Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735.

Bild:
<< vorherige Seite

bey dem 1729. Jahres-Wechsel, etc.

Jedoch nicht gäntzlich weg. Dein Vater ist gestorben;
Sein Cörper ist nicht mehr, er ist verwes't verdorben;
Du aber, der du lebst, wirst ja nicht leugnen können,
Daß du von ihm (es mag so zart, so klein,
Als wie du selber rechnest, seyn)
Kein wesentliches Theil mit Recht nicht seyst zu nennen:
Und folglich ist von ihm ein Etwas noch vorhanden,
So du wol nicht geglaubt. Von Dingen, die dahin,
Verspürt man ferner auch, daß sich, in unserm Sinn,
Aufs mindste dann annoch ein Uberbleibsel findet,
Wann das, was aus dem vorigen entstanden,
Mit dem vergangnen sich in so weit noch verbindet,
Daß, wenn das vorige nicht auf der Welt gewesen,
Das, so ietzt wircklich da, nicht hätte seyn,
Und nimmermehr entstehen können.
Flösst also, was nicht mehr, noch einen Einfluß ein
Jn Sachen, die noch ietzt. Wann wir von etwas lesen,
Wird man dasselbe ja nicht gantz vergangen nennen.
Daß also wircklich Bücher, Schriften,
Wenn sie von dem, was weg, annoch ein Denckmahl stifften;
Auf eine Art, die wunderns wehrt, verwehren,
Daß Dingen, die dahin, vollkömmlich aufzuhören
Dennoch nicht möglich ist. Welch eine Wunder-Gabe
Das menschliche Geschlecht hiedurch empfangen habe
Vom ewgen Weisheits-Born; wird, leider! nicht bedacht,
Noch weniger dafür der Gottheit Danck gebracht,
Wie unsre Schuldigkeit. Jndem der Menschen Geist
Durch die Erfindung ja sich dem Vergehn entreisst,
Und auch auf dieser Welt sehr lange dauren kann.

Von
F f

bey dem 1729. Jahres-Wechſel, ꝛc.

Jedoch nicht gaͤntzlich weg. Dein Vater iſt geſtorben;
Sein Coͤrper iſt nicht mehr, er iſt verweſ’t verdorben;
Du aber, der du lebſt, wirſt ja nicht leugnen koͤnnen,
Daß du von ihm (es mag ſo zart, ſo klein,
Als wie du ſelber rechneſt, ſeyn)
Kein weſentliches Theil mit Recht nicht ſeyſt zu nennen:
Und folglich iſt von ihm ein Etwas noch vorhanden,
So du wol nicht geglaubt. Von Dingen, die dahin,
Verſpuͤrt man ferner auch, daß ſich, in unſerm Sinn,
Aufs mindſte dann annoch ein Uberbleibſel findet,
Wann das, was aus dem vorigen entſtanden,
Mit dem vergangnen ſich in ſo weit noch verbindet,
Daß, wenn das vorige nicht auf der Welt geweſen,
Das, ſo ietzt wircklich da, nicht haͤtte ſeyn,
Und nimmermehr entſtehen koͤnnen.
Floͤſſt alſo, was nicht mehr, noch einen Einfluß ein
Jn Sachen, die noch ietzt. Wann wir von etwas leſen,
Wird man daſſelbe ja nicht gantz vergangen nennen.
Daß alſo wircklich Buͤcher, Schriften,
Wenn ſie von dem, was weg, annoch ein Denckmahl ſtifften;
Auf eine Art, die wunderns wehrt, verwehren,
Daß Dingen, die dahin, vollkoͤmmlich aufzuhoͤren
Dennoch nicht moͤglich iſt. Welch eine Wunder-Gabe
Das menſchliche Geſchlecht hiedurch empfangen habe
Vom ewgen Weisheits-Born; wird, leider! nicht bedacht,
Noch weniger dafuͤr der Gottheit Danck gebracht,
Wie unſre Schuldigkeit. Jndem der Menſchen Geiſt
Durch die Erfindung ja ſich dem Vergehn entreiſſt,
Und auch auf dieſer Welt ſehr lange dauren kann.

