Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.

Bild:
<< vorherige Seite

bey dem 1731. Jahrs-Wechsel betrachtet.

Wären nur (Exempels weis') alle Theil' an unsrer Zungen
Auf dieselbig' Art vereint, in einander so geschlungen,
Als der Zähne Theilchen sind; würden sie nicht zu bewegen,
Und, wofern der Zähne Theile, unsrer Zungen Theilen gleich;
Ungeschickt zum käuen seyn, und nicht brauchbar, weil sie
weich:

Wäre gleichfalls in dem Fleisch, in dem Korn und andern
Speisen,

Jedes Theil so fest verbunden, wie im Kieselstein und Eisen;
Würd' auf Erden alles sterben, und der Thiere gantzes
Reich

Alsobald verkommen müssen. Billig sollte denn auf Erden
Kein vernünftiges Geschöpf iemahls angetroffen werden,
Das, in so verschiednen Arten des Zusammenhangs der
Theile,

Nicht ein unbeschreiblich Wunder finden, fühlen, sehn, ver-
stehn,

Und dem Schöpfer dancken müste, daß Sein' Allmachts-
Hand die Welt,

Und die Cörper die darin, wunderbar zusammen hält,
Wunderbar regiert und lencket. Aber lasst uns weiter
gehn.

Und, in dem Zusammenhange, noch ein neues Wunder sehn,
Da er fest, und nicht zu fest. Denn wenn Theil' auch sich
nicht trennten,

Und die Cörper durch die Fäulniß aufgelöset werden könten;
Würde, durch die todten Aeser, so von Menschen als von
Thieren,

Und den Wust verwelckter Pflantzen, aus dem gantzen Kreis
der Erden,

Die anietzt so Wunder-schön, fast ein Schinder-Anger
werden.

Also
J i

bey dem 1731. Jahrs-Wechſel betrachtet.

Waͤren nur (Exempels weiſ’) alle Theil’ an unſrer Zungen
Auf dieſelbig’ Art vereint, in einander ſo geſchlungen,
Als der Zaͤhne Theilchen ſind; wuͤrden ſie nicht zu bewegen,
Und, wofern der Zaͤhne Theile, unſrer Zungen Theilen gleich;
Ungeſchickt zum kaͤuen ſeyn, und nicht brauchbar, weil ſie
weich:

Waͤre gleichfalls in dem Fleiſch, in dem Korn und andern
Speiſen,

Jedes Theil ſo feſt verbunden, wie im Kieſelſtein und Eiſen;
Wuͤrd’ auf Erden alles ſterben, und der Thiere gantzes
Reich

Alſobald verkommen muͤſſen. Billig ſollte denn auf Erden
Kein vernuͤnftiges Geſchoͤpf iemahls angetroffen werden,
Das, in ſo verſchiednen Arten des Zuſammenhangs der
Theile,

Nicht ein unbeſchreiblich Wunder finden, fuͤhlen, ſehn, ver-
ſtehn,

Und dem Schoͤpfer dancken muͤſte, daß Sein’ Allmachts-
Hand die Welt,

Und die Coͤrper die darin, wunderbar zuſammen haͤlt,
Wunderbar regiert und lencket. Aber laſſt uns weiter
gehn.

Und, in dem Zuſammenhange, noch ein neues Wunder ſehn,
Da er feſt, und nicht zu feſt. Denn wenn Theil’ auch ſich
nicht trennten,

Und die Coͤrper durch die Faͤulniß aufgeloͤſet werden koͤnten;
Wuͤrde, durch die todten Aeſer, ſo von Menſchen als von
Thieren,

Und den Wuſt verwelckter Pflantzen, aus dem gantzen Kreis
der Erden,

Die anietzt ſo Wunder-ſchoͤn, faſt ein Schinder-Anger
werden.

