Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.Von dem Sitz der Sinnlichkeiten. Jm Schwindel, in der Trunckenheit, Wie auch durch starcker Dünste Macht, Sind unsre Geister aufgebracht: Wodurch, wenn sie mit grosser Hefftigkeit Unordentlich durch unsre Nerven irren; Sie im Gehirn die Züg' und Spuren gantz verwirren. Die Bilder zittern sehr, sind doppelt, und verkehrt. Durch ihren Blick, der gantz verstohrt, Und durch ihr wild Geschrey, stellt die Bacchantin vor, Wie nebst den Sinnen sie auch die Vernunfft verlohr, Und Pentheus, der durch solche Wuth Erschrecket, umgejagt und an zu rasen finge, Sah' stolpernd lauter Wunder-Dinge Zwey Theben und zugleich auch zweyer Sonnen Gluht. Jn andern Sinnen auch, sowol als im Gesicht, Sieht man ein gleiches sich erregen, Wann ein zu starck gemischt, verwirretes Bewegen, Die Harmonie verwirrt und unterbricht. Die Seele kan sodann nicht ferner unterscheiden, Und aller Eindruck ist verwirrt, Ja offt geschichts, wenn sie muß solch Erschüttern leiden, Daß durch Bewegungen, die sie in Sinnen stifft, Der Druck zum Ziel nicht völlig trifft. Wann nun von dem, was ihre Ordnung stöhret, Jhr keines wiederfähret; Wird ein gesund Gehirn von innen, Durch tausend Gegenständ' erregt und eingenommen, Die alle durch verschiedne Sinnen An einen Ort zusammen kommen. Die
Von dem Sitz der Sinnlichkeiten. Jm Schwindel, in der Trunckenheit, Wie auch durch ſtarcker Duͤnſte Macht, Sind unſre Geiſter aufgebracht: Wodurch, wenn ſie mit groſſer Hefftigkeit Unordentlich durch unſre Nerven irren; Sie im Gehirn die Zuͤg’ und Spuren gantz verwirren. Die Bilder zittern ſehr, ſind doppelt, und verkehrt. Durch ihren Blick, der gantz verſtohrt, Und durch ihr wild Geſchrey, ſtellt die Bacchantin vor, Wie nebſt den Sinnen ſie auch die Vernunfft verlohr, Und Pentheus, der durch ſolche Wuth Erſchrecket, umgejagt und an zu raſen finge, Sah’ ſtolpernd lauter Wunder-Dinge Zwey Theben und zugleich auch zweyer Soñen Gluht. Jn andern Sinnen auch, ſowol als im Geſicht, Sieht man ein gleiches ſich erregen, Wann ein zu ſtarck gemiſcht, verwirretes Bewegen, Die Harmonie verwirrt und unterbricht. Die Seele kan ſodann nicht ferner unterſcheiden, Und aller Eindruck iſt verwirrt, Ja offt geſchichts, wenn ſie muß ſolch Erſchuͤttern leiden, Daß durch Bewegungen, die ſie in Sinnen ſtifft, Der Druck zum Ziel nicht voͤllig trifft. Wann nun von dem, was ihre Ordnung ſtoͤhret, Jhr keines wiederfaͤhret; Wird ein geſund Gehirn von innen, Durch tauſend Gegenſtaͤnd’ erregt und eingenommen, Die alle durch verſchiedne Sinnen An einen Ort zuſammen kommen. Die