Von
F f
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="36">
              <l>
                <pb facs="#f0481" n="449"/>
                <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">bey dem 1729. Jahres-Wech&#x017F;el, &#xA75B;c.</hi> </fw>
              </l><lb/>
              <l>Jedoch nicht ga&#x0364;ntzlich weg. Dein Vater i&#x017F;t ge&#x017F;torben;</l><lb/>
              <l>Sein Co&#x0364;rper i&#x017F;t nicht mehr, er i&#x017F;t verwe&#x017F;&#x2019;t verdorben;</l><lb/>
              <l>Du aber, der du leb&#x017F;t, wir&#x017F;t ja nicht leugnen ko&#x0364;nnen,</l><lb/>
              <l>Daß du von ihm (es mag &#x017F;o zart, &#x017F;o klein,</l><lb/>
              <l>Als wie du &#x017F;elber rechne&#x017F;t, &#x017F;eyn)</l><lb/>
              <l>Kein we&#x017F;entliches Theil mit Recht nicht &#x017F;ey&#x017F;t zu nennen:</l><lb/>
              <l>Und folglich i&#x017F;t von ihm ein Etwas noch vorhanden,</l><lb/>
              <l>So du wol nicht geglaubt. Von Dingen, die dahin,</l><lb/>
              <l>Ver&#x017F;pu&#x0364;rt man ferner auch, daß &#x017F;ich, in un&#x017F;erm Sinn,</l><lb/>
              <l>Aufs mind&#x017F;te dann annoch ein Uberbleib&#x017F;el findet,</l><lb/>
              <l>Wann das, was aus dem vorigen ent&#x017F;tanden,</l><lb/>
              <l>Mit dem vergangnen &#x017F;ich in &#x017F;o weit noch verbindet,</l><lb/>
              <l>Daß, wenn das vorige nicht auf der Welt gewe&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Das, &#x017F;o ietzt wircklich da, nicht ha&#x0364;tte &#x017F;eyn,</l><lb/>
              <l>Und nimmermehr ent&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen.</l><lb/>
              <l>Flo&#x0364;&#x017F;&#x017F;t al&#x017F;o, was nicht mehr, noch einen Einfluß ein</l><lb/>
              <l>Jn Sachen, die noch ietzt. Wann wir von etwas le&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>Wird man da&#x017F;&#x017F;elbe ja nicht gantz vergangen nennen.</l><lb/>
              <l>Daß al&#x017F;o wircklich Bu&#x0364;cher, Schriften,</l><lb/>
              <l>Wenn &#x017F;ie von dem, was weg, annoch ein Denckmahl &#x017F;tifften;</l><lb/>
              <l>Auf eine Art, die wunderns wehrt, verwehren,</l><lb/>
              <l>Daß Dingen, die dahin, vollko&#x0364;mmlich aufzuho&#x0364;ren</l><lb/>
              <l>Dennoch nicht mo&#x0364;glich i&#x017F;t. Welch eine Wunder-Gabe</l><lb/>
              <l>Das men&#x017F;chliche Ge&#x017F;chlecht hiedurch empfangen habe</l><lb/>
              <l>Vom ewgen Weisheits-Born; wird, leider! nicht bedacht,</l><lb/>
              <l>Noch weniger dafu&#x0364;r der Gottheit Danck gebracht,</l><lb/>
              <l>Wie un&#x017F;re Schuldigkeit. Jndem der Men&#x017F;chen Gei&#x017F;t</l><lb/>
              <l>Durch die Erfindung ja &#x017F;ich dem Vergehn entrei&#x017F;&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Und auch auf die&#x017F;er Welt &#x017F;ehr lange dauren kann.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F f</fw><fw place="bottom" type="catch">Von</fw><lb/></l>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[449/0481] bey dem 1729. Jahres-Wechſel, ꝛc. Jedoch nicht gaͤntzlich weg. Dein Vater iſt geſtorben; Sein Coͤrper iſt nicht mehr, er iſt verweſ’t verdorben; Du aber, der du lebſt, wirſt ja nicht leugnen koͤnnen, Daß du von ihm (es mag ſo zart, ſo klein, Als wie du ſelber rechneſt, ſeyn) Kein weſentliches Theil mit Recht nicht ſeyſt zu nennen: Und folglich iſt von ihm ein Etwas noch vorhanden, So du wol nicht geglaubt. Von Dingen, die dahin, Verſpuͤrt man ferner auch, daß ſich, in unſerm Sinn, Aufs mindſte dann annoch ein Uberbleibſel findet, Wann das, was aus dem vorigen entſtanden, Mit dem vergangnen ſich in ſo weit noch verbindet, Daß, wenn das vorige nicht auf der Welt geweſen, Das, ſo ietzt wircklich da, nicht haͤtte ſeyn, Und nimmermehr entſtehen koͤnnen. Floͤſſt alſo, was nicht mehr, noch einen Einfluß ein Jn Sachen, die noch ietzt. Wann wir von etwas leſen, Wird man daſſelbe ja nicht gantz vergangen nennen. Daß alſo wircklich Buͤcher, Schriften, Wenn ſie von dem, was weg, annoch ein Denckmahl ſtifften; Auf eine Art, die wunderns wehrt, verwehren, Daß Dingen, die dahin, vollkoͤmmlich aufzuhoͤren Dennoch nicht moͤglich iſt. Welch eine Wunder-Gabe Das menſchliche Geſchlecht hiedurch empfangen habe Vom ewgen Weisheits-Born; wird, leider! nicht bedacht, Noch weniger dafuͤr der Gottheit Danck gebracht, Wie unſre Schuldigkeit. Jndem der Menſchen Geiſt Durch die Erfindung ja ſich dem Vergehn entreiſſt, Und auch auf dieſer Welt ſehr lange dauren kann. Von F f

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/481
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott, bestehend in Physicalisch- und Moralischen Gedichten. Bd. 4. 2. Aufl. Hamburg, 1735, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen04_1735/481>, abgerufen am 26.12.2024.