Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerung.
Geliebteste Belisa, sprich,
Da du in unserm schönen Garten
So manche Schönheit siehst, und nicht recht sonderlich
Darüber frölich bist; sprich, worauf wilst du warten?
Auf welche Zeit verschiebst du deine Lust?
Was auf der Welt vergnügliches zu hoffen,
Wie dir so wol, als mir bewust,
Jst ja, GOtt Lob! bey uns schon eingetroffen.
Du kanst und wirst nichts bessers hier verlangen.
Ach, so verzögre doch nicht länger|, anzufangen,
Dich an den gegenwärt'gen Schätzen
Auch gegenwärtig zu ergetzen,
Und dem, der es uns giebt, zu Ehren, froh zu seyn!
Denn, nach der Ordnung der Natur,
Bemerckt man überall die Spur,
Daß ungeprüfte Lust und nicht gefühlt Vergnügen,
Mit der beständig-regen Zeit,
So wol als die, so man gefühlet und genossen,
Mit ungehemmter Schnelligkeit
Unwiederbringlich von uns fliegen
Und, eh man sichs versieht, bereits davon geflossen.
Die Augenblick' und Zeit, worin uns Anmuth fehlt,
Die wir uns selber können geben,
Sind uns nicht minder zugezehlt,
Als die Vergnüglichsten von unserm Leben.
[Abbildung]
Der
M 4
Erinnerung.
Geliebteſte Beliſa, ſprich,
Da du in unſerm ſchoͤnen Garten
So manche Schoͤnheit ſiehſt, und nicht recht ſonderlich
Daruͤber froͤlich biſt; ſprich, worauf wilſt du warten?
Auf welche Zeit verſchiebſt du deine Luſt?
Was auf der Welt vergnuͤgliches zu hoffen,
Wie dir ſo wol, als mir bewuſt,
Jſt ja, GOtt Lob! bey uns ſchon eingetroffen.
Du kanſt und wirſt nichts beſſers hier verlangen.
Ach, ſo verzoͤgre doch nicht laͤnger|, anzufangen,
Dich an den gegenwaͤrt’gen Schaͤtzen
Auch gegenwaͤrtig zu ergetzen,
Und dem, der es uns giebt, zu Ehren, froh zu ſeyn!
Denn, nach der Ordnung der Natur,
Bemerckt man uͤberall die Spur,
Daß ungepruͤfte Luſt und nicht gefuͤhlt Vergnuͤgen,
Mit der beſtaͤndig-regen Zeit,
So wol als die, ſo man gefuͤhlet und genoſſen,
Mit ungehemmter Schnelligkeit
Unwiederbringlich von uns fliegen
Und, eh man ſichs verſieht, bereits davon gefloſſen.
Die Augenblick’ und Zeit, worin uns Anmuth fehlt,
Die wir uns ſelber koͤnnen geben,
Sind uns nicht minder zugezehlt,
Als die Vergnuͤglichſten von unſerm Leben.