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0539" n="509"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von dem Sitz der Sinnlichkeiten.</hi> </fw><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">J</hi>m Schwindel, in der Trunckenheit,</l><lb/> <l>Wie auch durch ſtarcker Duͤnſte Macht,</l><lb/> <l>Sind unſre Geiſter aufgebracht:</l><lb/> <l>Wodurch, wenn ſie mit groſſer Hefftigkeit</l><lb/> <l>Unordentlich durch unſre Nerven irren;</l><lb/> <l>Sie im Gehirn die Zuͤg’ und Spuren gantz verwirren.</l><lb/> <l>Die Bilder zittern ſehr, ſind doppelt, und verkehrt.</l><lb/> <l>Durch ihren Blick, der gantz verſtohrt,</l><lb/> <l>Und durch ihr wild Geſchrey, ſtellt die Bacchantin vor,</l><lb/> <l>Wie nebſt den Sinnen ſie auch die Vernunfft verlohr,</l><lb/> <l>Und Pentheus, der durch ſolche Wuth</l><lb/> <l>Erſchrecket, umgejagt und an zu raſen finge,</l><lb/> <l>Sah’ ſtolpernd lauter Wunder-Dinge</l><lb/> <l><hi rendition="#fr">Zwey Theben</hi> und zugleich auch <hi rendition="#fr">zweyer Soñen Gluht.</hi></l> </lg><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <lg type="poem"> <l><hi rendition="#in">J</hi>n andern Sinnen auch, ſowol als im Geſicht,</l><lb/> <l>Sieht man ein gleiches ſich erregen,</l><lb/> <l>Wann ein zu ſtarck gemiſcht, verwirretes Bewegen,</l><lb/> <l>Die Harmonie verwirrt und unterbricht.</l><lb/> <l>Die Seele kan ſodann nicht ferner unterſcheiden,</l><lb/> <l>Und aller Eindruck iſt verwirrt,</l><lb/> <l>Ja offt geſchichts, wenn ſie muß ſolch Erſchuͤttern leiden,</l><lb/> <l>Daß durch Bewegungen, die ſie in Sinnen ſtifft,</l><lb/> <l>Der Druck zum Ziel nicht voͤllig trifft.</l><lb/> <l>Wann nun von dem, was ihre Ordnung ſtoͤhret,</l><lb/> <l>Jhr keines wiederfaͤhret;</l><lb/> <l>Wird ein geſund Gehirn von innen,</l><lb/> <l>Durch tauſend Gegenſtaͤnd’ erregt und eingenommen,</l><lb/> <l>Die alle durch verſchiedne Sinnen</l><lb/> <l>An einen Ort zuſammen kommen.</l> </lg><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [509/0539]
Von dem Sitz der Sinnlichkeiten.
Jm Schwindel, in der Trunckenheit,
Wie auch durch ſtarcker Duͤnſte Macht,
Sind unſre Geiſter aufgebracht:
Wodurch, wenn ſie mit groſſer Hefftigkeit
Unordentlich durch unſre Nerven irren;
Sie im Gehirn die Zuͤg’ und Spuren gantz verwirren.
Die Bilder zittern ſehr, ſind doppelt, und verkehrt.
Durch ihren Blick, der gantz verſtohrt,
Und durch ihr wild Geſchrey, ſtellt die Bacchantin vor,
Wie nebſt den Sinnen ſie auch die Vernunfft verlohr,
Und Pentheus, der durch ſolche Wuth
Erſchrecket, umgejagt und an zu raſen finge,
Sah’ ſtolpernd lauter Wunder-Dinge
Zwey Theben und zugleich auch zweyer Soñen Gluht.
Jn andern Sinnen auch, ſowol als im Geſicht,
Sieht man ein gleiches ſich erregen,
Wann ein zu ſtarck gemiſcht, verwirretes Bewegen,
Die Harmonie verwirrt und unterbricht.
Die Seele kan ſodann nicht ferner unterſcheiden,
Und aller Eindruck iſt verwirrt,
Ja offt geſchichts, wenn ſie muß ſolch Erſchuͤttern leiden,
Daß durch Bewegungen, die ſie in Sinnen ſtifft,
Der Druck zum Ziel nicht voͤllig trifft.
Wann nun von dem, was ihre Ordnung ſtoͤhret,
Jhr keines wiederfaͤhret;
Wird ein geſund Gehirn von innen,
Durch tauſend Gegenſtaͤnd’ erregt und eingenommen,
Die alle durch verſchiedne Sinnen
An einen Ort zuſammen kommen.
Die
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |