Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727.

Bild:
<< vorherige Seite
90.
Doch kann man durchs Ohr die Selen
Reizen, ärgern und erfreu'n,
Trösten, und empfindlich qvälen:
Ja der rege Ton allein
Zwingt, verschlimmert und verbessert,
Nährt, verkleinert und vergrössert,
Schärft und dämpft die Leidenschaft,
Mehrt und mindert ihre Kraft.
91.
So wie dieser Cörper jenen
Oefters hemmet, oft beweg't,
Also wirkt ein künstlichs Tönen,
Daß sichs Blut bald reg't, bald leg't.
Durch ein schnell und heftigs Klingen
Wird man es in Wallung bringen,
Und durch einen sanften Klang
Wieder in den vor'gen Gang.
92.
Alexander greift zum Degen
Durch ein krieg'risches Getön,
Da durch sanfte Tön' hingegen
Saul so Wut als Zorn vergehn.
Welch ein angenemes sehnen
Wirkt das Singen einer Schönen
Dem, den ihre Schönheit rührt,
Wo ein and'rer nichts von spür't?
93. Gan-
90.
Doch kann man durchs Ohr die Selen
Reizen, aͤrgern und erfreu’n,
Troͤſten, und empfindlich qvaͤlen:
Ja der rege Ton allein
Zwingt, verſchlimmert und verbeſſert,
Naͤhrt, verkleinert und vergroͤſſert,
Schaͤrft und daͤmpft die Leidenſchaft,
Mehrt und mindert ihre Kraft.
91.
So wie dieſer Coͤrper jenen
Oefters hemmet, oft beweg’t,
Alſo wirkt ein kuͤnſtlichs Toͤnen,
Daß ſichs Blut bald reg’t, bald leg’t.
Durch ein ſchnell und heftigs Klingen
Wird man es in Wallung bringen,
Und durch einen ſanften Klang
Wieder in den vor’gen Gang.
92.
Alexander greift zum Degen
Durch ein krieg’riſches Getoͤn,
Da durch ſanfte Toͤn’ hingegen
Saul ſo Wut als Zorn vergehn.
Welch ein angenemes ſehnen
Wirkt das Singen einer Schoͤnen
Dem, den ihre Schoͤnheit ruͤhrt,
Wo ein and’rer nichts von ſpuͤr’t?
93. Gan-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0352" n="316"/>
            <lg n="223">
              <head>90.</head><lb/>
              <l>Doch kann man durchs Ohr die Selen</l><lb/>
              <l>Reizen, a&#x0364;rgern und erfreu&#x2019;n,</l><lb/>
              <l>Tro&#x0364;&#x017F;ten, und empfindlich qva&#x0364;len:</l><lb/>
              <l>Ja der rege Ton allein</l><lb/>
              <l>Zwingt, ver&#x017F;chlimmert und verbe&#x017F;&#x017F;ert,</l><lb/>
              <l>Na&#x0364;hrt, verkleinert und vergro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ert,</l><lb/>
              <l>Scha&#x0364;rft und da&#x0364;mpft die Leiden&#x017F;chaft,</l><lb/>
              <l>Mehrt und mindert ihre Kraft.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="224">
              <head>91.</head><lb/>
              <l>So wie die&#x017F;er Co&#x0364;rper jenen</l><lb/>
              <l>Oefters hemmet, oft beweg&#x2019;t,</l><lb/>
              <l>Al&#x017F;o wirkt ein ku&#x0364;n&#x017F;tlichs To&#x0364;nen,</l><lb/>
              <l>Daß &#x017F;ichs Blut bald reg&#x2019;t, bald leg&#x2019;t.</l><lb/>
              <l>Durch ein &#x017F;chnell und heftigs Klingen</l><lb/>
              <l>Wird man es in Wallung bringen,</l><lb/>
              <l>Und durch einen &#x017F;anften Klang</l><lb/>
              <l>Wieder in den vor&#x2019;gen Gang.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="225">
              <head>92.</head><lb/>
              <l>Alexander greift zum Degen</l><lb/>
              <l>Durch ein krieg&#x2019;ri&#x017F;ches Geto&#x0364;n,</l><lb/>
              <l>Da durch &#x017F;anfte To&#x0364;n&#x2019; hingegen</l><lb/>
              <l>Saul &#x017F;o Wut als Zorn vergehn.</l><lb/>
              <l>Welch ein angenemes &#x017F;ehnen</l><lb/>
              <l>Wirkt das Singen einer Scho&#x0364;nen</l><lb/>
              <l>Dem, den ihre Scho&#x0364;nheit ru&#x0364;hrt,</l><lb/>
              <l>Wo ein and&#x2019;rer nichts von &#x017F;pu&#x0364;r&#x2019;t?</l>
            </lg><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">93. Gan-</fw><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[316/0352] 90. Doch kann man durchs Ohr die Selen Reizen, aͤrgern und erfreu’n, Troͤſten, und empfindlich qvaͤlen: Ja der rege Ton allein Zwingt, verſchlimmert und verbeſſert, Naͤhrt, verkleinert und vergroͤſſert, Schaͤrft und daͤmpft die Leidenſchaft, Mehrt und mindert ihre Kraft. 91. So wie dieſer Coͤrper jenen Oefters hemmet, oft beweg’t, Alſo wirkt ein kuͤnſtlichs Toͤnen, Daß ſichs Blut bald reg’t, bald leg’t. Durch ein ſchnell und heftigs Klingen Wird man es in Wallung bringen, Und durch einen ſanften Klang Wieder in den vor’gen Gang. 92. Alexander greift zum Degen Durch ein krieg’riſches Getoͤn, Da durch ſanfte Toͤn’ hingegen Saul ſo Wut als Zorn vergehn. Welch ein angenemes ſehnen Wirkt das Singen einer Schoͤnen Dem, den ihre Schoͤnheit ruͤhrt, Wo ein and’rer nichts von ſpuͤr’t? 93. Gan-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/352
Zitationshilfe: Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/352>, abgerufen am 18.05.2024.