Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite
Vom Gehör.
Was wird für Lust (wenn es die Ohren trifft,)
Durch abgemessenen Zusammenklang,
Durch Abstand und Zusammenhang
Jn Seelen, die harmonisch, nicht gestifft?
Wenn sonderlich ein Hendel moduliret
Und seine Töne moderiret,
Jn lieblichen Gesängen, die man hört,
Ja immer mehr die Wunder noch vermehrt,
Und uns fast glauben macht,
Ob nicht ein holder Geist den Klang vom Himmel bracht.


Doch mitten in der schönsten Melodey,
Die mächtig, uns die Sinnen zu entführen,
Kan dieses uns am kräfftigsten probiren,
Daß unsre Seele doch allein nur Meister sey.
Sie kan sich selbst von der Betrachtung lencken,
Sie kan auf etwas anders dencken.
Durch eben den Gesang, der durch die Munterkeit
Auch Lust und Munterkeit in ihr erregt,
Wird sie zur anderen, auf andre Art bewegt.
Der Ton, der einmal uns gefiel, kan uns mißfallen.
Lässt eine Frau, lässt eine Mutter Klagen
Bey des Geliebten Sarg erschallen;
So mehrt die frölichste Music derselben Plagen:
Sodann kan nichts als Schluchzen, Seuffzen, Heulen
Derselben Trost ertheilen.


Um uns noch mehr zu überführen,
Es könne nicht das Werckzeug seyn,
Und es sey bloß der Geist allein
Geschickt und mächtig uns zu rührrn.
Wenn
Vom Gehoͤr.
Was wird fuͤr Luſt (wenn es die Ohren trifft,)
Durch abgemeſſenen Zuſammenklang,
Durch Abſtand und Zuſammenhang
Jn Seelen, die harmoniſch, nicht geſtifft?
Wenn ſonderlich ein Hendel moduliret
Und ſeine Toͤne moderiret,
Jn lieblichen Geſaͤngen, die man hoͤrt,
Ja immer mehr die Wunder noch vermehrt,
Und uns faſt glauben macht,
Ob nicht ein holder Geiſt den Klang vom Himmel bracht.


Doch mitten in der ſchoͤnſten Melodey,
Die maͤchtig, uns die Sinnen zu entfuͤhren,
Kan dieſes uns am kraͤfftigſten probiren,
Daß unſre Seele doch allein nur Meiſter ſey.
Sie kan ſich ſelbſt von der Betrachtung lencken,
Sie kan auf etwas anders dencken.
Durch eben den Geſang, der durch die Munterkeit
Auch Luſt und Munterkeit in ihr erregt,
Wird ſie zur anderen, auf andre Art bewegt.
Der Ton, der einmal uns gefiel, kan uns mißfallen.
Laͤſſt eine Frau, laͤſſt eine Mutter Klagen
Bey des Geliebten Sarg erſchallen;
So mehrt die froͤlichſte Muſic derſelben Plagen:
Sodann kan nichts als Schluchzen, Seuffzen, Heulen
Derſelben Troſt ertheilen.


