Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Von dem Gesicht.


Entstehet nun in unsern Hirn ein Schein,
Ohn' daß von aussen uns was in die Augen fällt;
So werden Farben auch darinn erzeuget seyn,
Ohn' daß man sie am Cörper auswerts stellt.
Wann früh' am Horizont sich alles übergüldet,
Und durch der Sonnen Strahl sich färbet, gläntzt und bildet;
So dencke man nur frey,
Daß in den Gegenden, wie grün sie gleich, wie schön,
Dennoch der grüne Schmeltz, in welchen wir sie sehn,
Nicht anzutreffen sey.


Bemercken wir denn nicht, daß Wasser, welches rein,
Auch daß ein Stück Crystall, so man zum Drey-Eck macht,
Jn welchen keine Farben seyn,
Uns doch das Aug' erfreut, durch schöner Farben Pracht?
Man sey demnach bemüht in allen Sachen,
Doch zwischen dem Gefühl, und dem, was es erregt,
Stets einen Unterscheid zu machen!
Man muß nicht, wie man meistens pflegt,
Jn feuchte Lufft den bunten Bogen setzen,
Woran die Augen sich ergetzen.


Man kennt Gelehrte zwar, die anders dencken,
Die sich voll Eigensinn zum Pöbels Jrrthum lencken.
Jhr Vorurtheil formirt die falsche Schlüsse,
Daß, was ein Cörper würckt, er auch besitzen müsse.
Jst wol die Art und Weise, wie wir sehn,
Wie sie sie uns erklären, zu verstehn?
Sie
Von dem Geſicht.


Entſtehet nun in unſern Hirn ein Schein,
Ohn’ daß von auſſen uns was in die Augen faͤllt;
So werden Farben auch darinn erzeuget ſeyn,
Ohn’ daß man ſie am Coͤrper auswerts ſtellt.
Wann fruͤh’ am Horizont ſich alles uͤberguͤldet,
Und durch der Sonnen Strahl ſich faͤrbet, glaͤntzt und bildet;
So dencke man nur frey,
Daß in den Gegenden, wie gruͤn ſie gleich, wie ſchoͤn,
Dennoch der gruͤne Schmeltz, in welchen wir ſie ſehn,
Nicht anzutreffen ſey.


Bemercken wir denn nicht, daß Waſſer, welches rein,
Auch daß ein Stuͤck Cryſtall, ſo man zum Drey-Eck macht,
Jn welchen keine Farben ſeyn,
Uns doch das Aug’ erfreut, durch ſchoͤner Farben Pracht?
Man ſey demnach bemuͤht in allen Sachen,
Doch zwiſchen dem Gefuͤhl, und dem, was es erregt,
Stets einen Unterſcheid zu machen!
Man muß nicht, wie man meiſtens pflegt,
Jn feuchte Lufft den bunten Bogen ſetzen,
Woran die Augen ſich ergetzen.


