Der Stoff verheelet sich den allerschärffsten Augen, Den Klumpen hüllet stets ein Schleyer ein; Und nur die äuss're Fläch allein, Kan unser Sinn zu fassen taugen. Die Kräffte dauren stets, die flüchtige Figur Verändert sich, verdirbet nur. Ja könnte sich der Stoff, von allen flücht'gen Decken, Jn eine nach der anderen verstecken, So, daß, durch stetiges Verändern und Verkehren, Der Aend'rung Arten all erschöpffet wären; So würd' er sich aufs neu zur ersten Art bequemen, Um die Veränderung noch einmal vorzunehmen.
Man hat auch bey der alten Welt Jhn unter Proteus Bild uns vorgestellt: Von welchem die Poeten viel gesungen, Daß er beständige Gestallten Nie habe lange Zeit behalten, Wol aber aus den Banden, die ihn drungen, Sich selbst befreyt und weggeschwungen. Bald breitet er sich aus im Fluß, wird eine Fluht; Bald wird er zur verzehrnden Gluht; Bald zischt er in| der Lufft, ergrimmten Schlangen gleich; Bald ist er hart Metall; bald in den Pflanzen weich; Bis daß er wiederum, erschöpfft von Aenderung, Jn seiner ersten Form gantz fertig und geneiget Zu abermahliger Verwandelung, Sich unsern Augen wieder zeiget.
Man
Betrachtungen der Materie ꝛc.
Der Stoff verheelet ſich den allerſchaͤrffſten Augen, Den Klumpen huͤllet ſtets ein Schleyer ein; Und nur die aͤuſſ’re Flaͤch allein, Kan unſer Sinn zu faſſen taugen. Die Kraͤffte dauren ſtets, die fluͤchtige Figur Veraͤndert ſich, verdirbet nur. Ja koͤnnte ſich der Stoff, von allen fluͤcht’gen Decken, Jn eine nach der anderen verſtecken, So, daß, durch ſtetiges Veraͤndern und Verkehren, Der Aend’rung Arten all erſchoͤpffet waͤren; So wuͤrd’ er ſich aufs neu zur erſten Art bequemen, Um die Veraͤnderung noch einmal vorzunehmen.
Man hat auch bey der alten Welt Jhn unter Proteus Bild uns vorgeſtellt: Von welchem die Poeten viel geſungen, Daß er beſtaͤndige Geſtallten Nie habe lange Zeit behalten, Wol aber aus den Banden, die ihn drungen, Sich ſelbſt befreyt und weggeſchwungen. Bald breitet er ſich aus im Fluß, wird eine Fluht; Bald wird er zur verzehrnden Gluht; Bald ziſcht er in| der Lufft, ergrimmten Schlangen gleich; Bald iſt er hart Metall; bald in den Pflanzen weich; Bis daß er wiederum, erſchoͤpfft von Aenderung, Jn ſeiner erſten Form gantz fertig und geneiget Zu abermahliger Verwandelung, Sich unſern Augen wieder zeiget.
Man
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Betrachtungen der Materie ꝛc.
Der Stoff verheelet ſich den allerſchaͤrffſten Augen,
Den Klumpen huͤllet ſtets ein Schleyer ein;
Und nur die aͤuſſ’re Flaͤch allein,
Kan unſer Sinn zu faſſen taugen.
Die Kraͤffte dauren ſtets, die fluͤchtige Figur
Veraͤndert ſich, verdirbet nur.
Ja koͤnnte ſich der Stoff, von allen fluͤcht’gen Decken,
Jn eine nach der anderen verſtecken,
So, daß, durch ſtetiges Veraͤndern und Verkehren,
Der Aend’rung Arten all erſchoͤpffet waͤren;
So wuͤrd’ er ſich aufs neu zur erſten Art bequemen,
Um die Veraͤnderung noch einmal vorzunehmen.
Man hat auch bey der alten Welt
Jhn unter Proteus Bild uns vorgeſtellt:
Von welchem die Poeten viel geſungen,
Daß er beſtaͤndige Geſtallten
Nie habe lange Zeit behalten,
Wol aber aus den Banden, die ihn drungen,
Sich ſelbſt befreyt und weggeſchwungen.
Bald breitet er ſich aus im Fluß, wird eine Fluht;
Bald wird er zur verzehrnden Gluht;
Bald ziſcht er in| der Lufft, ergrimmten Schlangen gleich;
Bald iſt er hart Metall; bald in den Pflanzen weich;
Bis daß er wiederum, erſchoͤpfft von Aenderung,
Jn ſeiner erſten Form gantz fertig und geneiget
Zu abermahliger Verwandelung,
Sich unſern Augen wieder zeiget.
Man
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Brockes, Barthold Heinrich: Herrn B. H. Brockes, [...] verdeutschte Grund-Sätze der Welt-Weisheit, des Herrn Abts Genest. Bd. 3. 2. Aufl. Hamburg, 1730, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen03_1730/105>, abgerufen am 17.02.2025.
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