[Abbildung]
Der
M 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0199" n="183"/>
        <lg type="poem">
          <head> <hi rendition="#b">Erinnerung.</hi> </head><lb/>
          <l><hi rendition="#in">G</hi>eliebte&#x017F;te Beli&#x017F;a, &#x017F;prich,</l><lb/>
          <l>Da du in un&#x017F;erm &#x017F;cho&#x0364;nen Garten</l><lb/>
          <l>So manche Scho&#x0364;nheit &#x017F;ieh&#x017F;t, und nicht recht &#x017F;onderlich</l><lb/>
          <l>Daru&#x0364;ber fro&#x0364;lich bi&#x017F;t; &#x017F;prich, worauf wil&#x017F;t du warten?</l><lb/>
          <l>Auf welche Zeit ver&#x017F;chieb&#x017F;t du deine Lu&#x017F;t?</l><lb/>
          <l>Was auf der Welt vergnu&#x0364;gliches zu hoffen,</l><lb/>
          <l>Wie dir &#x017F;o wol, als mir bewu&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>J&#x017F;t ja, GOtt Lob! bey uns &#x017F;chon eingetroffen.</l><lb/>
          <l>Du kan&#x017F;t und wir&#x017F;t nichts be&#x017F;&#x017F;ers hier verlangen.</l><lb/>
          <l>Ach, &#x017F;o verzo&#x0364;gre doch nicht la&#x0364;nger|, anzufangen,</l><lb/>
          <l>Dich an den gegenwa&#x0364;rt&#x2019;gen Scha&#x0364;tzen</l><lb/>
          <l>Auch gegenwa&#x0364;rtig zu ergetzen,</l><lb/>
          <l>Und dem, der es uns giebt, zu Ehren, froh zu &#x017F;eyn!</l><lb/>
          <l>Denn, nach der Ordnung der Natur,</l><lb/>
          <l>Bemerckt man u&#x0364;berall die Spur,</l><lb/>
          <l>Daß ungepru&#x0364;fte Lu&#x017F;t und nicht gefu&#x0364;hlt Vergnu&#x0364;gen,</l><lb/>
          <l>Mit der be&#x017F;ta&#x0364;ndig-regen Zeit,</l><lb/>
          <l>So wol als die, &#x017F;o man gefu&#x0364;hlet und geno&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
          <l>Mit ungehemmter Schnelligkeit</l><lb/>
          <l>Unwiederbringlich von uns fliegen</l><lb/>
          <l>Und, eh man &#x017F;ichs ver&#x017F;ieht, bereits davon geflo&#x017F;&#x017F;en.</l><lb/>
          <l>Die Augenblick&#x2019; und Zeit, worin uns Anmuth fehlt,</l><lb/>
          <l>Die wir uns &#x017F;elber ko&#x0364;nnen geben,</l><lb/>
          <l>Sind uns nicht minder zugezehlt,</l><lb/>
          <l>Als die Vergnu&#x0364;glich&#x017F;ten von un&#x017F;erm Leben.</l>
        </lg><lb/>
        <figure/>
        <fw place="bottom" type="sig">M 4</fw>
        <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Der</hi> </fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0199] Erinnerung. Geliebteſte Beliſa, ſprich, Da du in unſerm ſchoͤnen Garten So manche Schoͤnheit ſiehſt, und nicht recht ſonderlich Daruͤber froͤlich biſt; ſprich, worauf wilſt du warten? Auf welche Zeit verſchiebſt du deine Luſt? Was auf der Welt vergnuͤgliches zu hoffen, Wie dir ſo wol, als mir bewuſt, Jſt ja, GOtt Lob! bey uns ſchon eingetroffen. Du kanſt und wirſt nichts beſſers hier verlangen. Ach, ſo verzoͤgre doch nicht laͤnger|, anzufangen, Dich an den gegenwaͤrt’gen Schaͤtzen Auch gegenwaͤrtig zu ergetzen, Und dem, der es uns giebt, zu Ehren, froh zu ſeyn! Denn, nach der Ordnung der Natur, Bemerckt man uͤberall die Spur, Daß ungepruͤfte Luſt und nicht gefuͤhlt Vergnuͤgen, Mit der beſtaͤndig-regen Zeit, So wol als die, ſo man gefuͤhlet und genoſſen, Mit ungehemmter Schnelligkeit Unwiederbringlich von uns fliegen Und, eh man ſichs verſieht, bereits davon gefloſſen. Die Augenblick’ und Zeit, worin uns Anmuth fehlt, Die wir uns ſelber koͤnnen geben, Sind uns nicht minder zugezehlt, Als die Vergnuͤglichſten von unſerm Leben. [Abbildung] Der M 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/199
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 5. Hamburg, 1736, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen05_1736/199>, abgerufen am 24.11.2024.