Man kennt Gelehrte zwar, die anders dencken,
Die ſich voll Eigenſinn zum Poͤbels Jrrthum lencken.
Jhr Vorurtheil formirt die falſche Schluͤſſe,
Daß, was ein Coͤrper wuͤrckt, er auch beſitzen muͤſſe.
Jſt wol die Art und Weiſe, wie wir ſehn,
Wie ſie ſie uns erklaͤren, zu verſtehn?
Sie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0489" n="459"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Von dem Ge&#x017F;icht.</hi> </fw><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">E</hi>nt&#x017F;tehet nun in un&#x017F;ern Hirn ein Schein,</l><lb/>
                <l>Ohn&#x2019; daß von au&#x017F;&#x017F;en uns was in die Augen fa&#x0364;llt;</l><lb/>
                <l>So werden Farben auch darinn erzeuget &#x017F;eyn,</l><lb/>
                <l>Ohn&#x2019; daß man &#x017F;ie am Co&#x0364;rper auswerts &#x017F;tellt.</l><lb/>
                <l>Wann fru&#x0364;h&#x2019; am Horizont &#x017F;ich alles u&#x0364;bergu&#x0364;ldet,</l><lb/>
                <l>Und durch der Sonnen Strahl &#x017F;ich fa&#x0364;rbet, gla&#x0364;ntzt und bildet;</l><lb/>
                <l>So dencke man nur frey,</l><lb/>
                <l>Daß in den Gegenden, wie gru&#x0364;n &#x017F;ie gleich, wie &#x017F;cho&#x0364;n,</l><lb/>
                <l>Dennoch der gru&#x0364;ne Schmeltz, in welchen wir &#x017F;ie &#x017F;ehn,</l><lb/>
                <l>Nicht anzutreffen &#x017F;ey.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">B</hi>emercken wir denn nicht, daß Wa&#x017F;&#x017F;er, welches rein,</l><lb/>
                <l>Auch daß ein Stu&#x0364;ck Cry&#x017F;tall, &#x017F;o man zum Drey-Eck macht,</l><lb/>
                <l>Jn welchen keine Farben &#x017F;eyn,</l><lb/>
                <l>Uns doch das Aug&#x2019; erfreut, durch &#x017F;cho&#x0364;ner Farben Pracht?</l><lb/>
                <l>Man &#x017F;ey demnach bemu&#x0364;ht in allen Sachen,</l><lb/>
                <l>Doch zwi&#x017F;chen dem Gefu&#x0364;hl, und dem, was es erregt,</l><lb/>
                <l>Stets einen Unter&#x017F;cheid zu machen!</l><lb/>
                <l>Man muß nicht, wie man mei&#x017F;tens pflegt,</l><lb/>
                <l>Jn feuchte Lufft den bunten Bogen &#x017F;etzen,</l><lb/>
                <l>Woran die Augen &#x017F;ich ergetzen.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">M</hi>an kennt Gelehrte zwar, die anders dencken,</l><lb/>
                <l>Die &#x017F;ich voll Eigen&#x017F;inn zum Po&#x0364;bels Jrrthum lencken.</l><lb/>
                <l>Jhr Vorurtheil formirt die fal&#x017F;che Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,</l><lb/>
                <l>Daß, was ein Co&#x0364;rper wu&#x0364;rckt, er auch be&#x017F;itzen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</l><lb/>
                <l>J&#x017F;t wol die Art und Wei&#x017F;e, wie wir &#x017F;ehn,</l><lb/>
                <l>Wie &#x017F;ie &#x017F;ie uns erkla&#x0364;ren, zu ver&#x017F;tehn?</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Sie</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[459/0489] Von dem Geſicht. Entſtehet nun in unſern Hirn ein Schein, Ohn’ daß von auſſen uns was in die Augen faͤllt; So werden Farben auch darinn erzeuget ſeyn, Ohn’ daß man ſie am Coͤrper auswerts ſtellt. Wann fruͤh’ am Horizont ſich alles uͤberguͤldet, Und durch der Sonnen Strahl ſich faͤrbet, glaͤntzt und bildet; So dencke man nur frey, Daß in den Gegenden, wie gruͤn ſie gleich, wie ſchoͤn, Dennoch der gruͤne Schmeltz, in welchen wir ſie ſehn, Nicht anzutreffen ſey. Bemercken wir denn nicht, daß Waſſer, welches rein, Auch daß ein Stuͤck Cryſtall, ſo man zum Drey-Eck macht, Jn welchen keine Farben ſeyn, Uns doch das Aug’ erfreut, durch ſchoͤner Farben Pracht? Man ſey demnach bemuͤht in allen Sachen, Doch zwiſchen dem Gefuͤhl, und dem, was es erregt, Stets einen Unterſcheid zu machen! Man muß nicht, wie man meiſtens pflegt, Jn feuchte Lufft den bunten Bogen ſetzen, Woran die Augen ſich ergetzen. Man kennt Gelehrte zwar, die anders dencken, Die ſich voll Eigenſinn zum Poͤbels Jrrthum lencken. Jhr Vorurtheil formirt die falſche Schluͤſſe, Daß, was ein Coͤrper wuͤrckt, er auch beſitzen muͤſſe. Jſt wol die Art und Weiſe, wie wir ſehn, Wie ſie ſie uns erklaͤren, zu verſtehn? Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/489
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/489>, abgerufen am 26.06.2024.