Alſo
J i
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="11">
              <l>
                <pb facs="#f0529" n="497"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">bey dem 1731. Jahrs-Wech&#x017F;el betrachtet.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Wa&#x0364;ren nur (Exempels wei&#x017F;&#x2019;) alle Theil&#x2019; an un&#x017F;rer Zungen</l><lb/>
              <l>Auf die&#x017F;elbig&#x2019; Art vereint, in einander &#x017F;o ge&#x017F;chlungen,</l><lb/>
              <l>Als der Za&#x0364;hne Theilchen &#x017F;ind; wu&#x0364;rden &#x017F;ie nicht zu bewegen,</l><lb/>
              <l>Und, wofern der Za&#x0364;hne Theile, un&#x017F;rer Zungen Theilen gleich;</l><lb/>
              <l>Unge&#x017F;chickt zum ka&#x0364;uen &#x017F;eyn, und nicht brauchbar, weil &#x017F;ie<lb/><hi rendition="#et">weich:</hi></l><lb/>
              <l>Wa&#x0364;re gleichfalls in dem Flei&#x017F;ch, in dem Korn und andern<lb/><hi rendition="#et">Spei&#x017F;en,</hi></l><lb/>
              <l>Jedes Theil &#x017F;o fe&#x017F;t verbunden, wie im Kie&#x017F;el&#x017F;tein und Ei&#x017F;en;</l><lb/>
              <l>Wu&#x0364;rd&#x2019; auf Erden alles &#x017F;terben, und der Thiere gantzes<lb/><hi rendition="#et">Reich</hi></l><lb/>
              <l>Al&#x017F;obald verkommen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Billig &#x017F;ollte denn auf Erden</l><lb/>
              <l>Kein vernu&#x0364;nftiges Ge&#x017F;cho&#x0364;pf iemahls angetroffen werden,</l><lb/>
              <l>Das, in &#x017F;o ver&#x017F;chiednen Arten des Zu&#x017F;ammenhangs der<lb/><hi rendition="#et">Theile,</hi></l><lb/>
              <l>Nicht ein unbe&#x017F;chreiblich Wunder finden, fu&#x0364;hlen, &#x017F;ehn, ver-<lb/><hi rendition="#et">&#x017F;tehn,</hi></l><lb/>
              <l>Und dem Scho&#x0364;pfer dancken mu&#x0364;&#x017F;te, daß Sein&#x2019; Allmachts-<lb/><hi rendition="#et">Hand die Welt,</hi></l><lb/>
              <l>Und die Co&#x0364;rper die darin, wunderbar zu&#x017F;ammen ha&#x0364;lt,</l><lb/>
              <l>Wunderbar regiert und lencket. Aber la&#x017F;&#x017F;t uns weiter<lb/><hi rendition="#et">gehn.</hi></l><lb/>
              <l>Und, in dem Zu&#x017F;ammenhange, noch ein neues Wunder &#x017F;ehn,</l><lb/>
              <l>Da er fe&#x017F;t, und nicht zu fe&#x017F;t. Denn wenn Theil&#x2019; auch &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#et">nicht trennten,</hi></l><lb/>
              <l>Und die Co&#x0364;rper durch die Fa&#x0364;ulniß aufgelo&#x0364;&#x017F;et werden ko&#x0364;nten;</l><lb/>
              <l>Wu&#x0364;rde, durch die todten Ae&#x017F;er, &#x017F;o von Men&#x017F;chen als von<lb/><hi rendition="#et">Thieren,</hi></l><lb/>
              <l>Und den Wu&#x017F;t verwelckter Pflantzen, aus dem gantzen Kreis<lb/><hi rendition="#et">der Erden,</hi></l><lb/>
              <l>Die anietzt &#x017F;o Wunder-&#x017F;cho&#x0364;n, fa&#x017F;t ein Schinder-Anger<lb/><hi rendition="#et">werden.</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="sig">J i</fw><fw place="bottom" type="catch">Al&#x017F;o</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[497/0529] bey dem 1731. Jahrs-Wechſel betrachtet. Waͤren nur (Exempels weiſ’) alle Theil’ an unſrer Zungen Auf dieſelbig’ Art vereint, in einander ſo geſchlungen, Als der Zaͤhne Theilchen ſind; wuͤrden ſie nicht zu bewegen, Und, wofern der Zaͤhne Theile, unſrer Zungen Theilen gleich; Ungeſchickt zum kaͤuen ſeyn, und nicht brauchbar, weil ſie weich: Waͤre gleichfalls in dem Fleiſch, in dem Korn und andern Speiſen, Jedes Theil ſo feſt verbunden, wie im Kieſelſtein und Eiſen; Wuͤrd’ auf Erden alles ſterben, und der Thiere gantzes Reich Alſobald verkommen muͤſſen. Billig ſollte denn auf Erden Kein vernuͤnftiges Geſchoͤpf iemahls angetroffen werden, Das, in ſo verſchiednen Arten des Zuſammenhangs der Theile, Nicht ein unbeſchreiblich Wunder finden, fuͤhlen, ſehn, ver- ſtehn, Und dem Schoͤpfer dancken muͤſte, daß Sein’ Allmachts- Hand die Welt, Und die Coͤrper die darin, wunderbar zuſammen haͤlt, Wunderbar regiert und lencket. Aber laſſt uns weiter gehn. Und, in dem Zuſammenhange, noch ein neues Wunder ſehn, Da er feſt, und nicht zu feſt. Denn wenn Theil’ auch ſich nicht trennten, Und die Coͤrper durch die Faͤulniß aufgeloͤſet werden koͤnten; Wuͤrde, durch die todten Aeſer, ſo von Menſchen als von Thieren, Und den Wuſt verwelckter Pflantzen, aus dem gantzen Kreis der Erden, Die anietzt ſo Wunder-ſchoͤn, faſt ein Schinder-Anger werden. Alſo J i

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/529
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/529>, abgerufen am 21.05.2024.