Jst der Zusammenhalt der Dinge, Wodurch ich an der Erde fest, Und wären sie auch noch so sehr mein eigen! Wie schnell, was irdisch, mich verlässt; Kann jeder Augenblick mir zeigen. Allein Bey diesem Kummer fiel mir etwas anders ein: Jch schliesse ja die Augen-Lieder Nicht stetig zu, ich öffne sie auch wieder. Will ich denn bloß an eines denken? Will ich denn bloß allein den Sinn Auf das, so mir verdrießlich scheinet, lenken? Warum erweg' ich nicht, Daß alles das, was meiner Augen Schluß Mir raubt, die Oeffnung mir ja wieder geben muß? Es überkommt ja mein Gesicht, Jndem sichs schliesset, neue Stärke. Erweg' es, liebster Mensch, und schau des Schöpfers Werke, Mit neuer Fröhlichkeit, bey jeder Oeffnung an!
Je mehr ich in der Augen Schluß Und ihren Oeffnungen erwege Die Ordnung der Natur; Je mehr ich es bewundern muß: Denn da der Menschen Lebens-Zeit Ohn' all' Empfindlichkeit Ganz unvermerkt von hinnen eilet; So scheinet es, daß jeder Augenblick Recht ordentlich dieselbe teilet, Und so zu sagen uns ein wahres Stück
Von
Jſt der Zuſammenhalt der Dinge, Wodurch ich an der Erde feſt, Und waͤren ſie auch noch ſo ſehr mein eigen! Wie ſchnell, was irdiſch, mich verlaͤſſt; Kann jeder Augenblick mir zeigen. Allein Bey dieſem Kummer fiel mir etwas anders ein: Jch ſchlieſſe ja die Augen-Lieder Nicht ſtetig zu, ich oͤffne ſie auch wieder. Will ich denn bloß an eines denken? Will ich denn bloß allein den Sinn Auf das, ſo mir verdrießlich ſcheinet, lenken? Warum erweg’ ich nicht, Daß alles das, was meiner Augen Schluß Mir raubt, die Oeffnung mir ja wieder geben muß? Es uͤberkommt ja mein Geſicht, Jndem ſichs ſchlieſſet, neue Staͤrke. Erweg’ es, liebſter Menſch, und ſchau des Schoͤpfers Werke, Mit neuer Froͤhlichkeit, bey jeder Oeffnung an!
Je mehr ich in der Augen Schluß Und ihren Oeffnungen erwege Die Ordnung der Natur; Je mehr ich es bewundern muß: Denn da der Menſchen Lebens-Zeit Ohn’ all’ Empfindlichkeit Ganz unvermerkt von hinnen eilet; So ſcheinet es, daß jeder Augenblick Recht ordentlich dieſelbe teilet, Und ſo zu ſagen uns ein wahres Stuͤck
Von
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Jſt der Zuſammenhalt der Dinge,</l><lb/><l>Wodurch ich an der Erde feſt,</l><lb/><l>Und waͤren ſie auch noch ſo ſehr mein eigen!</l><lb/><l>Wie ſchnell, was irdiſch, mich verlaͤſſt;</l><lb/><l>Kann jeder Augenblick mir zeigen.</l><lb/><l>Allein</l><lb/><l>Bey dieſem Kummer fiel mir etwas anders ein:</l><lb/><l>Jch ſchlieſſe ja die Augen-Lieder</l><lb/><l>Nicht ſtetig zu, ich oͤffne ſie auch wieder.</l><lb/><l>Will ich denn bloß an eines denken?</l><lb/><l>Will ich denn bloß allein den Sinn</l><lb/><l>Auf das, ſo mir verdrießlich ſcheinet, lenken?</l><lb/><l>Warum erweg’ ich nicht,</l><lb/><l>Daß alles das, was meiner Augen Schluß</l><lb/><l>Mir raubt, die Oeffnung mir ja wieder geben muß?</l><lb/><l>Es uͤberkommt ja mein Geſicht,</l><lb/><l>Jndem ſichs ſchlieſſet, neue Staͤrke.</l><lb/><l>Erweg’ es, liebſter Menſch, und ſchau des Schoͤpfers Werke,</l><lb/><l>Mit neuer Froͤhlichkeit, bey jeder Oeffnung an!</l></lg><lb/><lgn="102"><l>Je mehr ich in der Augen Schluß</l><lb/><l>Und ihren Oeffnungen erwege</l><lb/><l>Die Ordnung der Natur;</l><lb/><l>Je mehr ich es bewundern muß:</l><lb/><l>Denn da der Menſchen Lebens-Zeit</l><lb/><l>Ohn’ all’ Empfindlichkeit</l><lb/><l>Ganz unvermerkt von hinnen eilet;</l><lb/><l>So ſcheinet es, daß jeder Augenblick</l><lb/><l>Recht ordentlich dieſelbe teilet,</l><lb/><l>Und ſo zu ſagen uns ein wahres Stuͤck</l><lb/><l><fwplace="bottom"type="catch">Von</fw><lb/></l></lg></div></div></body></text></TEI>
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Jſt der Zuſammenhalt der Dinge,
Wodurch ich an der Erde feſt,
Und waͤren ſie auch noch ſo ſehr mein eigen!
Wie ſchnell, was irdiſch, mich verlaͤſſt;
Kann jeder Augenblick mir zeigen.
Allein
Bey dieſem Kummer fiel mir etwas anders ein:
Jch ſchlieſſe ja die Augen-Lieder
Nicht ſtetig zu, ich oͤffne ſie auch wieder.
Will ich denn bloß an eines denken?
Will ich denn bloß allein den Sinn
Auf das, ſo mir verdrießlich ſcheinet, lenken?
Warum erweg’ ich nicht,
Daß alles das, was meiner Augen Schluß
Mir raubt, die Oeffnung mir ja wieder geben muß?
Es uͤberkommt ja mein Geſicht,
Jndem ſichs ſchlieſſet, neue Staͤrke.
Erweg’ es, liebſter Menſch, und ſchau des Schoͤpfers Werke,
Mit neuer Froͤhlichkeit, bey jeder Oeffnung an!
Je mehr ich in der Augen Schluß
Und ihren Oeffnungen erwege
Die Ordnung der Natur;
Je mehr ich es bewundern muß:
Denn da der Menſchen Lebens-Zeit
Ohn’ all’ Empfindlichkeit
Ganz unvermerkt von hinnen eilet;
So ſcheinet es, daß jeder Augenblick
Recht ordentlich dieſelbe teilet,
Und ſo zu ſagen uns ein wahres Stuͤck
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/431>, abgerufen am 25.11.2024.
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