Um uns noch mehr zu uͤberfuͤhren,
Es koͤnne nicht das Werckzeug ſeyn,
Und es ſey bloß der Geiſt allein
Geſchickt und maͤchtig uns zu ruͤhrrn.
Wenn
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <div n="2">
            <div n="3">
              <pb facs="#f0475" n="445"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vom Geho&#x0364;r.</hi> </fw><lb/>
              <lg type="poem">
                <l>Was wird fu&#x0364;r Lu&#x017F;t (wenn es die Ohren trifft,)</l><lb/>
                <l>Durch abgeme&#x017F;&#x017F;enen Zu&#x017F;ammenklang,</l><lb/>
                <l>Durch Ab&#x017F;tand und Zu&#x017F;ammenhang</l><lb/>
                <l>Jn Seelen, die harmoni&#x017F;ch, nicht ge&#x017F;tifft?</l><lb/>
                <l>Wenn &#x017F;onderlich ein <hi rendition="#fr">Hendel</hi> moduliret</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;eine To&#x0364;ne moderiret,</l><lb/>
                <l>Jn lieblichen Ge&#x017F;a&#x0364;ngen, die man ho&#x0364;rt,</l><lb/>
                <l>Ja immer mehr die Wunder noch vermehrt,</l><lb/>
                <l>Und uns fa&#x017F;t glauben macht,</l><lb/>
                <l>Ob nicht ein holder Gei&#x017F;t den Klang vom Himmel bracht.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">D</hi>och mitten in der &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Melodey,</l><lb/>
                <l>Die ma&#x0364;chtig, uns die Sinnen zu entfu&#x0364;hren,</l><lb/>
                <l>Kan die&#x017F;es uns am kra&#x0364;fftig&#x017F;ten probiren,</l><lb/>
                <l>Daß un&#x017F;re Seele doch allein nur Mei&#x017F;ter &#x017F;ey.</l><lb/>
                <l>Sie kan &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t von der Betrachtung lencken,</l><lb/>
                <l>Sie kan auf etwas anders dencken.</l><lb/>
                <l>Durch eben den Ge&#x017F;ang, der durch die Munterkeit</l><lb/>
                <l>Auch Lu&#x017F;t und Munterkeit in ihr erregt,</l><lb/>
                <l>Wird &#x017F;ie zur anderen, auf andre Art bewegt.</l><lb/>
                <l>Der Ton, der einmal uns gefiel, kan uns mißfallen.</l><lb/>
                <l>La&#x0364;&#x017F;&#x017F;t eine Frau, la&#x0364;&#x017F;&#x017F;t eine Mutter Klagen</l><lb/>
                <l>Bey des Geliebten Sarg er&#x017F;challen;</l><lb/>
                <l>So mehrt die fro&#x0364;lich&#x017F;te Mu&#x017F;ic der&#x017F;elben Plagen:</l><lb/>
                <l>Sodann kan nichts als Schluchzen, Seuffzen, Heulen</l><lb/>
                <l>Der&#x017F;elben Tro&#x017F;t ertheilen.</l>
              </lg><lb/>
              <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
              <lg type="poem">
                <l><hi rendition="#in">U</hi>m uns noch mehr zu u&#x0364;berfu&#x0364;hren,</l><lb/>
                <l>Es ko&#x0364;nne nicht das Werckzeug &#x017F;eyn,</l><lb/>
                <l>Und es &#x017F;ey bloß der Gei&#x017F;t allein</l><lb/>
                <l>Ge&#x017F;chickt und ma&#x0364;chtig uns zu ru&#x0364;hrrn.</l>
              </lg><lb/>
              <fw place="bottom" type="catch">Wenn</fw><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[445/0475] Vom Gehoͤr. Was wird fuͤr Luſt (wenn es die Ohren trifft,) Durch abgemeſſenen Zuſammenklang, Durch Abſtand und Zuſammenhang Jn Seelen, die harmoniſch, nicht geſtifft? Wenn ſonderlich ein Hendel moduliret Und ſeine Toͤne moderiret, Jn lieblichen Geſaͤngen, die man hoͤrt, Ja immer mehr die Wunder noch vermehrt, Und uns faſt glauben macht, Ob nicht ein holder Geiſt den Klang vom Himmel bracht. Doch mitten in der ſchoͤnſten Melodey, Die maͤchtig, uns die Sinnen zu entfuͤhren, Kan dieſes uns am kraͤfftigſten probiren, Daß unſre Seele doch allein nur Meiſter ſey. Sie kan ſich ſelbſt von der Betrachtung lencken, Sie kan auf etwas anders dencken. Durch eben den Geſang, der durch die Munterkeit Auch Luſt und Munterkeit in ihr erregt, Wird ſie zur anderen, auf andre Art bewegt. Der Ton, der einmal uns gefiel, kan uns mißfallen. Laͤſſt eine Frau, laͤſſt eine Mutter Klagen Bey des Geliebten Sarg erſchallen; So mehrt die froͤlichſte Muſic derſelben Plagen: Sodann kan nichts als Schluchzen, Seuffzen, Heulen Derſelben Troſt ertheilen. Um uns noch mehr zu uͤberfuͤhren, Es koͤnne nicht das Werckzeug ſeyn, Und es ſey bloß der Geiſt allein Geſchickt und maͤchtig uns zu ruͤhrrn. Wenn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/475
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 445. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/475>, abgerufen am 25.05.2024.