Wohin nun werden uns doch die Gedancken führen? Jn welch unendlich klein' Und zarte Theile kan von uns zertheilet seyn Ein Cörpergen, das nicht einmal zu spüren! Man trifft ein kleines Thier, ein Sonnen-Stäubgen an, Das ein Vergrößrungs-Glas kaum sichtbar machen kan, Viel tausend tausendmal so klein Als wie die kleinsten Mülben seyn; Und dennoch spüren wir An ihm, daß es ein würcklich Thier. Was hat für eine Kunst die deutliche Figur Formiret und hervorgebracht? Durch welches Werckzeug, welche Krafft, Wird ihm, zu seinem Nahrungs-Safft, Die Nahrung doch geschickt gemacht? Und welche Geisterchen sind es, die stetig eilen, Und die sich in der Augen Nerv'gen rühren? Jndessen könnten doch von allen diesen Theilen Der Feuchtigkeit, woraus die Geister sich formiren, Ob sie gleich noch so klein, Die Theil ohn Unterlaß aufs neu verkleinert seyn. O Wunder der Natur! das wahr, gewiß und fest, Ob es sich gleich nicht recht begreiffen lässt.
Will ein entflammter Geist sich aus der Welt erhöhen; So wird er alsobald in einer tieffen See, Woselbst kein Grund, kein Strand, verwirret untergehen: Unmöglich findet er ein Ziel in dieser Höh'.
Wenn
Von den Eigenſchafften der Materie.
Wohin nun werden uns doch die Gedancken fuͤhren? Jn welch unendlich klein’ Und zarte Theile kan von uns zertheilet ſeyn Ein Coͤrpergen, das nicht einmal zu ſpuͤren! Man trifft ein kleines Thier, ein Sonnen-Staͤubgen an, Das ein Vergroͤßrungs-Glas kaum ſichtbar machen kan, Viel tauſend tauſendmal ſo klein Als wie die kleinſten Muͤlben ſeyn; Und dennoch ſpuͤren wir An ihm, daß es ein wuͤrcklich Thier. Was hat fuͤr eine Kunſt die deutliche Figur Formiret und hervorgebracht? Durch welches Werckzeug, welche Krafft, Wird ihm, zu ſeinem Nahrungs-Safft, Die Nahrung doch geſchickt gemacht? Und welche Geiſterchen ſind es, die ſtetig eilen, Und die ſich in der Augen Nerv’gen ruͤhren? Jndeſſen koͤnnten doch von allen dieſen Theilen Der Feuchtigkeit, woraus die Geiſter ſich formiren, Ob ſie gleich noch ſo klein, Die Theil ohn Unterlaß aufs neu verkleinert ſeyn. O Wunder der Natur! das wahr, gewiß und feſt, Ob es ſich gleich nicht recht begreiffen laͤſſt.
Will ein entflammter Geiſt ſich aus der Welt erhoͤhen; So wird er alſobald in einer tieffen See, Woſelbſt kein Grund, kein Strand, verwirret untergehen: Unmoͤglich findet er ein Ziel in dieſer Hoͤh’.
Wenn
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Von den Eigenſchafften der Materie.
Wohin nun werden uns doch die Gedancken fuͤhren?
Jn welch unendlich klein’
Und zarte Theile kan von uns zertheilet ſeyn
Ein Coͤrpergen, das nicht einmal zu ſpuͤren!
Man trifft ein kleines Thier, ein Sonnen-Staͤubgen an,
Das ein Vergroͤßrungs-Glas kaum ſichtbar machen kan,
Viel tauſend tauſendmal ſo klein
Als wie die kleinſten Muͤlben ſeyn;
Und dennoch ſpuͤren wir
An ihm, daß es ein wuͤrcklich Thier.
Was hat fuͤr eine Kunſt die deutliche Figur
Formiret und hervorgebracht?
Durch welches Werckzeug, welche Krafft,
Wird ihm, zu ſeinem Nahrungs-Safft,
Die Nahrung doch geſchickt gemacht?
Und welche Geiſterchen ſind es, die ſtetig eilen,
Und die ſich in der Augen Nerv’gen ruͤhren?
Jndeſſen koͤnnten doch von allen dieſen Theilen
Der Feuchtigkeit, woraus die Geiſter ſich formiren,
Ob ſie gleich noch ſo klein,
Die Theil ohn Unterlaß aufs neu verkleinert ſeyn.
O Wunder der Natur! das wahr, gewiß und feſt,
Ob es ſich gleich nicht recht begreiffen laͤſſt.
Will ein entflammter Geiſt ſich aus der Welt erhoͤhen;
So wird er alſobald in einer tieffen See,
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/123>, abgerufen am 27.07.2024.
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