Wird nicht mehr Lieblichkeit und Würcklichkeit nur hegen; Nein, auch von länger Daur und seeliger noch seyn.
Du fährst vielleicht noch fort, und wirffst mir ferner ein: "Es könne sich ein Traum hierher durchaus nicht schicken, "Als der ein Gegen-Satz der Würcklichkeit ja sey: So nenn' es ein Gesicht, so nenn' es ein Entzücken, Genung, daß allenfalls die Träume mancherley. Die Würcklichkeit, die du so starck begehrest, Jst etwas ohnedem, das dir gantz unbekannt. Was du nicht greiffen kannst, nicht schmeckest, siehst noch hörest, Hält dein von Vor-Urtheil verfinsterter Verstand So gut, als wär' es nicht. Gerad, als könnten dich die Sinnen lehren, Gerad, als ob sie Richter wären Von wahrer Würcklichkeit: da doch die Seel allein, Von dem, was wesentlich, von einem wahren Seyn, Das, was man weiß, begreifft. Wie könnten Engel, Geister, Seelen, Als welchen ja die Sinne fehlen, Was würckliches empfinden und verstehn, Wenn sie die Würcklichkeit der Dinge, die geschehn, Nicht, als durch Sinnen nur, empfünden. Es würde, wenn sie sonst nicht fühlten und verstünden, Jhr' eigne Würcklichkeit, zusammt der Würcklichkeit Der Dinge, in-und nach der Zeit, Nach unserem Begriff, verschwinden.
Uns zeigt demnach ein Traum weit mehr, als man gedencket; Verdienet folglich auch, daß man Verstand und Witz Auf ihn ein wenig mehr, als man gewohnt ist, lencket, Dieweil ihr Wesen uns mehr, als man glaubet, nütz.
Es ist ein Traum geschickt uns zu entdecken,
Von
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Wird nicht mehr Lieblichkeit und Wuͤrcklichkeit nur hegen; Nein, auch von laͤnger Daur und ſeeliger noch ſeyn.
Du faͤhrſt vielleicht noch fort, und wirffſt mir ferner ein: „Es koͤnne ſich ein Traum hierher durchaus nicht ſchicken, „Als der ein Gegen-Satz der Wuͤrcklichkeit ja ſey: So nenn’ es ein Geſicht, ſo nenn’ es ein Entzuͤcken, Genung, daß allenfalls die Traͤume mancherley. Die Wuͤrcklichkeit, die du ſo ſtarck begehreſt, Jſt etwas ohnedem, das dir gantz unbekannt. Was du nicht greiffen kannſt, nicht ſchmeckeſt, ſiehſt noch hoͤreſt, Haͤlt dein von Vor-Urtheil verfinſterter Verſtand So gut, als waͤr’ es nicht. Gerad, als koͤnnten dich die Sinnen lehren, Gerad, als ob ſie Richter waͤren Von wahrer Wuͤrcklichkeit: da doch die Seel allein, Von dem, was weſentlich, von einem wahren Seyn, Das, was man weiß, begreifft. Wie koͤnnten Engel, Geiſter, Seelen, Als welchen ja die Sinne fehlen, Was wuͤrckliches empfinden und verſtehn, Wenn ſie die Wuͤrcklichkeit der Dinge, die geſchehn, Nicht, als durch Sinnen nur, empfuͤnden. Es wuͤrde, wenn ſie ſonſt nicht fuͤhlten und verſtuͤnden, Jhr’ eigne Wuͤrcklichkeit, zuſammt der Wuͤrcklichkeit Der Dinge, in-und nach der Zeit, Nach unſerem Begriff, verſchwinden.
Uns zeigt demnach ein Traum weit mehr, als man gedencket; Verdienet folglich auch, daß man Verſtand und Witz Auf ihn ein wenig mehr, als man gewohnt iſt, lencket, Dieweil ihr Weſen uns mehr, als man glaubet, nuͤtz.
Es iſt ein Traum geſchickt uns zu entdecken,
Von
U u 3
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[677/0707]
Wird nicht mehr Lieblichkeit und Wuͤrcklichkeit nur hegen;
Nein, auch von laͤnger Daur und ſeeliger noch ſeyn.
Du faͤhrſt vielleicht noch fort, und wirffſt mir ferner ein:
„Es koͤnne ſich ein Traum hierher durchaus nicht ſchicken,
„Als der ein Gegen-Satz der Wuͤrcklichkeit ja ſey:
So nenn’ es ein Geſicht, ſo nenn’ es ein Entzuͤcken,
Genung, daß allenfalls die Traͤume mancherley.
Die Wuͤrcklichkeit, die du ſo ſtarck begehreſt,
Jſt etwas ohnedem, das dir gantz unbekannt.
Was du nicht greiffen kannſt, nicht ſchmeckeſt, ſiehſt noch hoͤreſt,
Haͤlt dein von Vor-Urtheil verfinſterter Verſtand
So gut, als waͤr’ es nicht.
Gerad, als koͤnnten dich die Sinnen lehren,
Gerad, als ob ſie Richter waͤren
Von wahrer Wuͤrcklichkeit: da doch die Seel allein,
Von dem, was weſentlich, von einem wahren Seyn,
Das, was man weiß, begreifft.
Wie koͤnnten Engel, Geiſter, Seelen,
Als welchen ja die Sinne fehlen,
Was wuͤrckliches empfinden und verſtehn,
Wenn ſie die Wuͤrcklichkeit der Dinge, die geſchehn,
Nicht, als durch Sinnen nur, empfuͤnden.
Es wuͤrde, wenn ſie ſonſt nicht fuͤhlten und verſtuͤnden,
Jhr’ eigne Wuͤrcklichkeit, zuſammt der Wuͤrcklichkeit
Der Dinge, in-und nach der Zeit,
Nach unſerem Begriff, verſchwinden.
Uns zeigt demnach ein Traum weit mehr, als man gedencket;
Verdienet folglich auch, daß man Verſtand und Witz
Auf ihn ein wenig mehr, als man gewohnt iſt, lencket,
Dieweil ihr Weſen uns mehr, als man glaubet, nuͤtz.
Es iſt ein Traum geſchickt uns zu entdecken,
Von
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 677. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/707>, abgerufen am 16.02.2025.
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