheit Laſt, des Lebens Kuͤrtze und fluͤchtige Ver-
gaͤnglichkeit
Erwegt man mit geſetztem Sinn, ohn Vorurtheil, zugleich
dabey,
Wie ſelber unſer Geiſt ſo ſchwach, ſo eitel, und ſo niedrig
ſey;
Wie oft ihn Leidenſchaft bemeiſtert; wie wir ſo wenig
gruͤndlich wiſſen;
Wie oft er ſich ſo weit verirret: wird man denn nicht ge-
ſtehen muͤſſen,
Daß wir uns hier auf dieſer Welt, mit allen unſern Vor-
zugs Gaben,
Mit allem eingebildten Witz, nicht ſehr zu bruͤſten Urſach
haben.
Sey aber darum nicht betruͤbet: es fließt aus der Erkenntniß
mehr,
Als was man anfangs glauben ſolte. Es fließt daraus, zu
GOttes Ehr,
Der Naͤchſten-Liebe Quell, die Demuth, im Leben; und
wann wir erblaſſen
Der Glaub’, in welchem wir gedultig auf ſeine Lieb’ uns
blos verlaſſen.


Un-
Q 2
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[243/0259] Heilſahme Schwaͤche. Will man von Hochmuth aufgeblaſen, von Stoltz geſchwollen, ſich erheben; So dencke man doch, wo und wie uns unſer Leben wird gegeben. Es wird die Menſchheit, ſonder Zweiffel, ſich weniger er- hoͤh’n, als ſchaͤmen, Erwegt man Art und Ort, wie wir und wo wir unſern Anfang nehmen; Betrachten wir hiebey des Coͤrpers hinfaͤllige Beſchaffenheit, Der Kranckheit Laſt, des Lebens Kuͤrtze und fluͤchtige Ver- gaͤnglichkeit Erwegt man mit geſetztem Sinn, ohn Vorurtheil, zugleich dabey, Wie ſelber unſer Geiſt ſo ſchwach, ſo eitel, und ſo niedrig ſey; Wie oft ihn Leidenſchaft bemeiſtert; wie wir ſo wenig gruͤndlich wiſſen; Wie oft er ſich ſo weit verirret: wird man denn nicht ge- ſtehen muͤſſen, Daß wir uns hier auf dieſer Welt, mit allen unſern Vor- zugs Gaben, Mit allem eingebildten Witz, nicht ſehr zu bruͤſten Urſach haben. Sey aber darum nicht betruͤbet: es fließt aus der Erkenntniß mehr, Als was man anfangs glauben ſolte. Es fließt daraus, zu GOttes Ehr, Der Naͤchſten-Liebe Quell, die Demuth, im Leben; und wann wir erblaſſen Der Glaub’, in welchem wir gedultig auf ſeine Lieb’ uns blos verlaſſen. Un- Q 2

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Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/259>, abgerufen am 26.11.2024.